ERV ohne beA: Eine Bestandsaufnahme im April 2018

April 2018: Der Plan der Justiz sah einen deutlichen Anstieg in der elektronischen Kommunikation vor. Der elektronische Postausgang zu den passiv nutzungsverpflichteten Rechtsanwälten sollte die Portokosten deutlich senken, gleichzeitig war davon auszugehen, dass das beA auch immer mehr aktive Nutzer finden würde, die durch den elektronischen Rechtsverkehr das Scanvolumen in den Gerichten zur Einführung elektronischer (Doppel-)Akten senken würden. Ein Quartal später ist klar: Es kam anders: Der elektronische Rechtsverkehr ist (noch) nicht auf der Überholspur. beA steht weiter nicht zur Verfügung. Tot ist die elektronische Kommunikation aber auch nicht. Wie aufrechte gallische Dörfer, verbleiben ERV-Alternativen und sie werden auch praktisch genutzt.

  1. EGVP: Ein Revival mit Fallstricken

Das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP), bis 31. Dezember 2017 der Goldstandard der elektronischen Kommunikation, erfreut sich aufgrund des beA-Ausfalls einer ungeahnten Beliebtheit. Viele ERV-Nutzer haben ihre EGVP-Clients entstaubt und auch EGVP neu installiert. Es sind gleich mehrere Anbieter von EGVP-Clients am Markt, teilweise stehen kostenlose Clients zur Verfügung. Die Kommunikation ist – im Gegensatz zum beA – ohne jeden Zweifel und Definitionsdifferenzen Ende-zu-Ende – verschlüsselt und sie funktioniert.

Einige Nachteile von EGVP sind hergebracht und bekannt. Dies betrifft beispielsweise die nur beschränkte maximale Dateigröße von derzeit 60 MB. Da beA aber letztlich auf EGVP aufsetzt, wäre ein Erleichterung ohnehin nicht in Sicht gewesen. Zudem benötigt die Kommunikation mit EGVP aber auch weiterhin eine qualifizierte elektronische Signatur (qeS). Wer kein entsprechendes Zertifikat (mehr) hat, weil er meinte beA ohne Signatur nutzen zu können, muss jetzt entweder investieren und ein Zertifikat kaufen oder unter 2. in diesem Artikel weiterlesen. EGVP ohne qeS ist kein Option!

Der bedeutendste Nachteil ist aber neu zum 1. Januar 2018 hinzugekommen. EGVP ist gerade kein sicherer Übermittlungsweg gem. § 130a Abs. 4 ZPO. D.h. jeder kann – ohne Kontrolle und Sicherungsinstanz – ein EGVP-Postfach unter jedem beliebigen Namen errichten. Es ist also Obacht geboten, wenn ein EGVP-Postfach adressiert wird: Handelt es sich wirklich um das Postfach des gewollten Empfängers? Noch wichtiger ist aber, dass – eigentlich – jedenfalls förmliche Zustellungen in EGVP-Postfächer nicht mehr vorgesehen sind. §§ 174 Abs. 3, 4 ZPO sieht Zustellungen gegen elektronisches Empfangsbekenntnis (eEB) nur noch in sichere Übermittlungswege vor – gerade um Fehlzustellungen zu vermeiden. Auch wegen des beA-Ausfalls behilft sich die Justiz aber vielerorts und stellt (contra legem) dennoch in EGVP-Postfächer zu; jedenfalls wenn der Empfänger bekannt ist (bspw. weil er das EGVP-Postfach in eingespielter Kommunikation nutzt oder sich explizit gegenüber dem Gericht authentifiziert hat). Die Gerichte stellen dann regelmäßig nicht gegen eEB zu, sondern nutzen die hergebrachten EB-Formulare (die für den ERV ebenfalls nicht mehr im Gesetz vorgesehen sind). Der Zustellungsmangel – so die wohl vorherrschende Ansicht – wird durch Rücksendung des EBs und den faktischen Zugang, der durch das EGVP-Acknowledgment nachgewiesen ist, geheilt.

Zudem birgt EGVP auch Fallstricke: Gerade zu eine Einladung zum Stolpern ist der bereits berichtete Ausschluss der sog. Container-Signatur in § 4 Abs. 2 ERVV. Die Falle ist deshalb so leicht zu übersehen, weil die (Wieder- oder Weiter-)Nutzung von EGVP natürlich gerade dazu einlädt, auch so weiterzuarbeiten, wie noch 2017. Bis 1. Januar 2018 war die Container-Signatur aber noch gültig. Eine veränderte Arbeitsweise ist daher nötig. Im Übrigen lassen sich zulässige Signaturarten nur mit zusätzlichen externen Signaturprogrammen anbringen. Diese müssen also beschafft werden – was jedenfalls die Kenntnis dieser Falle voraussetzt. Die drohende Rechtsfolge eines Stolperns kann extrem sein: Schlimmstenfalls die Unzulässigkeit durch Formunwirksamkeit des Rechtsmittels.

Fazit: EGVP richtig und pragmatisch eingesetzt macht elektronischen Rechtsverkehr auch über ohne beA weiter möglich.

  1. De-Mail: Geht! Nutzer gibt es aber noch kaum

Wer auf beA gesetzt hat, wollte möglicherweise auf die Anbringung einer qualifizierten elektronischen Signatur (qeS) verzichten und hat entsprechend kein qualifiziertes Zertifikat beschafft. Eine ähnliche Arbeitsweise, nämlich eine ohne qeS, ermöglichen aber auch alle anderen sicheren Übermittlungswege gem. § 130a Abs. 4 ZPO. Rechtsanwälten (mit Ausnahme von Rechtsanwalts-Notaren, die auch ihr besonderes elektronisches Notarspostfach – beN – gem. § 78n BNotO nutzen können) bietet nur die De-Mail eine (allerdings regelmäßig mit Zusatzkosten verbundene) Alternative. Sie ist zudem das Mittel der Wahl für nicht zur Anwaltschaft zugelassene prozessvertretende Berufsgruppen: Verbände, Gewerkschaften, Renten- und Steuerberater. Schließlich nutzen auch einige Behörden De-Mails für den elektronischen Rechtsverkehr mit den Gerichten, werden sie doch durch die EGovG des Bundes und der Ländern in Richtung der De-Mail gedrängt.

Die Idee De-Mail zu nutzen ist auch keine schlechte: Im Gegensatz zum beA funktioniert die De-Mail. Natürlich lässt sich auch bei der De-Mail trefflich über die Datensicherheit streiten. Die diesbezüglichen Veröffentlichungen des Chaos Computer Clubs waren dem Gesetzgeber aber bekannt – sie sollen angesichts der gesetzgeberischen Entscheidung hier nicht weiter diskutiert, nur eben auch nicht totgeschwiegen werden. Wer sich als Prozessvertreter entscheidet De-Mail zu nutzen, hat dies eben auch in dieser Kenntnis getan. Die Gerichte kommen mit der De-Mail leidlich gut zurecht. De-Mails kommen unproblematisch, wenn auch mit einer regelmäßig vernachlässigbaren zeitlichen Verzögerung bei den Gerichten in Form einer EGVP-Nachricht an. Diese EGVP-Nachricht wurde durch ein De-Mail – Gateway zum EGVP-Netz erzeugt. Ein wenig herausfordernd für die juristischen Entscheider ist die Form- und Fristprüfung bei der De-Mail; beides erfordert andere Prüfungsschritte als bei „echten“ EGVP-Nachricht – und das muss der Entscheider erstmal wissen (was wiederum seine Schulung voraussetzt). Zudem muss ein zusätzliches Prüfprotokoll herangezogen werden und manche Prüfungsschritte erfordern sogar die elektronische Datei selbst; ein Novum für viele papieraffine Richterinnen und Richter.

Schamhaft verstecken manche Gerichte ihre De-Mail – Adressen. Andere veröffentlichen die Adressen dagegen sogar auf den Homepages (bspw. die hessischen Sozialgerichte). Findige Nutzer können aber tatsächlich jedes bundesdeutsche Gericht per De-Mail erreichen. Die De-Mail – Adresse wird flächendeckend wie folgt gebildet:

safe-ID des Gerichts@egvp.de-mail.de

(Achtung: safe- (bzw. govello-) ID kleinschreiben)

Diese Adressen sämtlicher deutscher Gerichte sind ab dem 1.1.2018 erreichbar und kraft Gesetz für die rechtsverbindliche Kommunikation zugelassen.

Fazit: Die De-Mail ist eine brauchbare Alternative. Aus Sicht des Nutzers: Sie kostet allerdings je nach Vertrag dem Briefporto vergleichbares Geld. Aus Sicht des Gerichts: Der Prüfungsaufwand für juristische Entscheider ist deutlich höher und setzt die Kenntnis der Besonderheiten voraus. Hierfür existieren aber Checklisten.

  1. Quo vadis ERV?

Sicher wäre es sehr wünschenswert, wenn auch beA verfügbar wäre. Der elektronische Rechtsverkehr geht aber weiter – zumindest mit den nicht wenigen freiwilligen Nutzern und sämtlichen deutschen Gerichten. Daneben sind auch immer mehr Behörden per De-Mail oder dem besonderen elektronischen Behördenpostfach beBPo erreichbar. #beAgate ist daher ein ärgerlicher Rückschlag für die, die elektronischen Rechtsverkehr wollen und schätzen, aber gerade nicht der Todesstoß für die Digitalisierung der Justizkommunikaton.

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts

Ein Gedanke zu „ERV ohne beA: Eine Bestandsaufnahme im April 2018“

  1. Hallo Herr Dr.Müller,
    mit dem Scheitern des beA habe ich bei
    https://xjustiz.justiz.de/Browseranwendung/index.php
    die notwendigen Komponenten geholt, um als Rechtsanwalt auch ohne beA das elektronische Empfangsbekenntnis elektronisch erteilen zu können. Die Gerichte, mit denen wir fleißig per EGVP kommunizieren, schicken mir zwar alles per EGVP, aber kein eEB. Klar, das wäre contra legem. Aber das „normale“ EB per EGVP ist es ja auch 🙂
    Gruß
    Nils Petersen

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