Viel Grundsätzliches zum ERV vom BAG

Mit Beschluss vom 25. April 2022 – 3 AZB 2/22 hat das BAG gleich mehrere grundsätzliche Formfragen im elektronischen Rechtsverkehr beantwortet und sich im Vergleich zu früheren Entscheidungen überraschende milde positioniert. Insbesondere enthält der Beschluss Hinweise zu den Anforderungen durchsuchbarer und kopierbarer Dokumente, sowie eingebetteten Schriftarten. Ferner äußert sich das BAG zur Wirksamkeit der ERVB und zu den Fristen des § 130a Abs. 6 ZPO.

Sachverhalt

In einem Verfahren vor dem Hessischen Landessarbeitsgericht (HLAG) hatte der Berufungsführer die Berufung zunächst mittels 2021 elektronisch eingereichten Schriftsatz zwar als PDF-Datei eingereicht, aber weder durchsuchbar, kopierbar noch mit sämtlich eingebetteten Schriftarten. Auf den einige Monate später nach einem Wechsel im Kammervorsitz erteilten Hinweis hat der Prozessbevollmächtigte den Schriftsatz erneut elektronisch eingereicht und die Identität mit dem früheren Schriftsatz „versichert“. Der nachgereichte Schriftsatz war nun durchsuchbar und kopierbar, erneut waren aber nicht alle Schriftarten eingebettet.

Das HLAG hat die Berufung als unzulässig verworfen. Das BAG hat nun auf die Revisionsbeschwerde die Entscheidung des HLAG aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Das BAG meint, das HLAG habe die Berufung der Klägerin zu Unrecht als unzulässig verworfen. Das HLAG habe die Anforderungen an eine zulässige Einlegung und Begründung der Berufung mittels elektronischer Dokumente jedenfalls iRd. § 130a Abs. 6 Satz 2 ZPO in der maßgeblichen Fassung überspannt. Mit ihrer auf Hinweis des Gerichts vom 5. Oktober 2021 erneut eingereichten Berufungs- sowie Berufungsbegründungsschrift nebst Versicherung deren Identität habe der Bevollmächtigte der Klägerin jedenfalls die danach anzuwendenden Vorgaben gewahrt.

Das ERV-AusbauG gilt erst ab 1.1.2022 – dann aber mit großer Formerleichtung

Das BAG leitet mit der wenig überraschenden Feststellung ein, dass das ERV-AusbauG mit seinen Formerleichterungen erst ab dem 1.1.2022 – seinem Inkrafttretenszeitpunkt gilt. Insoweit bleibt es bei dem allgemeinen Grundsatz, dass Prozessrecht ex nunc Wirkung entfaltet.

Dass der Gesetzgeber die Rechtslage inzwischen „klargestellt“ und nunmehr in der Begründung des Ausbaugesetzes ausführt, es sei auch nach altem Recht nicht um eine rein formale Prüfung gegangen (BT-Drs. 19/28399 S. 33 f.), ist dagegen unerheblich.

Mit dem Ausbaugesetz hat der Gesetzgeber die ua. in § 130a Abs. 2 ZPO und § 46c ArbGG enthaltenen Verordnungsermächtigungen sowie die in § 130a Abs. 6 ZPO und § 46c Abs. 6 ArbGG enthaltenen Hinweispflichten umformuliert. Die Verordnungsermächtigung erstreckt sich zwar weiter auf die technischen Rahmenbedingungen für die Übermittlung und der Eignung zur Bearbeitung. Anders als in der vorherigen Fassung der Normen (beruhend auf dem Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013, BGBl. I S. 3786, Art. 1 Nr. 2 und Art. 3 Nr. 2) erstreckt sich die Hinweispflicht nur noch auf die Eignung zur gerichtlichen Bearbeitung, nicht mehr auf „die geltenden technischen Rahmenbedingungen“ (Art. 1 Nr. 3 Buchst. b und d sowie Art. 8 Nr. 1 Buchst. b und d Ausbaugesetz). Gleichzeitig hat der Gesetzgeber die Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung geändert (Art. 6 des Ausbaugesetzes). § 2 Abs. 2 ERVV verlangt danach nur noch, dass die Dokumente den Standards des § 5 ERVV entsprechen „sollen“ und nicht mehr „müssen“. Zudem spricht § 5 ERVV nur noch von „Standards“. Rein formale Verstöße gegen die ERVV führen danach nicht zur Unwirksamkeit des Eingangs. Die Unwirksamkeit soll vielmehr nur eintreten, wenn das Dokument konkret nicht zu bearbeiten ist (BT-Drs. 19/28399 S. 33 f.). Es kommt auf die „konkrete Eignung zur Bearbeitung durch das Gericht an“ (BT-Drs. 19/28399 S. 34). Zwingend ist danach „nur noch“ die Übermittlung im Format PDF (BT-Drs. 19/28399 S. 40). Das Gericht muss das Dokument, soweit es konkret bearbeitet werden kann, daher zulassen, auch wenn die Standards nicht eingehalten sind (BT-Drs. 19/28399 S. 40). Demgegenüber ist es zurückzuweisen, wenn es nach dem – konkreten – Stand der maßgeblichen elektronischen Aktenbearbeitung nicht ohne zwischenzeitliches Ausdrucken bearbeitbar ist.

Das BAG klärt damit en passant, auf welche großen Formerleichterungen sich Verfahrensbeteiligte ab dem 1.1.2022 freuen können. Kommt das Gericht mit einem Schriftsatz faktisch zu Recht – und gerade bei papiergebunden arbeitenden Gerichten nimmt das BAG dies regelhaft an -, kommt es auf digitale Details nicht mehr an.

Ob dies eventuell sogar rückwirkend gelten kann, lässt das BAG offen, argumentiert aber – unter Zitierung des BVerfG – deutlich dagegen:

Allerdings hat das neue Recht mit dem Ausbaugesetz keine rückwirkende Geltung erhalten, vielmehr ist es insoweit erst zum 1. Januar 2022 in Kraft getreten und kann sich damit – wie gesehen – nur auf noch nicht abgelaufene Fristen zum 1. Januar 2022 beziehen. Es ist auch nicht geeignet, die Auslegung der alten Rechtslage verbindlich vorzugeben.

Das Bundesverfassungsgericht hat einer rückwirkenden sog. authentischen Interpretation von Gesetzen durch den Gesetzgeber Grenzen gesetzt. Die in der Begründung des Gesetzesentwurfs in Anspruch genommene Befugnis des Gesetzgebers zur authentischen Interpretation ist für die rechtsprechende Gewalt nicht verbindlich. Denn die Befugnis zur verbindlichen Auslegung von Gesetzen ist nach dem Grundgesetz der rechtsprechenden Gewalt vorbehalten, die nach Art. 92 GG den Richtern anvertraut ist (BVerfG 25. März 2021 – 2 BvL 1/11 – Rn. 78, BVerfGE 157, 177). Der Gesetzgeber ist zwar befugt, im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung zu handeln, zu der auch die aus den Grundrechten und dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Grenzen für rückwirkende Rechtsetzung gehören, und dabei gegebenenfalls eine Rechtsprechung zu korrigieren, mit der er nicht einverstanden ist. Er kann diese Ausgangslage und die Prüfungskompetenz der Gerichte aber nicht durch die Behauptung unterlaufen, seine Norm habe klarstellenden Charakter. Eine durch einen Interpretationskonflikt zwischen Gesetzgeber und Rechtsprechung ausgelöste Normsetzung ist nicht anders zu beurteilen als eine durch sonstige Gründe veranlasste rückwirkende Gesetzesänderung (BVerfG 21. Juli 2010 – 1 BvL 11/06 ua. – Rn. 73, BVerfGE 126, 369). Diese Grundsätze greifen auch, wenn der Gesetzgeber meint missverstanden worden zu sein.

Mängelbehebung hat Zeit bis zum gerichtlichen Hinweis

Mit begrüßenswerter Deutlichkeit stellt das BAG fest, was bislang schon herrschende Meinung in der Kommentarliteratur war: Die „Unverzüglichkeits-Frist“ der Nachreichung im Rahmen des § 130a Abs. 6 ZPO zur Mängelbehebung läuft erst dann, wenn das Gericht auf den Bearbeitbarkeits-Mangel hingewiesen hat.

Einreicher können sich daher nach der Einreichung verhältnismäßig entspannt zurücklehnen. Solange das Gericht nicht auf einen Mangel der Bearbeitbarkeit hingewiesen hat, muss nicht gefürchtet werden, dass der Rechtsbehelf als unzulässig behandelt wird. Erst nach dem Hinweis muss der Einreichende reagieren – dann aber wirklich unverzüglich und unter Behebung des monierten Mangels.

Dass der Hinweis des Gerichts selbst möglicherweise nicht mehr unverzüglich erfolgt ist, ist unerheblich. Weder entbindet es die Klägerin von ihrer Obliegenheit, nach einem Hinweis unverzüglich die im Gesetz vorgesehenen Maßnahmen zur Heilung eines Formverstoßes zu ergreifen, noch macht es dies der Klägerin unmöglich, den Formmangel zu heilen. Zwar verlangt § 130a Abs. 6 Satz 1 ZPO aF einen unverzüglichen Hinweis des Gerichts. Allerdings kann der nicht mehr unverzügliche Hinweis des Gerichts der nachreichenden Partei nicht zum Nachteil gereichen. Der Hinweis ist keine Voraussetzung für die Notwendigkeit der Fristwahrung der Partei nach § 130a Abs. 6 Satz 2 ZPO aF. Danach muss allein der Nachreichende unverzüglich handeln. Der unverzügliche Hinweis des Gerichts dient allein dazu, ein Handeln der Partei innerhalb der noch nicht abgelaufenen Frist oder aber nach Satz 2 zu ermöglichen. Umgekehrt lässt der nicht unverzüglich erfolgte Hinweis die gesetzlichen Heilungsmöglichkeiten nicht entfallen. Die Position der Gegenpartei ist nicht schutzbedürftig. Sie kann im Fall eines nicht mehr unverzüglichen Hinweises des Gerichts nicht darauf vertrauen, der Formfehler wirke sich zu ihren Gunsten aus.

ERVB durfte nicht die Einbettung aller Schriftarten anordnen

Einen Paukenschlag enthält die Entscheidung hinsichtlich des gerade in der Arbeitsgerichtsbarkeit gefürchteten Mangels hinsichtlich der Einbettung sämtlicher Schriftarten. Hier meint das BAG, der Gesetzgeber habe dies – jedenfalls nicht (bloß) in den ERVB – anordnen dürfen; das BAG spricht damit letztlich ein Thema an, denen sich bislang vor allem das OLG Koblenz unter leicht anderem Blickwinkel gewidmet hatte:

Als Grundlage für das Erfordernis der Einbindung der Schriftart kann daher nur Nr. 1 Satz 1 ERVB 2019 herangezogen werden. Weder in § 130a ZPO aF noch in der ERVV aF sind Vorgaben enthalten, die sich auf die Einbettung der Schriftart beziehen. Das unterscheidet dieses Erfordernis möglicherweise von den Anforderungen nach der ERVB 2018 und ihren sonstigen Ergänzungen in der ERVB 2019, denen man mit guten Gründen einen rein deklaratorischen Charakter zusprechen könnte.

Die ERVB 2019 kann – selbst wenn man sie als Rechtsnorm ansähe – nicht die erforderliche Rechtsgrundlage für das Erfordernis der Einbettung aller Schriftarten liefern.

Aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) leitet sich ein Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz im materiellen Sinne für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten ab. Die Rechtsschutzgewährung durch die Gerichte bedarf einer normativen Ausgestaltung durch eine Verfahrensordnung. Dabei kann der Gesetzgeber Regelungen treffen, die für ein Rechtsschutzbegehren besondere formelle Voraussetzungen vorsehen und sich dadurch für den Rechtsuchenden einschränkend auswirken. Diese Grundsätze gelten nicht nur für den ersten Zugang zum Gericht, sondern für die Ausgestaltung des gesamten Verfahrens (BVerfG 4. September 2020 – 1 BvR 2427/19 – Rn. 24 f.). Nur durch eine wirksame Rechtsnorm dürfen deshalb Anforderungen an den Zugang zum Gericht oder einer höheren Instanz gestellt werden. Dafür kommen nur förmliche Gesetze und auf gesetzlicher Grundlage beruhende Rechtsverordnungen in Betracht (vgl. BVerfG 10. Juli 1958 – 1 BvF 1/58 – zu III 3 a der Gründe, BVerfGE 8, 71).

Wenn der Gesetzgeber die Exekutive zum Erlass einer Rechtsverordnung ermächtigt, steht es dieser daher auch nicht frei, sich ohne ausdrückliche Ermächtigung hierzu von den in der Ermächtigungsgrundlage bestimmten materiellen oder formellen Anforderungen ganz oder teilweise durch eine Selbstermächtigung zu entbinden oder eine Ermächtigung zu einer anderen Regelungsform als durch Rechtsnorm etwa einer Verwaltungsvorschrift vorzusehen. Dies führte sonst zu einer wesentlichen formellen Änderung gegenüber der ursprünglichen Ermächtigungsgrundlage (BFH 24. November 1993 – X R 5/91 – zu IV 1 a der Gründe, BFHE 173, 519).“ […]

Die Vorschrift der Nr. 1 Satz 1 ERVB 2019 stellt keine wirksame gesetzliche Regelung in diesem Sinne dar und ist damit unverbindlich.

So oder so: Es bleibt bei dem Praxishinweis, sicherheitshalber als PDF/A einzureichen. Damit kann unabhängig von den Ansichten der jeweiligen Gerichten, fast sämtlichen Problemen aus dem Weg gegangen werden.

Bei Papierakte gilt: Bearbeitbar ist, was ausdruckbar ist

Solange bei einem Gericht die elektronische Akte noch nicht iSd. § 298a Abs. 1 ZPO elektronisch geführt wird, also alle elektronischen Dokumente nach ihrem Eingang weiter ausgedruckt werden, sind diese Dokumente aufgrund der Ausdrucke für die Bearbeitung durch die Gerichte grundsätzlich geeignet. § 298 Abs. 1 ZPO bestimmt, dass von einem elektronischen Dokument – mit einer Ausnahme für Anlagen nach Satz 2 – ein Ausdruck für die Papierakte zu fertigen ist. In diesem Ausnahmefall sind allein die nicht ausgedruckten Dateien dauerhaft zu speichern und deren Ort aktenkundig zu machen.

Bei der führenden Papierakte bestehen Anhaltspunkte, dass der Ausschluss druckbarer elektronischer Dokumente nicht mehr aus Sachgründen zu rechtfertigen ist und den Zugang zur nächsten Instanz unzumutbar einschränkt. Zwar erleichtert das kopier- und durchsuchbare elektronische Dokument die digitale Arbeit in der elektronischen Akte. Aber die gerichtliche Arbeit der Aktenführung ist durch nicht für elektronische Bearbeitung geeignete elektronische Dokumente im Kern nicht beeinträchtigt. Gleiches gilt für das mit elektonischen Anforderungen verbundene Ziel, den elektronischen Rechtsverkehr zu fördern, eine rechtssichere und schnelle Kommunikation mit den Gerichten und – zumindest langfristig – die Porto- und Druckkosten zu reduzieren (dazu BVerfG 20. Dezember 2017 – 1 BvR 2233/17 – Rn. 12 unter Hinweis auf BT-Drs. 17/12634 S. 1 bis 6). Wenn zudem in anderem Zusammenhang eine E-Mail mit eingescannter Unterschrift und auch ein nicht den Anforderungen des § 130a Abs. 1 ZPO aF entsprechender Schriftsatz mit seinem Ausdruck die von der Verfahrensordnung geforderte Schriftform einhält (BGH 8. Mai 2019 – XII ZB 8/19 – Rn. 16), muss dies möglicherweise erst recht gelten, wenn der grundsätzlich wirksam aus dem beA gesandte Schriftsatz „nur“ nicht kopier- oder durchsuchbar, aber offenkundig druckbar ist. Jedenfalls im Zeitpunkt des Ausdruckens handelte es sich nach dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs um einen ausreichenden Schriftsatz iSd. § 130 ZPO.

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts