VG Halle: Kein formwirksames Weiterreichen von beA-Irrläufern

Die Klageschrift war an das Verwaltungsgericht adressiert, per beA abgesandt wurde sie aber an das Amtsgericht. Was genau geschah, bleibt im knappen Tatbestand unklar. Möglicherweise wurde auf § 55a Abs. 3 2. Var. VwGO (= § 130a Abs. 3 2. Var. ZPO) für die Versendung zurückgegriffen, dass nicht auf eine qualifizierte elektronische Signatur, sondern der Rechtsanwalt übersandte den Schriftsatz selbst mit einfacher Signatur aus seinem beA. Evtl. war aber auch eine vorhandene qeS nicht vom Amtsgericht an das VG weitergeleitet worden. Jedenfalls meint das VG Halle (v. 15.11.2021 – 5 A 235/21) durch den Eingang beim Amtsgericht sei der sichere Übermittlungsweg „unterbrochen“ gewesen und daher die Authentizität nicht mehr sicher prüfbar.

Wesentlicher Inhalt der Entscheidung

Grundsätzlich genügt für die formwahrende Einreichung eines elektronischen Dokuments – bspw. einer Klageschrift -, wenn das Dokument die einfache Signatur der verantwortenden Person trägt und von dieser selbst über ihren sicheren Übermittlungsweg (bspw. das besondere elektronische Anwaltspostfach – beA) dem Gericht übermittelt wird. Durch die eigene Versendung wird ein Vertrauenswürdiger Herkunftsnachweis (VHN) erzeugt – ein fortgeschrittenes elektronisches Zertifikat – mit dem sich der sichere Übermittlungsweg nachweisen lässt. Erkennbar ist das Vorhandensein des VHN über den Transfervermerk oder den Prüfvermerk.

Im Fall des VG Halle, konnte also das Amtsgericht, an den die Klageschrift versehentlich gesandt wurde, ohne Weiteres die „Formwirksamkeit“ prüfen, denn das Amtsgericht verfügte über den Transfervermerk bzw. Prüfvermerk.

Evtl. war sogar noch zusätzlich eine qualifizierte elektronische Signatur der einsendenden Rechtsanwältin am Dokument angebracht. Das wird aus dem Tatbestand (der spricht eher für eine qeS) in Zusammenhang mit den Entscheidungsgründen (dort meint das VG, jedenfalls es selbst habe keine qeS des Einsendenden, sondern nur das AG) nicht ganz deutlich. Möglicherweise war jedenfalls die qeS nicht vom AG an das VG weitergeleitet worden; dann hätte aber das VG diese dort anfordern können (müssen?).

So oder so: Was auch immer das VG hatte, es genügte ihm nach Weiterreichung der Klage durch das Amtsgericht nicht:

Ein Zwischenschalten einer anderen Stelle ist danach nicht vorgesehen. Auch gemäß § 4 Abs. 1 der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach – Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung vom 24. November 2017 (BGBl. I 3803) – ERV – darf ein elektronisches Dokument, das mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen ist, wie folgt übermittelt werden: 1. auf einem sicheren Übermittlungsweg oder 2. an das für den Empfang elektronischer Dokumente eingerichtete Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach des Gerichts über eine Anwendung, die auf OSCI oder einem diesen ersetzenden, dem jeweiligen Stand der Technik entsprechenden Protokollstandard beruht. Diese an eine wirksame elektronische Klageerhebung zu stellenden Anforderungen wurden vorliegend nicht gewahrt.

Das VG Halle behandelt das weiterleitende Amtsgericht damit letztlich wie ein Sekretariat, das das Dokument abgesandt hat. Bei Versendung über ein Sekretariat oder über einen Vertrenden hätte die absendende Rechtsanwältin das Dokument aber qualifiziert elektronisch signieren müssen, § 55a Abs. 3 1. Var. VwGO (= § 130a Abs. 3 1. Var. ZPO). Das VG fand aber nur eine qeS des Amtsgerichts, nicht der einsendenden Rechtsanwältin (prüfte dies aber wohl auch nicht beim AG nach).

