BGH: Feierabend trotz ERV-Störung?

Kommt es zu Störungen des elektronischen Rechtsverkehrs, sieht das Gesetz eine Ersatzeinreichung vor, § 130d S. 2-3 ZPO. Die Einreichung kann also auf einem beliebigen anderen prozessrechtlich vorgesehenen Wege erfolgen – per Post, Fax oder Bote. Fraglich war lang, auf welchen Zeitpunkt es für die Beurteilung ankommt. Etwas mehr Klarheit bringt eine Entscheidung des BGH v. 25.5.2023 (V ZR 134/22). Die gute Nachricht ist: Auch wenn der elektronische Rechtsverkehr streikt, darf Feierabend gemacht werden.

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BAG: Bearbeitbar ist, was druckbar ist. Auch Word.

Bereits in einem Urteil vom 4. September 2020 – 1 S 29/20 hatte das LG Mannheim großzügig auch die Einreichung einer .docx – Datei, anstelle der eigentlich von § 2 Abs. 1 ERVV geforderten PDF, akzeptiert. Insbesondere das BAG dominierte die Rechtsprechung zu Formfragen seitdem und forderte bislang jedenfalls das Dateiformat PDF stets (BAG, Urteil vom 25.8.2022 – 6 AZR 499/21), nur in anderen Formfragen zeigte sich auch das BAG flexibel und folgte insoweit dem OLG Koblenz. Der BGH entschied mit Beschluss vom 19.10.2022 – 1 StR 262/22 – und folgte dem LG Mannheim. Diesen U-Turn vollzieht nun der 3. Senat des BAG (v. 29. Juni 2023 – 3 AZB 3/23) nach, jedenfalls für führende Papier-Gerichtsakten.

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Aktive Nutzungspflicht: Syndikusrechtsanwälte aufgepasst

Nicht einmal nutzungsberechtigt? „Zwei-Hut-Lehre“? Oder aktive Nutzungspflicht kraft Standesrecht? Ob und inwieweit Syndikusrechtsanwälte zur aktiven Nutzung des ERV verpflichtet und zur Verwendung ihres beA in Vertretung ihres Arbeitgebers waren, war lange heftig umstritten. Besonders brisant war diese Frage für Syndikusrechtsanwälte in prozessvertretenden Arbeitgeber- und Sozialverbänden. Das BAG (v. 23.5.2023 – 10 AZB 18/22) hat den Meinungsstreit nun entschieden: Es besteht stets eine aktive Nutzungspflicht. Im Gegenzug sind Syndikusrechtsanwälte auch berechtigt ihr (Syndikus-)beA für ihren Arbeitgeber zu nutzen.

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LG Köln: Wirksamkeit elektronischer Signaturen durch Erinnerung des Signierenden?

Die Entscheidung des LG Köln v. 4. Mai 2023 – 14 O 297/22 – ist sicher bereits in der Sache spannend genug, geht es doch um die Frage, ob Aufnahmen des Kölner Doms (und anderer historischer Gebäude) für gewerbliche Zwecke zulässig sind. Als Bonus-Frage musste sich die Kammer aber auch mit der Frage beschäftigen, unter welchen Voraussetzungen, die unterschriftsersetzenden qualifizierten elektronischen Signaturen des Spruchkörpers als wirksam angesehen werden können. Die von der Kammer gefundene Antwort hierauf überzeugt aber nicht.

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BFH: Aktive Nutzungspflicht für Steuerberater bestand seit 1.1.2023

Wahrscheinlich eine bittere Entscheidung für einige Steuerberaterinnen und Steuerberater hat der BFH am 28.4.2023 (XI B 101/22) getroffen. Die aktive Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs gem. § 52d FGO mit dem besonderen elektronischen Steuerberaterpostfach (beSt) bestand für sie bereits zum 1.1.2023. In der Rechtsprechung und Literatur war dies bisher umstritten, weil die Registrierungsbriefe teilweise deutlich später versandt wurden.

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Bayerisches LSG: Ein Stempel macht noch keinen Eingang

§ 130a Abs. 5 S. 1 ZPO (= § 65a Abs. 5 S. 1 SGG) ist eindeutig: Es kommt auf den elektronischen Eingang „auf der Empfangseinrichtung des Gerichts an“. Ob das Gericht auch einen Eingangsstempel angebracht hat, ist dagegen unerheblich. Das gilt erst Recht, wenn der Stempel das falsche Datum ausweist. Mit einem solchen Fall musste sich das Bayerische LSG (v. 30.3.2023 – L 4 P 76/22) beschäftigen und wies auf die Berufung das Verfahren zur erneuten Entscheidung in die ersten Instanz zurück

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BGH: Keine (sofortige) Prüfpflicht der Gerichte auf ERV-Formmängel

Der BGH (v. 19.1.2023 – V ZB 28/22) meint, es sei nicht zu beanstanden, wenn das Gericht erst bei Bearbeitung des Falles und damit nach Ablauf der Fristen die Zulässigkeit eines Rechtsbehelfs und dabei auch die Einhaltung der Form überprüft. Die gerichtliche Fürsorgepflicht gebiete es lediglich, die Partei auf einen leicht erkennbaren Formmangel – wie das vollständige Fehlen einer zur Fristwahrung erforderlichen Unterschrift – hinzuweisen und ihr gegebenenfalls Gelegenheit zu geben, den Fehler fristgerecht zu beheben. Im Rahmen der sog. Containersignatur-Rechtsprechung im Jahr 2018 war der BGH hier noch strenger mit den Gerichten und großzügiger mit den Beteiligten gewesen.

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BayObLG: Einfache Signatur und qeS dürfen nicht auseinanderfallen

Hinsichtlich der elektronischen Übermittlungswege differenziert das Gesetz in § 32a Abs. 3 StPO (= § 130a Abs. 3 ZPO) seit dem 1.1.2018 zwischen „sicheren Übermittlungswegen“ und anderen zugelassenen elektronischen Übermittlungswegen mit Auswirkungen darauf, ob eine qualifizierte elektronische Signatur erforderlich ist oder eine so genannte einfache Signatur ausreicht. „Sichere Übermittlungswege“ sind solche, die aufgrund technischer Verfahren die Feststellung der Identität des Absenders und damit die Authentizität der Nachricht absichern. Eigentlich also zwei unterschiedliche Formvorschriften, die nebeneinander stehen. Das BayObLG (v. 19.01.2023 – 207 StRR 2/23) ist hier aber anderer Meinung; es verlangt jedenfalls, dass eine einfache Signatur und eine gleichzeitig angebrachte qualifizierte elektronische Signatur übereinstimmen müssen.

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BGH vs. BAG: ERV-Einreichung in Word möglich?

In einem Urteil vom 4. September 2020 – 1 S 29/20 hat das LG Mannheim großzügig auch die Einreichung einer .docx – Datei, anstelle der eigentlich von § 2 Abs. 1 ERVV geforderten PDF, akzeptiert. Diese Entscheidung blieb ein Einzelfall. Insbesondere das BAG dominierte die Rechtsprechung zu Formfragen seitdem und forderte jedenfalls das Dateiformat PDF stets (BAG, Urteil vom 25.8.2022 – 6 AZR 499/21), nur in anderen Formfragen zeigte sich auch das BAG flexibel und folgte insoweit dem OLG Koblenz. Überraschend hat nun der BGH mit Beschluss vom 19.10.2022 – 1 StR 262/22 – entschieden und folgt dem LG Mannheim.

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BGH zum Zeitpunkt des Zugangs elektronischer Nachrichten – Update 17.3.2024

Der Zugang elektronischer Nachrichten richtet sich zunächst nach den allgemeinen Zugangsvoraussetzungen „unter Abwesenden“, geregelt in § 130 Abs. 1 BGB. Entscheidend ist also, dass sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Der BGH hat diesen Zeitpunkt nun für eine geschäftliche E-Mail näher eingekreist (BGH v. 6.10.2022 – VII ZR 895/21).

Update (17.3.2024): Das OLG Hamm (v. 22.2.2024 – 22 U 29/23) hat sich auch für das beA dieser Auffassung angeschlossen. Insbesondere kommt es beim beA nicht auf die Benachrichtigungs – E-Mail an, sondern auf dem Intermediär (und damit auf die automatisierte Eingangsbestätigung gem. § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO).

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