ERV-AusbauG passiert den Bundesrat

Am 17. September 2021 hat der Bundesrat das Gesetz zum weiteren Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs (ERV-AusbauG) beschlossen. Das Gesetz tritt am 1. des dritten auf die Verkündung folgenden Monats – voraussichtlich also am 1. Januar 2022 – gleichzeitig mit der aktiven Nutzungspflicht in Kraft.

Das ERV-AusbauG enthält einige durchaus wesentliche Nachjustierungen im elektronischen Rechtsverkehr:

Dateiformat

§ 130a Abs. 2 Satz 2 ZPO wird wie folgt eingefügt werden:

Die Bundesregierung bestimmt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates technische Rahmenbedingungen für die Übermittlung und Eignung zur Bearbeitung durch das Gericht.

Hierdurch will der Gesetzgeber klarstellen, dass es der Regelung der ERVV nur nicht um eine rein formale Prüfung geht. Formunwirksamkeit soll nur dann eintreten, wenn der Verstoß dazu führt, dass im konkreten Fall eine Bearbeitung durch das Gericht nicht möglich ist. Demgegenüber sollen rein formale Verstöße gegen die ERVV dann nicht zur Formunwirksamkeit des Eingangs führen, wenn das Gericht das elektronische Dokument gleichwohl bearbeiten kann. Nur bei Einhaltung der Voraussetzungen der ERVV/ERVB hat der Einreicher daher die Garantie der Formwirksamkeit. Hält er die Voraussetzungen dagegen nicht ein, ist der Schriftsatz nicht automatisch formunwirksam, sondern nur dann, wenn das Gericht den Schriftsatz tatsächlich nicht bearbeiten kann.

Neue sichere Übermittlungswege: eBO und OZG-Nutzerkonten

Wesentlicher Inhalt des Referentenentwurfs ist die Zurverfügungstellung sicherer Übermittlungswege für zusätzliche Personengruppen:

§ 130a Abs. 4 Nr. 4 ZPO führt das elektronische Bürger- und Organisationspostfach (eBO) ein. Es handelt sich um eine EGVP-basierte Kommunikation. Das Postfach wird gem. § 11 Abs. 1 ERVV durch eine Landesbehörde freigeschaltet, nachdem der Postfachinhaber ein Identifizierungsverfahren gem. § 11 Abs. 2 ERVV durchlaufen hat. Hierfür sind bspw. der Identitätsnachweis des (neuen) Personalausweises, ein qualifiziertes elektronisches Siegel oder ein Identifizierungsverfahren bei einem Notar vorgesehen.

§ 130a Abs. 4 Nr. 5 ZPO verbindet die Justizkommunikation mit den Nutzerkonten nach dem Onlinezugangsgesetz (OZG). Insbesondere der Bürger kann also die dann bereits bestehenden Zugänge zu Verwaltungsportalen auch für das Prozessrecht nutzen.

Ab 2026: Aktive Nutzungspflicht für weitere (professionelle) Verfahrensbeteiligte
Aktive Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs bedeutet, dass (schrift-)formwahrend Schriftsätze nur noch in elektronischer Form den Gerichten übermittelt werden können. Rechtsgrundlage der aktiven Nutzungspflicht sind die §§ 55d VwGO, 65d SGG, 52d FGO und 46g ArbGG .

Anders als Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte gem. § 31a BRAO und Behörden mittelbar aufgrund der eGovernment-Gesetze und des Rechtsstaatsprinzips, ist bereits die passive Nutzungspflicht für andere Prozessbeteiligte – auch für Profis wie Arbeitgeberverbände, Sozialverbände, DGB-Rechtsschutz etc. – nicht ausdrücklich normiert, sondern nur sanktionslos im bisherigen § 174 Abs. 3 Satz 4 ZPO (= § 173 Abs. 2 ZPO) benannt. Insbesondere die Gewerkschaften und prozessvertretenden Verbände warteten daher trotz faktischer Verfügbarkeit elektronischer Kommunikationswege bislang eine gesetzliche Regelung ab. Die Nutzung der zur Verfügung stehenden De-Mail wurde bislang nicht als Alternative in Betracht gezogen. Gerade die hier für besonders notwendig erachtete Normierung einer passiven Nutzungspflicht für sämtliche professionelle Verfahrensbeteiligte wurde noch im Referentenentwurf versäumt.

Das ERV-AusbauG führt eine aktive Nutzungspflicht auch für einen breiteren Personenkreis ein, in dem die §§ 55d VwGO, 65d SGG, 52d FGO und 46g ArbGG entsprechend abgeändert werden. Allerdings erst mit Wirkung zum 1. Januar 2026.

Elektronischer Postausgang jetzt in § 173 ZPO

Für den elektronischen Postausgang gibt der Referentenentwurf dem elektronischen Rechtsverkehr mit § 173 ZPO erstmaligen eine eigenständige Normierung. Es bleibt beim Regelfall der Zustellung gegen (elektronisches) Empfangsbekenntnis mit zuverlässigen Empfängern. Bei anderen Empfängern wird in § 173 Abs. 4 ZPO dagegen erstmalig eine Zustellungsfiktion eingeführt. Es kommt also zu einer Ungleichbehandlung von normativ als besonders zuverlässig angesehenen und anderen Adressaten. Für letztere wird mithin faktisch die von der Justiz sehnlich gewünschte „elektronische Zustellungsurkunde“ eingeführt.

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts