BGH will sinnvolle Dateinamen

Die zunehmend verbreitete Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs (beA) in der Praxis produziert zunehmend auch Fragen der Anwaltshaftung unter stetiger Konkretisierung der anwaltlichen Sorgfalt durch die Gerichte. Nachdem bisher vor allem das Mittel der Postausgangskontrolle (die Empfangsbestätigung gem. § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO; vgl. hier und hier) im Fokus stand, macht der BGH nun weitergehende inhaltliche Vorgaben (BGH Beschl. v. 17.3.2020 – VI ZB 99/19). Dabei verheddert er sich in einem Anachronismus der elektronischen Kommunikation: Er meint, „sinnvolle Dateinamen“ seien erforderlich. Ob die damit gemeinten „sprechenden Dateinamen“ praktisch über den Zweck der Postausgangskontrolle hinaus aber wirklich sinnvoll sind, hinterfragt der BGH nicht.

Gegenstand der Entscheidung

In einem „Diesel-Verfahren“ versäumte ein Rechtsanwalt die Berufungsbegründungsfrist. Seine Assistenzkraft hatte wohl einen anderen mittels beA versandten Schriftsatz mit der hier gegenständlichen Berufungsbegründungsschrift verwechselt. Das Berufungsgericht wies seinen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurück.

Auf die hiergegen erhobene Rechtsbeschwerde teilt der BGH die Auffassung des Berufungsgerichts. Den Rechtsanwalt treffe ein Organisationsverschulden:

Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, dass das Berufungsgericht nicht berücksichtigt habe, dass in dieser Angelegenheit am gleichen Tag ein weiterer Schriftsatz bereits per beA übermittelt worden sei und die Mitarbeiterin des Prozessbevollmächtigten angegeben habe, dass sie diese beiden Schriftsätze wohl verwechselt habe, lässt dies ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers wegen unzureichender Organisation der Ausgangskontrolle nicht entfallen. Die Auffassung der Rechtsbeschwerde, dass bei Überprüfung des beA-Ausgangs festgestellt worden sei, dass ein Schriftsatz in dieser Angelegenheit an das Gericht übermittelt worden sei und dies für eine abendliche Ausgangskontrolle ausreichend sei, da eine nachträgliche inhaltliche Kontrolle der einzelnen Schriftstücke im Rahmen der Ausgangskontrolle nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht erforderlich sei, verkennt, dass es für die Ausgangskontrolle des elektronischen Postfachs jedenfalls nicht genügt, dass die Feststellung der Versendung irgendeines Schriftsatzes mit dem passenden Aktenzeichen erfolgt, sondern anhand des zuvor sinnvoll vergebenen Dateinamens auch zu prüfen ist, welcher Art der Schriftsatz war. Aus dem vom Prozessbevollmächtigten des Klägers vorgelegten Prüfprotokoll für den 19. November 2018 über Schriftsätze in dieser Sache ergibt sich, dass hier die Datei „Streitwertfestsetzung für Beschwerdeverfahren.pdf“ versandt worden war.

Anmerkung

Der BGH geht mit der Forderung nach sprechenden Dateinamen im elektronischen Rechtsverkehr über die von ihm selbst formulierten und auch in dieser Entscheidung zitierten Forderungen an die Postausgangskontrolle bei Telefaxen hinaus – schon diese unterschiedlichen Maßstäbe sind kaum überzeugend:

Er genügt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze nur dann, wenn er seine Angestellten anweist, nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu prüfen, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist. Erst danach darf die Frist im Fristenkalender gestrichen werden (BGH, Beschlüsse vom 22. September 2010 – XII ZB 117/10, FamRZ 2010, 2063 Rn. 11 und vom 14. Mai 2008 – XII ZB 34/07, FamRZ 2008, 1515 Rn. 11, jeweils mwN).

Letztlich wird – jedenfalls für Rechtsanwälte – in konsequenter Beachtung der Rechtssprechung aus der „Soll-Vorschrift“ des § 2 Abs. 2 ERVV („Der Dateiname soll den Inhalt des elektronischen Dokuments schlagwortartig umschreiben und bei der Übermittlung mehrerer elektronischer Dokumente eine logische Nummerierung enthalten„) eine „Muss-Vorschrift“ zur Haftungsvermeidung.

Tatsächlich entspricht die Fixierung auf Dateinamen aber ohnehin nicht mehr dem Stand der Technik im elektronischen Rechtsverkehr. Insofern ist auch die „Soll-Vorschrift“ des § 2 Abs. 2 ERVV  ein Hilfsmittel nur noch für veraltete Technik und verliert deshalb mit der zunehmenden Modernisierung der Justiz-Software nach und nach ihren Zweck. Der Weg führt letztlich zu § 2 Abs. 3 ERVV; der danach – ebenfalls als „Soll-Vorschrift“ – beizufügende  xJustiz-Datensatz wird in Zukunft überall den Transport von inhaltlichen Meta-Informationen zum übermittelten Dokument übernehmen. Moderne Justizfachverfahren – und hoffentlich auch bald die korrespondierende Rechtsanwaltssoftware – erzeugen diesen Datensatz beim Versand und werten ihn beim Empfang aus.

In Zukunft werden die Dateinamen daher eher in Form einer UUID generiert, um die Eindeutigkeit der Datei sicherzustellen. Der Inhalt des Dokuments wird dagegen durch den xJustiz- Pflichtknoten „dokumententyp“ (gestützt auf eine Werteliste) und den optionalen Knoten „anzeigename“ darstellt. In guten Fachverfahren  spielt deshalb der Dateiname nur noch eine untergeordnete Rolle; in der Papierwelt spielt der Dateiname selbstverständlich sogar überhaupt keine Rolle (vgl. Webinar xJustiz in EUREKA-Fach).

xJustiz

Vgl. auch eAkten-Projekt der Bundesagentur für Arbeit: hier.

Fazit

So richtig es daher ist, dass die Rechtsprechung als Postausgangskontrolle die Kontrolle der Eingangsbestätigung gem. § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO fordert, so rückwärtsgewandt ist es, an den Dateinamen eine Rechtsfolge knüpfen zu wollen. Hier wäre ein Gleichlauf des Sorgfaltsmaßstab zum Telefax-Versand angezeigt gewesen.

Notwendig für die Überprüfung der versandten Dokumente wäre der Dateiname überdies nicht, denn u.a. die beA-Webanwendung bietet auch für die versandten Dokumente eine Anzeigefunktion.[1]

Praxishinweise

Wie die Eingangsbestätigung und die übersandte Nachricht zum Zwecke einer späteren Glaubhaftmachung exportiert werden kann (und sollte), beschreibt die BRAK in mehreren beA-Newslettern (bspw. 27/2019). Natürlich sollte die Eingangsbestätigung dann auch mit dem Wiedereinsetzungsantrag vorgelegt werden.

Die herausgehobene Bedeutung der anwaltlichen Sorgfaltspflichten bei der elektronischen Übersendung auf der anderen Seite, zeigen mittlerweile ebenfalls zahlreiche Entscheidungen auf.

Es gilt daher,

  1. wenn irgendwie möglich, Fristen nicht vollständig auszuschöpfen – auch um dem Gericht zu ermöglichen rechtzeitig seiner Fürsorgepflicht nachzukommen und bspw. rechtzeitig Hinweise auf Formmängel zu erteilen (vgl. Containersignatur-Rechtsprechung der Bundesgerichte).
  2. Die gesendete Nachricht zu exportieren und die Eingangsbestätigung aufzubewahren.
  3. Die Eingangsbestätigung mit dem Wiedereinsetzungsantrag einzureichen.
  4. Den ursprünglich übersandten – aber nicht formwirksamen oder nicht „angekommenen“ – Schriftsatz nochmals einzureichen, um auch die Voraussetzungen des § 130a Abs. 6 ZPO zu wahren.

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[1] Danke für diesen Hinweis an Herrn Rechtsanwalt Dienst.

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts