Hessisches LAG: Hinweis des Gerichts erzeugt Vertrauensschutz

Das Hessische Landesarbeitsgericht hatte sich in einem Urteil vom 14. Februar 2020 – 10 Sa 1031/19 SK nochmals mit der unzulässigen Containersignatur zu beschäftigen (siehe für eine Übersicht: hier). Es folgte dabei der bisher hierzu ergangenen Rechtsprechung der Bundesgerichte. Es stellt aber bei dieser Gelegenheit klar, dass es nicht der „ERV light“-Rechtsprechung des BGH folgen will und machte lesenswerte weitere Ausführungen zu den gerichtlichen Hinweispflichten.

Sachverhalt

In einem nicht fristgebundenen Klageverfahren reichte der Kläger die Klage beim erstinstanzlichen Arbeitsgericht über EGVP unter Verwendung einer unzulässigen Containersignatur und einer „möglicherweise eingescannten“ Unterschrift ein. Der Vorsitzende der Kammer des Arbeitsgerichts erkannte die Containersignatur und ihre Unzulässigkeit, wies aber darauf hin, dass die Klage beim Arbeitsgericht ausgedruckt worden sei und es sich dadurch nun um eine zulässige Klageerhebung gehandelt habe.

In zweiter Instanz hatte sich das Hessische Landesarbeitsgericht mit dem Verfahren zu beschäftigen. Der Kläger beruft sich im Hinblick auf die Containersignatur darauf, dass er meint, er habe auf den Hinweis des Arbeitsgerichts vertrauen dürfen.

Unzulässigkeit der Containersignatur

In Bezug auf die Unzulässigkeit der Containersignatur folgt das Hessische Landesarbeitsgericht der mittlerweile fast einhelligen Rechtsprechung:

Mehrere elektronische Dokumente dürfen hingegen nicht mit einer gemeinsamen qeS übermittelt werden, die Containersignatur ist damit nach § 4 Abs. 2 ERVV nicht mehr zulässig. Durch diese Einschränkung soll verhindert werden, dass nach der Trennung eines elektronischen Dokuments vom sog. Nachrichtencontainer die Container-Signatur nicht mehr überprüft werden kann (vgl. BAG 15. August 2018 – 2 AZN 269/18; ebenso BGH 15. Mai 2019 – XII ZB 573/18).

Heilung des Formmangels

Der „ERV light“-Rechtsprechung des BGH folgt das Hessische Landesarbeitsgericht mit eindeutigen Worten nicht:

Das Bundesarbeitsgericht hat sich in der bereits schon erwähnten Entscheidung ausdrücklich gegen die vom OLG Brandenburg (vgl. OLG Brandenburg 6. März 2018 – 13 WF 45/18) vertretene Rechtsauffassung gewandt und es nicht ausreichen lassen, dass ein elektronisches Dokument mit einer Containersignatur bei Gericht auf Papier ausgedruckt wurde (vgl. BAG 15. August 2018 – 2 AZN 269/18). Die möglicherweise noch immer vom Bundesgerichtshof anderweitig vertretene Ansicht erscheint nicht zutreffend. Dafür spricht schon die Überlegung, dass es bei Eingang des Gerichts klar sein muss, ob eine gesetzlich vorgesehene Form gewahrt wird, dies kann nicht von dem – zufälligen – Ergebnis abhängen, ob ein Dokument bei Gericht ausgedruckt wird oder nicht (BSG 12. Oktober 2016 – B 4 AS 1/16 R; GK-ArbGG/Horcher Stand: Sept. 2019 § 46c Rn. 63 und 94; Ulrich/Schmieder NJW 2019, 113, 116; Müller eJustice-Praxishandbuch 4. Aufl. S. 105 ff.).

Auch die Eingangsfiktion des § 46c Abs. 6 ArbGG kommt nach der zutreffenden Rechtsauffassung des Hessischen LAG nicht in Betracht, den es handele sich nicht um einen bloßen Formatfehler, sondern das Dokument sei bereits nicht formwirksam bei Gericht eingegangen. Es liegt daher bereits eine fehlerhafte „Übermittlung“ vor.

Schließlich kann auch eine Heilung gem. § 295 ZPO nicht eingetreten sein:

Erstens kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Beklagten der Transfervermerk mitgeschickt worden ist; dies ergibt sich jedenfalls nicht aus der Akte. In dem Fall konnte ihr der Mangel auch nicht bekannt sein, § 295 Abs. 1 letzter Hs. ZPO.

Zweitens handele es sich um eine von Amts wegen zu beachtende Prozessvoraussetzung, auf die die gegnerische Partei nach § 295 Abs. 2 ZPO auch nicht verzichten könne. § 130 Nr. 6 ZPO werde für bestimmende Schriftsätze als „Muss-Vorschrift“ ausgelegt.

Folgen des rechtsfehlerhaften Hinweises

Allerdings habe das Arbeitsgericht es hier versäumt,

innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs einen Hinweis zu erteilen, damit dem Kläger die Möglichkeit eröffnet wäre, den Mangel alsbald zu beheben.

Aus diesem Fehler des Gerichts leitet das LAG zahlreiche Folgen ab:

      1. Unbeachtlichkeit des Formfehlers,
      2. Vertrauensschutz für den Einreicher,
      3. Bestätigung der (formunwirksamen) Klage.

Unbeachtlichkeit des Formfehlers

Eine gerichtliche Hinweispflicht in Bezug auf Mängel bei der Unterschrift könne sich aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG ergeben, die zugunsten der Verfahrensbeteiligten einen Anspruch auf ein faires gerichtliches Verfahren begründeten. Die sich daraus ergebende prozessuale Fürsorgepflicht verpflichte die Gerichte, eine Partei auf einen offenkundigen Formmangel (zum Fehlen einer Unterschrift vgl. BGH 14. Oktober 2008 – VI ZB 37/08 ) eines bestimmenden Schriftsatzes hinzuweisen. Ein solcher liege bei der Übermittlung eines bestimmenden Schriftsatzes durch ein elektronisches Dokument vor, wenn dieser – wie vorliegend – mit einer Container-Signatur im EGVP eingehe. Ein Verfahrensbeteiligter könne erwarten, dass dieser Vorgang in angemessener Zeit bemerkt wird und innerhalb eines ordnungsgemäßen Geschäftsgangs die notwendigen Maßnahmen getroffen werden, um ein drohendes Fristversäumnis zu vermeiden. Unterbleibe ein gebotener Hinweis, ist der Partei Wiedereinsetzung zu bewilligen, wenn er bei ordnungsgemäßem Geschäftsgang so rechtzeitig hätte erfolgen müssen, dass der Partei noch die Fristwahrung möglich gewesen wäre (vgl. BAG 15. August 2018 – 2 AZN 269/18).

Für nicht fristgebundene prozessuale Situationen wie hier fehle es noch an Rechtsprechung:

Soweit ersichtlich, haben sich Gerichte zu der Frage der Verletzung einer Hinweispflicht bzw. des Vertrauensschutzes im Zusammenhang mit einer mangelbehafteten Unterschrift ausschließlich im Rahmen von sodann versäumten Rechtsmittelfristen geäußert. Bei Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen ist dem Rechtsmittelkläger dann nach § 233 ZPO Wiedereinsetzung in die versäumte Frist gewährt worden.

Ein solcher Fall liege hier nicht unmittelbar vor, da die Klageerhebung unabhängig von einer laufenden prozessualen Frist war. Die Regelung in § 233 ZPO sei schon dem Wortlaut nach nicht einschlägig. Dies könne aber nicht dazu führen, dass das Unterlassen eines gebotenen (inhaltlich richtigen) Hinweises zulasten der klagenden Partei geht. Das aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Recht auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG), das Recht auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG sowie die daraus folgenden Ausprägungen der Fürsorgepflicht des Gerichts und des Grundsatzes eines fairen Verfahrens erfordern in einem Fall wie dem vorliegenden, dass sich der Formmangel nicht zulasten des Klägers auswirken darf.

Es komme auch nicht darauf an, ob die Voraussetzungen des § 233 ff. ZPO im Einzelnen vorlagen oder nicht. Insbesondere komme es nicht darauf an, ob die formgerechte Prozesshandlung mittlerweile nachgeholt wurde oder nicht, § 236 Abs. 2 ZPO. Der BGH habe auch nicht in jedem Fall die Nachholung einer formunwirksamen Prozesshandlung verlangt (so im Fall der fehlender Unterschrift BGH 14. Oktober 2008 – VI ZB 37/08). Das BAG habe die Frist des § 234 Abs. 3 ZPO nicht angewendet, soweit einer Anwendung dieser Bestimmung der Grundsatz des fairen Verfahrens entgegengestanden hätte (vgl. BAG 3. Juli 2019 – 10 AZR 499/17). Eine Obliegenheit zum Nachreichen eines ordnungsgemäß unterschriebenen Schriftsatzes in der zweiten Instanz würde sich als bloße Förmelei darstellen.

Der gerichtliche Fehler – hier Unterlassen eines sachlich gebotenen Hinweises – lasse das eigene Verschulden des Klägers in den Hintergrund treten (vgl. BSG 20. März 2019 – B 1 KR 7/18 B).

Vertrauensschutz für Einreicher

Darüber hinaus sei dem Kläger im vorliegenden Fall ein Vertrauensschutz zu gewähren. Der Vorsitzende des Arbeitsgerichts habe mit Verfügung vom 18. Juli 2018 darauf hingewiesen, dass ein Verstoß nach § 4 Abs. 2 ERVV vorliegen dürfte, dass dieser aber deswegen unbeachtlich sei, weil das Arbeitsgericht die elektronisch eingereichte Klageschrift ausgedruckt habe.

Dem Kläger darf aus dem zu Unrecht erteilten gerichtlichen Hinweis kein Nachteil erwachsen.

Bestätigung der formunwirksamen Klage

Schließlich geht das Hessische Landesarbeitsgericht davon aus, dass eine Heilung der formunwirksamen Klageeinreichung dadurch eingetreten sei, dass im (Kammer)Termin zur mündlichen Verhandlung die Anträge gestellt wurden. Das BAG habe entschieden, dass es nach Sinn und Zweck des Unterschriftserfordernisses nach § 130 Nr. 6 ZPO entbehrlich sei, die Unterschrift nachzuholen, wenn das Revisionsgericht die Unterschrift entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht als ausreichend – möglicherweise nur als Paraphe – ansieht. Der Zweck der Unterschrift, zum Ausdruck zu bringen, dass der Unterzeichner die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes und die Einreichung bei Gericht übernimmt, werde dadurch erreicht, dass die Partei den Prozess fortführt. Eine erneute Einreichung des Schriftsatzes erschiene dann als bloße Förmelei (vgl. BAG 3. Juli 2019 – 10 AZR 4997/17).

Übertrage man dies auf den vorliegenden Fall, müsste man eine „Bestätigung“ der mangelbehafteten Klageschrift darin sehen, dass im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht für den Kläger die Anträge gestellt worden seien. In der Antragstellung nach § 137 Abs. 1 ZPO liege in aller Regel eine Bezugnahme auf den gesamten bis dahin vorliegenden eigenen Sachvortrag der Partei. Damit habe der für den Kläger auftretende Prozessvertreter deutlich gemacht, dass er sich den Inhalt der Klageschrift zu eigen mache und hierfür ebenfalls die Verantwortung übernehme. Auch sei klar, dass die Klageschrift kein bloßer Entwurf sein sollte. Damit wäre dem Anliegen des Schriftformgebots nach § 130 Nr. 6 ZPO ausreichend Rechnung getragen.

Dagegen könne man nicht einwenden, dass die Voraussetzungen des § 295 ZPO auf diesem Weg umgangen würden. Bei § 295 Abs. 1 ZPO komme es stets auf die Kenntnis vom Mangel des Gegners an. In der Bezugnahme durch Antragstellung liegt eher eine Bestätigung der Prozesshandlung selbst. Fehlerbehaftete Prozesshandlungen könnten jederzeit auch nachgeholt werden. Diese wirkten dann aber nur ex-nunc. Im vorliegenden Fall stelle sich aber gerade keine Fristproblematik.

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts