In einem Urteil vom 4. September 2020 – 1 S 29/20 hat das LG Mannheim großzügig auch die Einreichung einer .docx – Datei, anstelle der eigentlich von § 2 Abs. 1 ERVV geforderten PDF, akzeptiert. Diese Entscheidung blieb ein Einzelfall. Insbesondere das BAG dominierte die Rechtsprechung zu Formfragen seitdem und forderte jedenfalls das Dateiformat PDF stets (BAG, Urteil vom 25.8.2022 – 6 AZR 499/21), nur in anderen Formfragen zeigte sich auch das BAG flexibel und folgte insoweit dem OLG Koblenz. Überraschend hat nun der BGH mit Beschluss vom 19.10.2022 – 1 StR 262/22 – entschieden und folgt dem LG Mannheim.
Inhalt der Entscheidung des BGH
„Einer Entscheidung über den vorsorglich gestellten Antrag des Angeklagten vom 27. Juli 2022 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Revision bedarf es nicht. Die über das besondere elektronische Anwaltspostfach seines Verteidigers an das Landgericht übermittelten Schriftsätze vom 6. April 2022 und vom 3. Juni 2022 wahrten die jeweilige Frist. Zwar waren sie, entgegen § 32a Abs. 2 Satz 2 StPO in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Satz 1, § 14 ERVV, jeweils nicht im Dateiformat pdf, sondern im Dateiformat docx eingereicht worden. Dies allein führt aber nicht zur Formungültigkeit der Prozesserklärungen. § 32a Abs. 2 Satz 1 StPO setzt voraus, dass das elektronische Dokument „für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet“ sein muss. Dieses Erfordernis geht über eine rein formale Prüfung hinaus. Eine Formunwirksamkeit soll nur dann eintreten, „wenn der Verstoß dazu führt, dass im konkreten Fall eine Bearbeitung durch das Gericht nicht möglich ist. Demgegenüber führen rein formale Verstöße gegen die ERVV dann nicht zur Formunwirksamkeit des Eingangs, wenn das Gericht das elektronische Dokument gleichwohl bearbeiten kann“ (BT-Drucks. 19/28399, S. 39 i.V.m. S. 33 f.; ferner BeckOK-StPO/Valerius, 44. Ed., § 32a Rn. 7; Radke in Ory/Weth, jurisPK-ERV, 2. Aufl., § 32a StPO Rn. 12). Letzteres ist hier jeweils der Fall.“
Anmerkung
Auch, wenn die knappe Entscheidung des BGH sicher auf den ersten Blick ausschließlich großzügig wirkt, ist zu beachten, dass sich sowohl der Einreichende als auch das Gericht auf verhältnismäßig dünnem Eis befinden:
Der Einreicher geht das Risiko ein, dass das im falschen Dateiformat eingereichte elektronische Dokument gerade nicht akzeptiert wird, weil das Gericht mit dem Dateiformat nicht zurecht kam. Selbst bei gängigen Office-Dokumenten ist dieses Risiko durchaus gegeben; bei atypischen Dateiformaten erst Recht. Nur bei der ERVV/ERVB-konformen Dateiformaten kann sich der Einreicher auf die Bearbeitbarkeit verlassen (jenseits der aktuellen Fallstricke jedenfalls – bspw. eingebetteten Schriftarten).
Auch für das Gericht kann können sich aber schnell Probleme ergeben, wenn andere Dateiformate akzeptiert werden, als die in den ERVV/ERVB vorgesehenen, denn auch der Verfahrensgegner hat ein Recht die unveränderte, eingereichte Datei zu erhalten (vgl. letztlich § 169 Abs. 5 ZPO). Nicht alle Beteiligten kommen aber mit anderen Dateiformaten als PDF zurecht (bspw. jedenfalls in der Vergangenheit die Deutsche Rentenversicherung und die Bundesagentur für Arbeit) und weisen „falsche Dateiformate“ zurück – obschon auch dies sehr kritisch zu sehen ist, weil die ERVV/ERVB gerade für den gerichtlichen Postausgang nicht gelten, ergeben sich jedenfalls weitere faktische Probleme.
Letztlich dürfte die Frage sein, ob der Ausschluss von faktisch bearbeitbaren Dateiformate von der Verordnungsermächtigung gedeckt ist, also das Verhältnis von § 130a Abs. 2 Satz 2 ZPO zu Satz 1.
Es geht ferner auch um das Verständnis der Eingangsfiktion gem. § 130a Abs. 6 ZPO. Je weiter der Begriff der Bearbeitbarkeit verstanden wird, desto öfter greift die verschuldensunabhängige Eingangsfiktion und entsprechend seltener der engere allgemeine Wiedereinsetzungstatbestand.
Bedauerlich ist, dass zu der Frage nicht der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes zu Wort kommt, § 2 Abs. 1 RsprEinhG. Zwar wenden mit § 130a ZPO bzw. § 32a StPO und § 46c ArbGG der BGH und das BAG nicht die selben Rechtsvorschriften an; die Rechtsfrage ist aber dennoch dieselbe, so dass sie wohl vorlagefähig gewesen wäre. Aufgrund der zeitlichen Koinzidenz waren aber wohl die Entscheidungen gegenseitig einerseits nicht bekannt. Ferner kommt hinzu, dass das BAG über einen Rechtsstreit zu entscheiden hatte, dem (schon) eine elektronische Gerichtsakte zugrunde lag, während im Fall des BGH noch eine Papierakte geführt wurde (vgl. hierzu die kritikwürdige sog. ERV-light – Rechtsprechung).