Geht nicht, gibt’s nicht! Die elektronische Vollziehung einstweiliger (Unterlassungs-)Verfügungen

Die fortschreitende Einführung elektronischer Gerichtsakten (z. B. existierten zum 30.09.2020 bereits mehr als 40.000 führende elektronische Gerichtsakten in Rheinland-Pfalz) und die zunehmende Etablierung des bidirektionalen elektronischen Rechtsverkehrs bringen es mit sich, dass gerichtliche Entscheidungen zunehmend ausschließlich elektronisch signiert (§ 130b ZPO) und den Parteien entweder unter Beifügung der Signaturdateien der entscheidenden Richter (§ 169 Abs. 5 Nr. 1 ZPO) oder als beglaubigte elektronische Abschrift (§ 169 Abs. 4 ZPO) zugestellt werden.

Diese Entwicklung macht vor dem einstweiligen Verfügungsverfahren nicht halt. Daher stellt sich die Frage, ob sich eine vom Gericht erlassene und dem Antragsteller/Verfügungskläger elektronisch zugestellte einstweilige Verfügung sich auch medienbruchfrei elektronisch vollziehen lässt. Praxisrelevant ist dieses Problem insbesondere bei der Unterlassungsverfügung, die durch Zustellung innerhalb der Monatsfrist des § 929 Abs. 2 ZPO im Parteibetrieb zu vollziehen ist. Soll diese Zustellung medienbruchfrei in elektronischer Form erfolgen, stellen sich einige Fragen, die hier kurz dargestellt werden sollen:

Ausfertigung war gestern, Zustellung einer elektronisch beglaubigten Abschrift oder des elektronischen „Originals“ ist möglich

Auch wenn teilweise aktuellen Kommentaren noch anderes zu entnehmen ist (siehe z. B. jüngst Kindl/Meller-Hannich/Haertlein, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 4. Auflage 2021, § 929 ZPO Rn. 14; zutreffend aber ders., a. a. O., § 922 Rn. 13), kann die Vollziehung nicht (mehr) nur durch Zustellung einer – allein in Papierform möglichen (§ 317 Abs. 2 Satz 1 ZPO) – Ausfertigung erfolgen, sondern ebenso durch Zustellung einer beglaubigten Abschrift im Parteibetrieb (vgl. z. B. OLG Hamburg, Urteil vom 25.07.2018 – 3 U 51/18). Die beglaubigte elektronische Abschrift im Sinne des § 169 Abs. 4 ZPO steht der in Papierform manuell (§ 169 Abs. 2 ZPO) bzw. maschinell (§ 169 Abs. 3 ZPO) beglaubigten Abschrift nach der Gesetzessystematik gleich, sodass insoweit nichts Anderes gilt. Auch die beglaubigte elektronische Abschrift kann daher zur Vollziehung einer Unterlassungsverfügung durch Zustellung verwendet werden.

Gleiches gilt für elektronische Dokumente, die bereits nach § 130b ZPO durch die erkennenden Richter qualifiziert elektronisch signiert sind. Diese „elektronischen Originale“ oder besser „bitgleiche Kopien des Originals“ können – wie § 169 Abs. 5 Nr. 1 ZPO für die Amtszustellung ausdrücklich klarstellt – ohne weitere Beglaubigung elektronisch zugestellt werden. Voraussetzung hierfür ist, dass die mit dem Dokument verbundenen Signaturdateien mit zugestellt werden. In diesen Fällen ist die Authentizität und Integrität des Dokuments bereits durch die elektronische Signatur der Mitglieder des Spruchkörpers gewahrt, sodass eine zusätzliche elektronische Beglaubigung ein unnötiger Mehraufwand wäre (so auch ausdrücklich die Gesetzesbegründung zu § 169 Abs. 5, BT-Drucks. 17/13948, S. 34).

Nicht unmittelbar zur elektronischen Vollziehung geeignet ist demgegenüber eine vom Gericht in Papierform übermittelte beglaubigte Abschrift bzw. Ausfertigung, und zwar auch dann nicht, wenn diese vom Rechtsanwalt eingescannt und qualifiziert elektronisch signiert wird. Denn während § 169 Abs. 2 Satz 2 ZPO für die Papierform die Möglichkeit der anwaltlichen Beglaubigung voraussetzt, fehlt eine solche Regelung in § 169 Abs. 4 und 5 ZPO.

Von beA zu beA – die elektronische Vollziehung von Anwalt zu Anwalt

Die Zustellung von Anwalt zu Anwalt ist – wie § 195 Abs. 2 Satz 2 ZPO klarstellt – auch gegen elektronisches Empfangsbekenntnis, mithin von beA zu beA, möglich. Hierzu kann das vom Gericht nach § 169 Abs. 4 (beglaubigte elektronische Abschrift) oder Abs. 5 („bitgleiche Kopie des Originals“) ZPO versandte elektronische Dokument gegen elektronisches Empfangsbekenntnis an das beA des Rechtsanwalts des Antragsgegners/Verfügungsbeklagten weitergeleitet werden, ohne dass es einer erneuten Beglaubigung durch den Rechtsanwalt bedarf.

