Digitalisierung und Barrierefreiheit

Ein Gastbeitrag von Johannes Greiser, Richter am Sozialgericht Osnabrück.

Die Digitalisierung schreitet mittlerweile auch in der Justiz voran. Das hat viele Vorteile. Beispielsweise ist das bei Richtern häufig beliebte Arbeiten aus dem Homeoffice deutlich komfortabler möglich. Allerdings hat die Umstellung auch Nachteile und macht eine Umgewöhnung in der täglichen Arbeit notwendig. Mit einer Sehbehinderung, wie ich sie habe, sind diese Umgewöhnungsprozesse komplexer, was zum Thema Barrierefreiheit überleitet.

Ich habe eine Sehbehinderung, die normale Anzeigeeinstellungen am Computer nicht zulässt. Ich brauche eine größere Darstellung in den Programmen, um die jeweilige Schrift lesen und mich orientieren zu können. Von anderen Menschen mit Sehbehinderung wird darauf zumeist mit Vergrößerungssoftware reagiert. Diese vergrößert das gesamte Bild mit einem einzustellenden Faktor. Dadurch ist allerdings nur noch ein Ausschnitt des Gesamtbildes aktuell zu sehen. Dadurch wird ständiges horizontales Scrollen notwendig, was mit meiner konkreten Erkrankung (Pendelnystagmus) nicht oder nur sehr schwer handhabbar ist. Da bei mir der Punkt des schärfsten Sehens im Augenhintergrund nicht so ausgeprägt ist, wie bei Normalsichtigen, haben meine Augen Probleme mit dem Fixieren und sind dadurch unruhig.

Ich behelfe mir damit, dass ich bereits in Windows eine hohe Skalierung einstelle (170-190%). Dadurch wird das Bild horizontal grundsätzlich nicht wie bei Vergrößerungssoftware über den Bildschirmausschnitt hinaus vergrößert. Weitere Einstellungen nehme ich dann in den konkreten Programmen vor (große Schriften etwa bei Outlook, Zoom-Möglichkeiten etwa bei Word). Dies führt dazu, dass der konkrete Ausschnitt aber vergleichsweise klein ist. Dies kann zu Problemen führen, wenn das Bild insgesamt doch über die Bildschirmgröße vergrößert wird. Im schlechtesten Fall verschwinden dadurch Button, wenn eine Scrollmöglichkeit nicht gegeben ist. So war es früher bei dem Aktenverarbeitungsprogramm, das in der Niedersächsischen Sozialgerichtsbarkeit genutzt wird. Dies wurde aber, in Abstimmung mit dem Programmierer, behoben.

Allgemein lässt sich sagen, dass für eine Barrierefreiheit die Qualität der E-Akten eine große Rolle spielt. Ein über 1.000-seitigiges PDF-Dokument ohne jegliche Gliederung ist bereits für Normalsichtige schwer zu handeln. Mit einer Sehbehinderung wird dieses noch verstärkt. Momentan nutze ich dafür die Kommentierungsfunktion im Adobe-Reader, um meine eigene Gliederung vorzunehmen. Eine OCR-Scannung, mit der innerhalb des Dokuments gesucht werden kann, ist sehr hilfreich (aber aktuell auch nicht flächendeckend vorhanden). Insgesamt müssen in dem Umstellungsprozess Techniken, wie das Querlesen und das Durchblättern von Akten neu erlernt werden. Das ist bereits für Normalsichtige nicht trivial, für Menschen mit Sehbehinderung ist es nochmal komplexer. Teilweise können hierbei Miniaturansichten helfen, allerdings verkleinern diese dann das Hauptsichtfeld, was durch die oben beschriebenen Einstellungen bei mir ohnehin in seinem Ausschnitt verkleinert ist.

Es zeigt sich, dass bei der Digitalisierung noch Luft nach oben ist. Allgemein, aber insbesondere auch, was die Barrierefreiheit angeht. Der Umstellungsprozess wird uns alle wohl noch länger begleiten.