Texterkennung i.S.d. § 2 Abs. 1 ERVV: Was ist eigentlich „durchsuchbar“?

Ab 1. Januar 2018 müssen bei Gericht eingereichte elektronische Dokumente gem. § 2 Abs. 1 ERVV druckbar, kopierbar und, soweit technisch möglich, durchsuchbar (für letzteres gilt eine Übergangsfrist bis 30. Juni 2019im Dateiformat PDF übermittelt werden. Aber was ist eigentlich die „Durchsuchbarkeit“ im Sinne dieser Vorschrift?

Der Begriff der Durchsuchbarkeit

Der Begriff der „Durchsuchbarkeit“ bezieht sich auf darauf, dass das Dokument in texterkannter Form (OCR) einzureichen ist. Dies ergibt sich aus der Verordnungsbegründung (S. 12) und dem Zweck der Vorschrift. Der Sinn und Zweck ist ausweislich der Verordnungsbegründung, die pragmatische Idee, dass hierdurch die Weiterbearbeitung im Gericht und bei weiteren Verfahrensbeteiligten gefördert wird.

… die Anforderungen ermöglichen das barrierefreie elektronische Vorlesen des elektronischen Dokuments für blinde und sehbehinderte Personen und erleichtern die elektronische Weiterverarbeitung durch die Gerichte, Gerichtsvollzieherinnen und Gerichtsvollzieher, Behörden, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte und weiteren Verfahrensbeteiligten, denen das elektronische Dokument übermittelt wird.

Die Verordnungsbegründung führt weiter aus: Ein eingescannter Schriftsatz kann als elektronisches Dokument übermittelt werden, wenn es mit einem Texterkennungsprogramm als OCR-Scan (Optical Character Recognition) erstellt wurde. Zudem wird – neben diesem Hinweis aus der Verordnungsbegründung – der Regelfall sein, dass der Schriftsatz mit einem Textverarbeitungsprogramm erstellt wurde, das ein Abspeichern als PDF zulässt.

Wann ist die Texterkennung „technisch nicht möglich„?

Fraglich ist, wann die Texterkennung „technisch nicht möglich“ i.S.d. § 2 Abs. 1 ERVV ist. Sicher ist dies der Fall bei Dokumenten, die keinen Text enthalten (bspw. reine Bilddokumente). Aber auch andere Fälle sind denkbar; die Verordnungsbegründung führt hierzu wie folgt aus:

[Die Texterkennung] kann jedoch technisch unmöglich sein, wenn das Ausgangsdokument etwa handschriftliche oder eingeschränkt lesbare Aufzeichnungen oder Abbildungen enthält, die mit dem Texterkennungsprogramm nicht erfasst werden können. Diese elektronischen Dokumente müssen nicht in durchsuchbarer Form übermittelt werden.

Danach ist eine Texterkennung technisch bereits dann nicht möglich, wenn sie nicht zielführend ist, weil der „erkannte“ Text ohnehin nicht zu gebrauchen wäre. Es stellt sich daraus aber weiter die Frage, wie schnell der Einsender „aufgeben“ darf? Muss er eine Texterkennung bspw. bei einem Telefax überhaupt versuchen? Oder darf er nur bei handschriftlichen oder völlig unleserlichen Texte von vornherein weitere Bemühungen einstellen? Dass eine Texterkennung schon dann „technisch unmöglich“ ist, wenn der Einsender schlicht nicht über eine Software zur Texterkennung verfügt, dürfte nur schwer vertretbar sein. So wie, von ihm verlangt wird eine PDF-Datei erstellen zu können, wird von ihm wohl zukünftig auch die Texterkennung erwartet – hier lässt die Verordnung wohl kaum Spielraum.

Die Frage ist deshalb so virulent, weil sie immerhin über die Formwirksamkeit einer Klage oder eines Rechtsmittels entscheiden könnte. Sie betrifft möglicherweise also direkt und unmittelbar den Ausgang eines Rechtsstreits.

Formprüfung durch den Richter

Kommt es auf die Form eines Dokumentes an, wird es wohl in Zukunft erforderlich sein, dass der Richter das elektronische Dokument darauf überprüft, ob eine Texterkennung vorgenommen wurde. Hierfür wird der Richter nicht umhin kommen, das Dokument – trotz evtl. noch führender Papierakte – am Bildschirm zu betrachten, denn weder dem Ausdruck noch dem Transfervermerk oder dem Prüfprotokoll ist das „Durchsuchbarkeitsmerkmal“ entnehmbar – gleiches gilt für die Kopierbarkeit des Dokuments.

Abzuwarten bleibt, wie die Rechtsprechung mit schlecht oder bloß teilweise texterkannten Dokumenten umgehen wird. Gerade schlecht texterkannte Dokumente sind schnell – und wenig schuldhaft – erstellt: Man denke nur an die Texterkennung eines Telefaxes, die aufgrund des schlechten Telefaxschriftbilds zumeist zu erheblichen Abweichungen zwischen „Bild“ und erkanntem Text führen wird.

Den Gerichten ist allerdings vor dem Hintergrund des Gewährung effektiven Rechtsschutzes ein pragmatischer Umgang mit diesem neuen Formerfordernis anzuraten. Es sollte im Blick behalten werden, dass die neue Formvorschrift „durchsuchbar“ letztlich vor allem der Arbeitserleichterung dient, also einen Komfortgewinn vor allem am Richterarbeitsplatz darstellen soll. Vor dem Hintergrund evtl. betroffener Prozessgrundrechte, sollte es daher nicht unnötig überbetont werden.

Fraglich ist ferner noch, inwieweit die neuen Formerfordernisse auch für nicht schriftformbedürftige Schriftsätze gelten. Eindeutiger dürfte sein, dass sie nicht für vom Gericht beigezogene Behördenakten gelten.

Im Übrigen können sich Verfahrensbeteiligte und Gerichte noch ein paar Monate an die neue ERVV gewöhnen, bevor es auf die Texterkennung ankommt. Dank der Übergangsregelung in § 2 Abs. 1 Satz 3 ERVV gilt das Texterkennungserfordernis erst ab 1. Juli 2019.

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts

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