Wegen der jahrzehntelangen Gewöhnung an Papierprozesse mag es ein gewisses Unbehagen bereiten, wenn man sich vergegenwärtigt, dass in diesen Fällen durch den Versandprozess stets eine weitere Kopie dieses elektronischen Dokuments angelegt wird und man gerade nicht das „Originalschriftstück“ aus der Hand gibt. Dies ist aber den Besonderheiten der „eJustice-Welt“ geschuldet, bei der der Begriff des Originals insgesamt problematisch ist (lesenswert hierzu jurisPK-ERV/Gomm, 1. Aufl. 2020, Kapitel 6.2 Rn. 115 ff. sowie H. Müller, eJustice-Praxishandbuch, 5. Auflage 2020, S. 246 f.). Von daher gilt es auch, sich von gewissen Gewohnheiten zu lösen und die – durchaus komfortablen – Möglichkeiten des elektronischen Rechtsverkehrs zu nutzen.

Die elektronische Vollziehung durch den Gerichtsvollzieher

Soweit eine Zustellung von Anwalt zu Anwalt nicht in Betracht kommt oder nicht gewünscht ist, ist stattdessen die elektronische Beauftragung des Gerichtsvollziehers mit der Zustellung der Unterlassungsverfügung zu deren Vollziehung möglich (§ 192 ZPO).

Insoweit ließe sich gegen die Möglichkeit einer elektronischen Beauftragung und Zustellung einwenden, dass nach § 192 Abs. 2 ZPO die Einleitung der Parteizustellung durch Übergabe des zuzustellenden Schriftstücks an den Gerichtsvollzieher erfolgt, was einen Papierprozess suggeriert. Diese Zweifel könnten auch deshalb bestärkt werden, weil der Gesetzgeber sich jüngst veranlasst sah, in § 169 Abs. 4 ZPO das elektronische Dokument als weitere Variante neben dem Schriftstück vorzusehen (vgl. BT-Drucks. 19/15167, S. 29) und dabei von einer entsprechenden Ergänzung des § 192 Abs. 2 ZPO absah. Bei Lichte betrachtet liegt es aber fern anzunehmen, dass der Gesetzgeber damit den Papierprozess für die Parteizustellung zementieren wollte. Anzunehmen ist vielmehr, dass diese Problematik in § 192 Abs. 2 ZPO übersehen wurde.

Unter dem Strich spricht nichts dafür, den insoweit nicht ganz zeitgemäßen Wortlaut des § 192 Abs. 2 ZPO so zu verstehen, dass für die Parteizustellung durch den Gerichtsvollzieher die über die Generalklausel des § 191 ZPO gemäß §§ 169, 174 ZPO mögliche elektronische Zustellung ausgeschlossen werden soll. Es spricht daher rechtlich auch nichts gegen eine elektronische Beauftragung des Gerichtsvollziehers zur Parteizustellung (wie hier: OLG Köln, Beschluss vom 07.05.2019, I-7 VA 3/19). Dies gilt erst recht dann, wenn die Parteizustellung der Vollziehung einer einstweiligen Verfügung und damit einer zwangsvollstreckungsähnlichen Maßnahme (vgl. §§ 936, 928 ZPO) dient. Denn für den Bereich der Zwangsvollstreckung durch Gerichtsvollzieher ist der elektronische Rechtsverkehr gemäß § 753 Abs. 4 ZPO ohnehin ausdrücklich eröffnet (vgl. zur Anwendbarkeit auch auf § 192 Abs. 2 ZPO: jurisPK-ERV/D. Müller, 1. Aufl. 2020, § 753 Rn. 55 m. w. N.).

Die Zustellung an die Antragsgegner/Verfügungsbeklagtenseite kann der Gerichtsvollzieher sodann – soweit ein sicherer Übermittlungsweg nach
§ 174 Abs. 3, § 130a Abs. 4 ZPO zur Verfügung steht – ebenfalls elektronisch vornehmen (§ 753 Abs. 4 Satz 4 ZPO bzw. § 191 ZPO jeweils i. V. m. § 174 ZPO).

Auch im Rahmen der Beauftragung des Gerichtsvollziehers ist eine medienbruchfreie elektronische Vollziehung von einstweiligen Verfügungen somit möglich. Im Rahmen der anwaltlichen Sorgfalt wird gleichwohl in jedem Einzelfall eine Risikoabwägung vorzunehmen sein, da dieses Vorgehen bis zur einer gesetzgeberischen Klarstellung (ähnlich wie in § 169 Abs. 4 ZPO) mit Blick auf die vereinzelt vertretene Gegenansicht (vgl. LG Frankfurt/Oder, Beschluss vom 11.04.2019, 19 T 90/19) nicht gänzlich risikolos ist.

Fazit

Die elektronische Vollziehung einstweiliger (Unterlassungs-)Verfügungen bietet ein paar Hürden, die sich aber de lege lata bereits überspringen lassen. Dennoch ist zur Abrundung zu wünschen, dass der Gesetzgeber den Wortlaut des § 192 Abs. 2 ZPO – ähnlich wie in § 169 Abs. 4 ZPO zum Jahreswechsel geschehen – an die digitalen Gegebenheiten anpasst.

Gastautor: Dennis Müller ist Richter am Oberlandesgericht Koblenz und war von 2015 bis Ende 2019 abgeordnet an das Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz. Dort war er Leiter des Referats „Elektronischer Rechtsverkehr und Elektronische Gerichtsakte“ sowie des Programms ejustice.rlp . Er ist seit 2020 Mitautor des juris-Praxiskommentars Elektronischer Rechtsverkehr.

Hinweis: Der Passus zur – derzeit nicht zulässigen – anwaltlichen elektronischen Beglaubigung von durch das Gericht in Papierform übermittelten Ausfertigungen bzw. beglaubigten Abschriften wurde nachträglich ergänzt. Vielen Dank an Rechtsanwalt Christian Franz, LL.M und RLG Benedikt Windau für die wertvolle Anregung.