Aktive Nutzungspflicht: Syndikusrechtsanwälte aufgepasst

Nicht einmal nutzungsberechtigt? „Zwei-Hut-Lehre“? Oder aktive Nutzungspflicht kraft Standesrecht? Ob und inwieweit Syndikusrechtsanwälte zur aktiven Nutzung des ERV verpflichtet und zur Verwendung ihres beA in Vertretung ihres Arbeitgebers waren, war lange heftig umstritten. Besonders brisant war diese Frage für Syndikusrechtsanwälte in prozessvertretenden Arbeitgeber- und Sozialverbänden. Das BAG (v. 23.5.2023 – 10 AZB 18/22) hat den Meinungsstreit nun entschieden: Es besteht stets eine aktive Nutzungspflicht. Im Gegenzug sind Syndikusrechtsanwälte auch berechtigt ihr (Syndikus-)beA für ihren Arbeitgeber zu nutzen.

Wesentliche Gründe der Entscheidung

Ein Syndikusrechtsanwalt, der für einen Verband nach den Bestimmungen des ArbGG und der BRAO erlaubte Rechtsdienstleistungen gegenüber den Verbandsmitgliedern erbringt, ist berechtigt und verpflichtet, den elektronischen Rechtsverkehr aktiv zu nutzen, wenn er gegenüber einem Gericht tätig wird und beispielsweise ein Rechtsmittel einlegt.

Das BAG leitet die aktive Nutzungspflicht aus § 46g S. 1 ArbGG her (= § 130d S. 1 ZPO), also insbesondere nicht aus § 46d S. 2 ArbGG der den Verband betroffen hätte. Es kommt für das BAG richtigerweise daher auf die jeweilige Eigenschaft der handelnden Person (hier der Rechtsanwältin bzw. des Rechtsanwalts) an.

Das BAG hält insoweit bereits den Wortlaut für eindeutig.

Die aktive Nutzungspflicht ergebe sich aber auch aus dem systematischen Gesamtzusammenhang. Hierfür verweist der Senat insbesondere auf die Bestimmungen der BRAO, mit denen das (eigene) beA für Syndikusrechtsanwältinnen und -rechtsanwälte eingeführt wurde. Bei der Novelle der BRAO sei es gesetzgeberisches Ziel gewesen, die Syndikusrechtsanwaltstätigkeit gerade der anwaltlichen Tätigkeit im Übrigen weitgehend gleich zu stellen. Hierzu passe auch der erklärte Zweck des eJustice-Gesetzes, die „professionellen Verfahrensbeteiligten“ zum elektronischen Rechtsverkehr zu verpflichten, um die Digitalisierung der Justiz insgesamt zu stärken.

Ausgangspunkt des Meinungsstreits

Hintergrund des Meinungsstreits waren vor allem drei Beiträge:

  • Heimann/Steidle (NZA 2021, 521) sehen eine berufsrechtliche passive Nutzungspflicht des Syndikusrechtsanwalts und eine aktive Nutzungspflicht. Den Verband selbst treffe dagegen keine aktive Nutzungspflicht; Folge sei, dass alle andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verbands konventionell einreichen dürften. Die fehlende aktive Nutzungspflicht des Verbands hindere dagegen nicht die Verpflichtung des Syndikusrechtsanwalts, weil sich diese aus seiner persönlichen Stellung als Berufsträger ergebe. Seine anwaltlichen Privilegien korrespondierten mit seinen berufsrechtlichen Pflichten.
  • Schrade/Elking (NZA 2021, 1675) vertreten die Gegenauffassung. Sie greifen zunächst auf eine Entscheidung der Präsidentinnen und Präsidenten der Landesarbeitsgerichte zurück, das dann verfügbare eBO der Verbände erst ab dem 1.1.2024 initiativ zu beschicken. Eine aktive Nutzungspflicht sehen sie erst ab 1.1.2026. Erst dann bestehe eine solche Verpflichtung nämlich durch die Änderung des § 46g ArbGG aufgrund des ERV-AusbauG für die Verbände selbst. Da aber der Verband prozessual vertretungsberechtigt sei, nicht der Syndikusrechtsanwalt, könne sich dessen berufsrechtlicher Status nicht prozessrechtlich auswirken. Er handele nicht „als Rechtsanwalt“, wenn er für den Verband tätig werde. Dementsprechend könne der Syndikusanwalt aber auch sein beA nicht als sicheren Übermittlungsweg für den Verband nutzen. Wolle er daher elektronisch einreichen, müsse er jedenfalls qualifiziert elektronisch signieren. Die Privilegierung eines sicheren Übermittlungswegs habe der Verband erst ab Nutzung des eBO. Dieses sollte daher bereits vor dem 1.1.2024 eingesetzt werden.
  • Putz (NZA 2018, 14) vertrat bereits vor dem oben dargestellten Meinungsstreit eine vermittelnde Auffassung („Zwei-Hut-Lehre“). Er meint letztlich, es bestünde ein Wahlrecht: Trete der Syndikusrechtsanwalt erkennbar als Rechtsanwalt auf, bestünden auch seine berufsrechtlichen Pflichten – passive und aktive Nutzungspflicht. Sei dagegen ein Außenauftritt als Rechtsanwalt nicht gegeben, sei er einem nicht zugelassenen Verbandsmitarbeiter gleichgestellt.

Eine Zusammenfassung des Meinungsstands findet sich bei MüllerFA 2022, 62.

Folge für Verbände und weitere Arbeitgeber mit Syndikusrechtsanwälten

Sofern noch nicht geschehen, ist unverzüglich dafür Sorge zu tragen, dass insbesondere die aktive Nutzungspflicht beachtet wird. Ferner ist es unbedingt notwendig, das beA der beschäftigten Syndikusrechtsanwälte in die allgemeine Organisation der Korrespondenz miteinzubeziehen; idealerweise, in dem entsprechende Berechtigungen durch die Syndikusrechtsanwältin bzw. den Syndikusrechtsanwalt für Sekretariate bzw. andere Posteingangsstellen eingerichtet werden, ansonsten, in dem eine (eigentlich selbstverständliche) Verpflichtung für die Syndikusrechtsanwältin bzw. den Syndikusrechtsanwalt geschaffen wird, das beA regelmäßig zu überprüfen.

Im Übrigen sollte ein eigenes Postfach für den Verband bzw. den Arbeitgeber (vgl. LAG Düsseldorf v. 22.03.2023 – 12 TaBV 29/22) eingerichtet werden. Hierfür bietet sich insbesondere das elektronische Bürger- und Organisationenpostfach (eBO) an. Wird dieses den Gerichten mitgeteilt (vgl. auch § 130 Nr. 1a ZPO) sollten diese es jedenfalls regelmäßig auch nutzen.

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts