Aktive Nutzungspflicht auch für Syndikusrechtsanwälte

Der Eintritt der aktiven Nutzungspflicht zum 1.1.2022 steht vor der Tür, da wird in der Arbeitsgerichtsbarkeit noch ein Problemfeld aufgerissen. Gilt die aktive Nutzungspflicht auch für Syndikusrechtsanwälte? Gerade in der Arbeitsgerichtsbarkeit hat diese Fragestellung eine erhebliche Sprengkraft, weil die hier prozessvertretenden Verbände häufig Syndikusrechtsanwältinnen und -rechtsanwälte anstelle, gerade auch mit dem Zwecke der Prozessvertretung. Schon kündigen einige Verbände an, sicherheitshalber elektronisch und per Telefax einzureichen. Elektronisch, falls die aktive Nutzungspflicht gilt, und per Telefax, sollten Syndikusrechtsanwälte gar nicht zu beA-Nutzung in der Vertretung des Verbands berechtigt sein. Dabei war doch die gesetzgeberische Intention klar – und damit auch das Ergebnis: Es gilt auch eine aktive Nutzungspflicht für Syndikusrechtsanwälte. In diesem Sinne hat mittlerweile auch das ArbG Stuttgart entschieden (Beschluss vom 15.12.2021 – 4 BV 139/21).

Ausgangspunkt des Meinungsstreits

Der Streitstand lässt sich letztlich auf drei kürzlich erschienene Zeitschriftenbeiträge zurückführen:

  • Heimann/Steidle (NZA 2021, 521) sehen eine berufsrechtliche passive Nutzungspflicht des Syndikusrechtsanwalts und eine aktive Nutzungspflicht. Den Verband selbst treffe dagegen keine aktive Nutzungspflicht; Folge sei, dass alle andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verbands konventionell einreichen dürften. Die fehlende aktive Nutzungspflicht des Verbands hindere dagegen nicht die Verpflichtung des Syndikusrechtsanwalts, weil sich diese aus seiner persönlichen Stellung als Berufsträger ergebe. Seine anwaltlichen Privilegien korrespondierten mit seinen berufsrechtlichen Pflichten.
  • Schrade/Elking (NZA 2021, 1675) vertreten die Gegenauffassung. Sie greifen zunächst auf eine Entscheidung der Präsidentinnen und Präsidenten der Landesarbeitsgerichte zurück, das dann verfügbare eBO der Verbände erst ab dem 1.1.2024 initiativ zu beschicken. Eine aktive Nutzungspflicht sehen sie erst ab 1.1.2026. Erst dann bestehe eine solche Verpflichtung nämlich durch die Änderung des § 46g ArbGG aufgrund des ERV-AusbauG für die Verbände selbst. Da aber der Verband prozessual vertretungsberechtigt sei, nicht der Syndikusrechtsanwalt, könne sich dessen berufsrechtlicher Status nicht prozessrechtlich auswirken. Er handele nicht „als Rechtsanwalt“, wenn er für den Verband tätig werde. Dementsprechend könne der Syndikusanwalt aber auch sein beA nicht als sicheren Übermittlungsweg für den Verband nutzen. Wolle er daher elektronisch einreichen, müsse er jedenfalls qualifiziert elektronisch signieren. Die Privilegierung eines sicheren Übermittlungswegs habe der Verband erst ab Nutzung des eBO. Dieses sollte daher bereits vor dem 1.1.2024 eingesetzt werden.
  • Putz (NZA 2018, 14) vertrat bereits vor dem oben dargestellten Meinungsstreit eine vermittelnde Auffassung. Er meint letztlich, es bestünde ein Wahlrecht: Trete der Syndikusrechtsanwalt erkennbar als Rechtsanwalt auf, bestünden auch seine berufsrechtlichen Pflichten – passive und aktive Nutzungspflicht. Sei dagegen ein Außenauftritt als Rechtsanwalt nicht gegeben, sei er einem nicht zugelassenen Verbandsmitarbeiter gleichgestellt.

Einordnung

Diesen Meinungsstreit erbringt der Akzeptanz des elektronischen Rechtsverkehrs gerade in der Arbeitsgerichtsbarkeit einen Bärendienst und dürfte zu erheblichem Mehraufwand in den Geschäftsstellen der Gerichte führen, wenn die Verbände tatsächlich elektronisch und per Fax einreichen. Die Arbeitsgerichte mit Papiergerichtsakten müssen zusätzlich drucken, die Arbeitsgerichte mit elektronischen Akten haben zumindest den Zuordnungsaufwand der Faxe und schlimmstenfalls sogar Scanaufwände, wenn kein digitales Telefaxsystem verwendet wird. Wie stets bei einer Doppeleinreichung bleibt ferner am Richterarbeitsplatz zumeist nur die bange Hoffnung, dass beide Schriftsätze wirklich vollständig identisch sind – beide (wahrscheinlich identischen) Schriftsätze lesen und vergleichen, mag sicher niemand.

Genau in diesem Problem liegt auch die Lösung. Letztlicher Sinn und Zweck des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs ist die zwangsweise Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs mit dem Ziel möglichst sämtliche Korrespondenz digital in die Gerichte zu bekommen – mit dem Ergebnis, dass ohne Medienbrüche (und damit personell aufwändige Scanprozesse) elektronische Gerichtsakten entstehen können. Dessen Gesetzesbegründung führt dazu folgendes aus:

Denn selbst bei freiwilliger Bereitschaft einer Mehrheit der
Rechtsanwälte, würde die Nichtnutzung durch eine qualifizierte Minderheit immer noch zu erheblichen Druck- und Scanaufwänden bei den Gerichten und bei Rechtsanwälten führen, welche die Vorteile des elektronischen Rechtsverkehrs nutzen wollen. Die Justiz müsste genauso wie ihre
Kommunikationspartner mit erheblichen Investitionen in Vorlage treten, ohne die Gewissheit zu haben, dass tatsächlich die für einen wirtschaftlichen Betrieb erforderliche Nutzung erfolgt.

Zu diesem Gesetzeszweck kann man sicher geteilter Meinung sein. Aber genau vor diesem Hintergrund ist die gerichtliche Regelung dort auszulegen, wo es Auslegungsbedarf gibt: Der Gesetzgeber will möglichst viele (professionelle) Verfahrensbeteiligte zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs verpflichten.

Hierzu gehören selbstverständlich auch die Verbände. Dies wurde hinsichtlich ihrer passiven Nutzungspflicht auch ganz überwiegend gestützt auf § 174 Abs. 3 S. 4 ZPO aF so vertreten; die Verbände hätten bereits seit 1.1.2018 einen sicheren Übermittlungsweg einrichten müssen:

Die in Absatz 1 Genannten haben einen sicheren Übermittlungsweg für die Zustellung elektronischer Dokumente zu eröffnen.

Die Verbände waren zweifelsfrei „sonstige Zuverlässige“ im Sinne des Abs. 1. Als sicherer Übermittlungsweg hätte – mangels eBO – freilich nur vor allem die ungeliebte De-Mail zur Verfügung gestanden. Oder eben ein beA eines Syndikusrechtsanwalts.

§ 174 Abs. 3 S. 4 ZPO aF war vom Gesetzgeber freilich sanktionslos ausgestaltet worden. Die eigentlich bestehende passive Nutzungspflicht wurde daher weitgehend durch Nichteinrichtung eines sicheren Übermittlungswegs ausgehebelt. Initiativ in die beAs von Syndikusanwälten zuzustellen trauten sich nur die wenigstens Bundesländer – dabei wäre selbst dies durchaus schonend gewesen, weil die elektronische Zustellung ja nur gegen (e)EB erfolgt wäre und damit ohne mitwirkungsabhängig.

Fazit

Ein Blog-Beitrag bietet nicht die Gelegenheit die vertiefte fachliche Diskussion der og Beiträge nochmals zu erörtern. Andererseits liegt das Ergebnis möglicherweise auch ohne große systematische Einordnung der Normen der BRAO und des ArbGG verhältnismäßig nah:

Mit Heimann/Steidle (NZA 2021, 521) ist von einer passiven und aktiven Nutzungspflicht von Syndikusrechtsanwälten auszugehen. Dies ohne „Wahlmöglichkeit“ – ein Syndikusrechtsanwalt bleibt ein Syndikusrechtsanwalt, unabhängig von seinem Außenauftritt. Selbstverständlich darf er auch seinerseits ihr beA mit Wirkung für und gegen den Verband als sicheren Übermittlungsweg – d.h. ohne qualifizierte elektronische Signatur – nutzen. Gerade dafür ist den Syndikusrechtsanwälten ja ein zweites beA eingerichtet; dieser Einrichtung hätte es ansonsten nicht bedurft.

Wesentlich für diese zutreffende Auffassung ist der oben dargestellte Sinn und Zweck der aktiven Nutzungspflicht.

Eines Rückgriffs auf den Sinn und Zweck bedarf es aber angesichts des klaren Wortlauts des § 46 S. 1 ArbGG gar nicht. Die aktive Nutzungspflicht gilt danach für alle Schriftsätze, die „durch einen Rechtsanwalt“ eingereicht werden. In welcher Rechtsbeziehung der Rechtsanwalt zu dem Rechtsstreit steht, spielt daher für die aktive Nutzungspflicht (im Hinblick auf die ratio der Norm konsequenterweise) keine Rolle. Es kommt nur auf seine besondere berufliche Eigenschaft, seine Stellung als Organ der Rechtspflege, seine Kammerzugehörigkeit und aus letzterer ergebend der zur Verfügungstellung eines beA an. Die Rechtsanwaltschaft ist im eJustice-Gesetz gerade aufgrund ihrer besonderen berufsrechtlichen Stellung auch den spezifischen Pflichten ausgesetzt geworden, letztlich in Vorleistung bei der Digitalisierung zu treten.

Berufsrechtlich ist ein Syndikusrechtsanwalt aber gerade ein Rechtsanwalt, spätestens seitdem die §§ 46 ff. BRAO zum 1.1.2016 geändert worden sind. Dies gilt erst Recht im Arbeitsrecht, weil dort tatsächlich das wesentliche Aufgabenfeld der Syndikusrechtsanwältinnen und -rechtsanwälte in Verbänden in der Prozessvertretung liegt.

Schade also, das hier überhaupt Diskussionen aufgekommen sind. So war das eJustice-Gesetz nicht gedacht. Aber so sind die Rechtswissenschaften nunmal. Die hieraus resultierenden Mehraufwände dürften vor allem die erstinstanzlichen Arbeitsgerichte treffen. Es steht zu hoffen, dass das BAG schnell für Klärung sorgt. Bis das eBO flächendeckend etabliert ist, dürften ansonsten die Telefaxe der Arbeitsgerichte völlig unnötigerweise heiß laufen.

Oder wäre das evtl. der richtige Zeitpunkt die Telefaxe der Gerichte abzuschalten?

Die digitale Lösung

Elektronisches Weiterarbeiten ist auch für Syndikusrechtsanwälte auch ohne Telefax ohne Weiteres möglich, wenn die eingesandten Schriftsätze qualifiziert elektronisch signiert werden. Dann kommt auf gar nicht darauf an, ob das Syndikus-beA ein sicherer Übermittlungsweg ist, weil die Form des § 46c Abs. 3 ArbGG dann durch die qeS (Abs. 3 1. Var.) gewahrt wird. Und eine ggf. bestehende aktive Nutzungspflicht wird darüber auch eingehalten.

Update 19.12.2021 – Erste Entscheidungen

Eine erste sehr gut begründete Entscheidung – im Sinne auch der hier vertretenen Auffassung – kommt vom ArbG Stuttgart (Beschluss vom 15.12.2021 – 4 BV 139/21): 4-BV-139-21

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts