Wiedereinsetzungsregelungen kennen keine besondere Milde für „Early Adopter“

„Early Adopter“ sind Nutzer, die eine neue Technik möglichst früh zu Einsatz bringen. Für das Akzeptanzmanagement sind sie wichtig: Sie erkennen die Probleme, brechen das Eis und dienen als Multiplikator. Wie ein Verfahren vor dem Bayrischen LSG zeigt, leben sie manchmal aber auch gefährlich. Dort war ein Wiedereinsetzungsantrag abgelehnt worden, nachdem eine Berufungsschrift  über das – im Jahr 2017 noch funktionierende – besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) auf unbekannten Gründen nicht zum Versand gekommen war und damit keine fristwahrende Berufung eingelegt worden ist.

Mit Beschluss vom 3. Januar 2018 hat das Bayrische Landessozialgericht unter dem Aktenzeichen L 17 U 298/17 die Berufung gegen ein Urteil des Sozialgerichts Würzburg zurückgewiesen und eine Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist abgelehnt. Der Berufungsführer hatte vorgetragen, die Berufungsschrift habe – wohl – den Postausgang seines beA nicht verlassen. Das beA sei aber „eine völlig neue Materie. In der Kanzlei […] seien Zustellungen nach diesem System der Kommunikation erst kurze Zeit vor dem fraglichen Vorgang begonnen worden.“

Den hierauf gestützten Wiedereinsetzungsantrag hat das LSG abgelehnt.

Bei Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs  würden die an den Beteiligten zu stellenden Sorgfaltsanforderungen nicht gewahrt, wenn dieser nicht für eine wirksame Ausgangskontrolle des auf diesem Übertragungsweg versandten Schriftsatzes sorgt (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27.08.2007 – 2 A 10492/07). Für den erfolgreichen Abschluss des auf elektronischem Wege erfolgenden Schriftverkehrs seien dementsprechend Erhalt und ordnungsgemäße Kontrolle der Eingangsbestätigung unabdingbar. Eine Fristversäumnis sei insbesondere dann nicht unverschuldet, wenn der Absender wissen musste, dass das Gericht bei erfolgtem Eingang immer eine Eingangsbestätigung des ordnungsgemäß zugeleiteten Dokuments übermittelt. Im vorliegenden Fall sei schon nicht ersichtlich, dass Anweisungen an das Büropersonal hinsichtlich der Ausgangs- bzw. Zugangskontrolle von Schreiben bei der Nutzung des beA gegeben worden seien und ob diesbezüglich stichprobenartige Kontrollen des Personals stattgefunden hätten.

Als ausreichenden „Ablauf der Versendung mit BeA“ sieht das LSG folgendes – vom Prozessbevollmächtigten geschildertes – Verfahren gerade nicht an: „Fertige Schriftsätze werden ausgedruckt und in eine separate Unterschriftenmappe gelegt; Unterschriftenmappe wird dem jeweiligen Rechtsanwalt vorgelegt; dieser prüft die Schreiben und unterschreibt sie, wenn diese auslaufen können; ein Mitarbeiter wandelt zuerst alle Schriftsätze nacheinander in PDF-Dateien um und verschiebt diese in Ordner (pro Akte ein Ordner); anschließend werden alle Schriftsätze nacheinander mit BeA versendet“.

Hierzu ist – neben den Ausführungen des LSG zu bemerken -, dass dieser Vorgang die (auch beim beA im Jahr 2017) vorgesehene qualifizierte elektronische Signatur der verantwortenden Person gar nicht vorsieht. Es ist daher unabhängig vom zeitlichen Ablauf fraglich, ob im vorliegenden Fall, die erforderliche Form gewahrt war. Hierzu fehlte aber an Angaben im Tatbestand.

Das LSG bemängelt an dem gewählten Verfahren aber zu Recht, dass die Organisation bezüglich der Ausgangs- bzw. Zugangskontrolle von Schreiben bei der Nutzung des beA in der Kanzlei des Klägerbevollmächtigten mangelhaft gewesen sei, weil der Büroablauf in einer Rechtsanwaltskanzlei so organisiert sein muss, dass jedenfalls für fristwahrende Schriftsätze, etwa durch Führung eines Postausgangsbuches oder durch einen Vermerk im Terminkalender, eine wirksame Ausgangskontrolle durchgeführt werden kann (BVerwG, Urteil vom 28.05.2003 – 1 B 126/03). Der Abgang fristwahrender Schriftsätze müsse so kontrolliert und vermerkt werden, dass er zweifelsfrei nachweisbar sei; die Unterzeichnung eines Schreibens durch den Rechtsanwalt und der Vermerk der Erledigung in dem von ihm persönlich geführten Terminkalender über diese Erledigung reiche für den Nachweis des Abgangs des Schreibens nicht aus, weil es danach bis zur Postaufgabe verschiedene Möglichkeiten einer Fehlleitung oder eines Verlustes gebe (BVerwG, Urteil vom 14.07.1988, 2 C 6/88).

Auch aus dem Umstand, dass der Prozessbevollmächtigte Probleme bei der Nutzung des EGVP bzw. des beA gegenüber dem LSG beschrieb und „Anfangsschwierigkeiten mit beA“ angab, ergebe sich kein anderes Ergebnis. Bei einer Übermittlung von Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs gelten nach zutreffender Ansicht des Bayrischen LSG zunächst die gleichen Anforderungen wie bei der Übersendung per Telefax; die Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von Schriftsätzen per beA bzw. EGVP entsprechen also denen bei der Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Insofern sei in der Rechtsprechung seit langem geklärt, dass die nachfolgende Kontrolle des ordnungsgemäß erfolgten Ausgangs anhand des nach der Übermittlung vom Fax-Gerät automatisch ausgedruckten Sendeberichts zu erfolgen hat (BVerwG, Urteil vom 25.06.2004, 1 B 282/03, 1 B 282/03 (1 PKH 86/03); BGH, Beschluss vom 24.10.2013, V ZB 154/12; zur Sicherstellung der Kenntnisnahme empfangener Nachrichten bei der Nutzung von E-Mail-Korrespondenz im Kanzleibetrieb durch Anforderung einer Lesebestätigung BGH, Beschluss vom 17.07.2013, I ZR 64/13; zur Vergleichbarkeit von Fax-Sendeprotokoll und automatischer Eingangsbestätigung beim EGVP/beA Bacher, NJW 2015, 2753, 2756). Dem entspreche bei Nutzung des beA/EGVP ganz offensichtlich die Kontrolle des Zugangs durch Prüfung des Erhalts der Eingangsbestätigung des ordnungsgemäß zugeleiteten Dokuments. Vor diesem Hintergrund sei es schon nicht nachvollziehbar, inwiefern einer Ausgangskontrolle Anfangsschwierigkeiten entgegenstehen sollten.

Die Wichtigkeit der Eingangsbestätigung betont auch VGH Kassel in einer Entscheidung vom 26. September 2017 (5 A 1193/17). Hierin erkannte das Gericht, dass diese Eingangsbestätigung – anders als das Telefax-Sendeprotokoll – einen Anscheinsbeweis für den Zugang darstelle.

Selbst wenn man aber Probleme bei der Nutzung des EGVP bzw. des beA gegenüber dem LSG bzw. „Anfangsschwierigkeiten mit beA“ unterstelle, ergibt sich nach Ansicht das Bayrischen LSG nichts anderes. Denn gerade wenn der Klägerbevollmächtigte von solchen besonderen Problemen ausgegangen sei, hätte er eine erhöhte Sorgfalt an den Tag legen müssen, etwa durch besondere Hinweise an seine Beschäftigten auf gewissenhafte Kontrolle des Zugangs von Eingangsbestätigungen bei der Nutzung des beA, um trotzdem fristgerechte Berufungseinlegungen zu gewährleisten.

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts

2 Gedanken zu „Wiedereinsetzungsregelungen kennen keine besondere Milde für „Early Adopter““

  1. beA ohne qualifizierte elektronische Signatur in 2017?
    Als ich 2017 im Vorfeld der Eröffnung des ERV bei den Staatsanwaltschaften des Landes Brandenburg Rechtsanwälte als Testpartner suchte, bekam ich zur Antwort: Im beA kann man keine Nachrichten ohne qeS versenden.

    1. Hallo Herr Kegel,

      beA ohne qeS ging natürlich – war ja quasi Sinn und Zweck des beA. Die Falle war aber, dass § 130a Abs. 2 ZPO n.F., der den Verzicht auf die qeS zulässt, erst ab 1.1.2018 galt; eine Falle, in die einige Rechtsanwälte geraten waren. Ich selbst hatte auch solche Fälle im Dezernat.

Schreibe einen Kommentar zu Kegel Antworten abbrechen