An der fehlenden ordnungsgemäßen Klageerhebung vermag die elektronische Weiterleitung der Klageschrift durch das Amtsgericht nichts zu ändern. Die Weiterleitung des Irrläufers noch innerhalb der zweiwöchigen Klagefrist am 31. Mai 2021 per EGVP an das erkennende Gericht durch die Poststelle des Amtsgerichts Halle bewirkte lediglich einen noch fristgemäßen Eintritt der Rechtshängigkeit der Klage, nicht indes eine formgemäße Klageerhebung im Sinne des § 81 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 55a Abs. 3 und 4 VwGO innerhalb der Klagefrist. Denn die Weiterleitung der Klageschrift durch das Amtsgericht Halle vermochte nichts an der – einer wirksamen elektronischen Klageerhebung entgegenstehenden – Unterbrechung des sicheren Übermittlungsweges zu ändern. Das erkennende Gericht vermag aufgrund der Zwischenschaltung des Amtsgerichts Halle die Absenderauthentizität nicht mehr zu verifizieren. Es kann lediglich die Authentizität des Amtsgerichts Halle überprüfen, jedoch aufgrund des Bruchs in der Verschlüsselung der elektronischen Signatur – im Unterschied zu einem Papierschriftsatz – nicht mit der vom Gesetzgeber vorgegebenen Sicherheit den Urheber der Klageschrift festzustellen. Es ist nämlich weder die qualifizierte Signatur des absendenden Rechtsanwalts vorhanden, noch die auf sein beA verweisende Verschlüsselung im sicheren Übermittlungsweg.

Rechtshängigkeit war – da ist die Rechtsprechung eindeutig – durch die Einreichung einer an das VG adressierten Klageschrift beim AG noch nicht eingetreten:

Beim Amtsgericht Halle trat insofern keine Rechtshängigkeit ein. Nach § 90 Satz 1 VwGO wird die Streitsache durch Erhebung der Klage rechtshängig. Die Klage ist dabei mit der Einreichung einer den Anforderungen der §§ 81 f. VwGO entsprechenden Klageschrift beim Verwaltungsgericht erhoben (vgl. Bamberger, in: Wysk [Hrsg.], Verwaltungsgerichtsordnung, München 2011, § 90 Rn. 2). Keine wirksame Klageerhebung liegt vor, wenn die Klage – wie hier dem Amtsgericht Halle – einem nicht vom Adressatenwillen umfassten Gericht versehentlich zugeht. Unerheblich ist hierbei, ob die Klage trotz Adressierung an das zuständige Gericht versehentlich bei einem unzuständigen eingeht oder ob sie umgekehrt trotz Adressierung an ein unzuständiges Gericht ohne Nachfrage beim Adressaten dem zuständigen zugeleitet wird (vgl. Bamberger, in: Wysk [Hrsg.], a.a.O., § 81 Rn. 13).

Hier wollten die anwaltlich vertretenen Kläger zweifelsfrei nicht das Amtsgericht Halle, sondern das in der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Bescheides bezeichnete erkennende Gericht anrufen. Das ergibt eine Auslegung der Klageschrift nach den für die Auslegung von Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts geltenden Grundsätzen. Danach kann kein vernünftiger Zweifel daran bestehen, dass die an das erkennende Gericht adressierte Klageschrift ungeachtet ihrer Übermittlung an das Amtsgericht Halle für das erkennende Gericht bestimmt war. Der beim Amtsgericht Halle eingegangene offenkundige „Irrläufer“ begründete beim Amtsgericht Halle keine Rechtshängigkeit (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Oktober 2001 – 2 C 37.00 – juris, Rn. 13VG München, Urteil vom 21. Februar 2020 – M 19 K 16.33212 – juris, Rn. 19).
Die Klageerhebung gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO setzt nämlich voraus, dass die Klage dem Gericht zugeht, so dass es davon Kenntnis nehmen kann, und angerufen, das heißt zum Tätigwerden aufgerufen ist, mithin den Rechtsstreit entweder entscheiden oder – bei Verneinung der Zuständigkeit – verweisen muss. Hat eine Partei dagegen eine Sendung an ein bestimmtes Gericht adressiert, sie aber versehentlich bei einem anderen Gericht eingeworfen, so ist ihr Inhalt nicht in den Machtbereich des zuständigen Gerichts gelangt. In diesem Fall ist das Gericht, bei dem das Schriftstück eingeht, obwohl es dort nicht eingehen sollte, zu einer prozessualen Behandlung weder verpflichtet noch berechtigt, sondern nur gehalten, das Schriftstück zurückzusenden oder weiterzuleiten. Die versehentliche Zuleitung an ein anderes als das angesprochene Gericht unterscheidet sich damit qualitativ nicht von einem sonstigen Irrläufer des Schriftstückes an einen beliebigen Dritten. Im Gegensatz zum Rechtsirrtum, der zur Anrufung des falschen Gerichts führt und den der Gesetzgeber nachsichtig behandelt hat, ist sie daher ebenso wenig fristunschädlich wie eine sonstige Nachlässigkeit bei der Übermittlung fristgebundener Schriftstücke.
Fazit
Das Problem, das vom VG durchaus berechtigt gesehen wird, ist, dass der sichere Übermittlungsweg, im Gegensatz zur qualifizierten elektronischen Signatur, nicht verkehrsfähig ist. Ein qualifiziert elektronisch signiertes Dokument kann ohne Weiteres einschließlich der Signatur weitergeleitet werden; Veränderungen an dem Dokument würden aufgrund der Signatur auffallen. Es ist deshalb ein Manipulationsschutz gegeben.
Bei Nutzung von (nur) einer einfachen Signatur und dem sicheren Übermittlungsweg ist dies nicht gegeben. Der VHN selbst ist in der gerichtlichen Praxis nicht verkehrsfähig. Es handelt sich zwar auch um ein elektronisches Zertifikat. Reicht das AG aber die Klageschrift weiter, empfängt das VG diese „nur“ mit dem VHN des AG, nicht des Rechtsanwalts.
Soweit hat das VG daher recht. Entscheiden können hätte es dennoch durchaus anders: Das AG hatte ja den Transfervermerk oder den Prüfvermerk. Und jedenfalls diese Hilfsdokumente können (bzw. könnten) natürlich weitergeleitet werden. Richtig ist hier dennoch, dass der „sichere“ (d.h. manipulationsgeschützte und die Authentizität nachweisende) Übermittlungsweg unterbrochen ist. Transfervermerk und Prüfvermerk sind gerade nicht gegen Manipulation geschützt; allerdings reden wir natürlich von einer möglichen Manipulation des AG – und weshalb sollte das Gericht die Klageschrift oder seine Begleitdokumente verändern.
Es bleibt deshalb abzuwarten, wie andere Gerichte diesen Fall entscheiden werden. Fälle dürfte es häufig geben. Und die gesetzgeberische Wertung in § 169 Abs. 5 Nr. 2 ZPO spricht eher dafür, auch den sicheren Übermittlungsweg ausreichen zu lassen, wenn dieser im Transfer- oder Prüfvermerk bestätigt ist.
Durchaus überzeugend ist aber das gefundene Ergebnis des VG, dass letztlich eine „Rettung“ nur über Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich ist. Hier käme es dann unter anderem darauf an, ob dem Einsendenden Verschulden bezüglich des Irrläufers vorzuwerfen ist. Dies betrifft insbesondere die Postausgangskontrolle der Rechtsanwältin. Bezeichnend ist insoweit gerade auch wieder der vorliegende Fall: Auf den Wiedereinsetzungs-Hinweis des VG hat der Einsendende offenbar schlicht nicht mehr reagiert. Dann kann das Gericht natürlich auch nicht mehr helfen!
In der Sozialgerichtsbarkeit wäre die Lage übrigens etwas entspannter. Hier hilft § 91 SGG über so manchen Irrläufer hinweg.

Letztlich spricht auch diese Entscheidung für die Nutzung qualifizierter elektronischer Signaturen. Sie ist schlicht der sicherste Weg der Einreichung, weil sie einerseits verkehrsfähig ist, andererseits, weil die Versandvariante gem. § 130a Abs. 3 2. Var. ZPO eher die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand offen hält.

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts