Keine qeS macht den ERV nicht technisch unmöglich

Die Rechtsprechung muss sich immer häufiger mit Fragen bei Problemen mit der aktiven Nutzungspflicht beschäftigen. Insbesondere die Voraussetzungen der Ersatzeinreichung stehen dann im Streit. Das OLG Düsseldorf (v. 23.03.2022 – 12 U 61/21) hatte sich zu einem Fall zu äußern, bei dem einer Rechtsanwältin die Signaturkarte gestohlen worden war. Eine Möglichkeit der Ersatzeinreichung sieht das OLG in diesem Fall nicht – zu Recht!

Sachverhalt

Nachdem in die Kanzleiräume einer Rechtsanwältin eingebrochen worden war, reichte sie einen formbedürftigen Schriftsatz per Fax und postalisch ein. Im Rahmen der Glaubhaftmachung der vorübergehenden technischen Unmöglichkeit, gab sie an, ihr Schreibtisch sei aufgebrochen und das Kartenlesegerät sowie die beA-Karte, die sie bereits seit 2017 besessen habe, sei aus ihrem verschlossenen Schreibtisch gestohlen worden. Dies habe sie unverzüglich gegenüber der Bundesnotarkammer angezeigt und beantragt, die Karte sperren zu lassen und ihr eine neue Karte zuzusenden. Zur Glaubhaftmachung legte sie den Sperrauftrag vom 03.01.2022 sowie eine automatisch generierte Eingangsbestätigung der Internetwache der Polizei vom 04.01.2022 vor. Ergänzend trug sie vor, sie habe die neue Karte zwar mittlerweile erhalten, könne diese jedoch noch nicht nutzen, weil auf dieser keine Signatur hinterlegt sei. Ihr signaturrechtlicher Antrag auf ein qualifiziertes elektronisches Zertifikat werde – wie die Bundesnotarkammer ihr mit der in Kopie vorgelegten Eingangsbestätigung vom 20.01.2022 mitgeteilt habe – geprüft, sobald sie sich bei einem Notar oder der Rechtsanwaltskammer identifiziert habe. Angesichts der Vielzahl der Anträge könne dies u.U. mehrere Wochen in Anspruch nehmen.

Wesentliche Gründe der Entscheidung

Das OLG hielt eine Ersatzeinreichung nicht für möglich. Die Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs zur Erfüllung der aktiven Nutzungspflicht sei nicht „vorübergehend technisch unmöglich„.

Die Rechtsanwältin habe nur geltend, dass ihr die Übermittlung eines qualifiziert signierten elektronischen Dokuments iSd § 130a Abs. 3 1. Alt. iVm Abs. 4 ZPO nicht möglich war, weil sie die notwendige technische Einrichtung hierfür (nach wie vor) nicht vorhält. Dieser nunmehr nahezu drei Monate andauernde Zustand stellt indessen nach zutreffender Auffassung des OLG keine vorübergehende technische Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung iSd § 130d S. 2 ZPO dar, zumal auch nicht dargelegt und glaubhaft gemacht ist, dass die entwendete beA-Karte, die sie bereits seit 2017 besaß, über die Signierfunktion verfügte und sie von daher im Grundsatz die insoweit notwendige technische Einrichtung vorgehalten hatte.

Unabhängig davon – und dies dürfte letztlich tragend für die Entscheidung sein – stand ihr neben der qualifiziert elektronisch signierten Einreichung aber auch nach § 130a Abs. 3 2. Alt. iVm Abs. 4 ZPO die Möglichkeit der einfachen elektronischen Signatur des elektronischen Dokuments offen, die der qualifizierten elektronischen Signatur gleichsteht, wenn das Dokument auf einem sicheren Übermittlungsweg eingereicht wird.

Dies entspreche auch einer Empfehlung der Bundesrechtsanwaltskammer, wonach Rechtsanwälte für den Fall eines Defekts – oder auch Verlusts – der beA-Karte Sorge zu tragen hätten, Schriftsätze fristwahrend einreichen zu können, indem ein weiteres Zugangsmittel (Softwarezertifikat oder beA-Karte) vorgehalten oder ein Vertreter berechtigt wird (von Seltmann, BRAK-Magazin, Heft 6/2021).

Für eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist gem. §§ 233 ff. ZPO sieht das OLG keinen Raum. Die Rechtsanwältin habe die versäumte Prozesshandlung – eine formgerechte Berufungsbegründung – trotz Hinweises auf die Möglichkeit der Verwerfung ihrer Berufung als unzulässig nicht nachgeholt, so dass die Voraussetzung des § 236 Abs. 2 S. 2 ZPO für eine Wiedereinsetzung von Amts wegen schon nicht vorliegt.

Das OLG mahnt aber, dass auch weder dargelegt noch ersichtlich sei, dass die Rechtsanwältin kein Verschulden an der nicht § 130d ZPO entsprechenden Übermittlung und damit der nicht ordnungsgemäßen Form der Berufungsbegründung getroffen habe. Im Raum steht also eine möglicherweise auch nicht ausreichend sorgfältige Kanzleiorganisation.

Hintergrund

Ist die elektronische Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen; auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen.

Die vorübergehende Unmöglichkeit ist nur gegeben,  wenn die elektronische Übermittlung technisch nicht möglich. Die bloße Unkenntnis der Funktionen genügt daher nicht. Da es aber an einem Verschuldenselement in § 130d S. 2-3 ZPO fehlt, dürfte selbst die Sperrung des Zugangs aufgrund der Fehleingabe des Passworts von der Norm erfasst sein. Die Grenze ist wohl erst der Rechtsmissbrauch. Nach der Rechtsprechung des BGH zur Nutzung alternativer Übermittlungsweg bei Fehlschlag einer Versendung dürfte aber grundsätzlich die Nutzung der Weboberfläche des beA in Betracht kommen, wenn die sonst genutzte Kanzleisoftware versagt – jedenfalls dann, wenn die Weboberfläche nicht bislang völlig ungenutzt war.

Wichtig ist, die idealerweise gleichzeitige Glaubhaftmachung der Unmöglichkeit bei der Ersatzeinreichung. Grundsätzlich sollte zur Glaubhaftmachung die anwaltliche oder ggf. eidesstattliche Versicherung ausreichen. Die Rechtsprechung sollte hier aber beobachtet werden, denn es käme auch in Betracht, objektivere Nachweise zu fordern (Screenshots, Router-Protokolldateien etc.), jedenfalls in Zweifelsfällen. Im Übrigen empfiehlt es sich dringend den EGVP-Newsletter mit Fehlermeldungen unter www.egvp.de zu abonnieren. Die Glaubhaftmachung ist selbst dann erforderlich, wenn der Fehler gerichtsbekannt ist, um das Problem aktenkundig zu machen.

Fazit

Das OLG sieht richtigerweise die beiden Varianten des § 130a Abs. 3 ZPO als gleichberechtigt an. Funktioniert eine Form der Übermittlung nicht, so kommt grundsätzlich die andere Variante in Betracht. Da jedenfalls die Möglichkeit mit einfacher Signatur selbst elektronisch zu übermitteln jeder Rechtsanwältin oder Rechtsanwalt zur Verfügung steht, stellt dies immer mindestens das Notfallszenario dar.

Zwar wird zurecht regelmäßig geraten, sicherheitshalber stets qualifiziert elektronisch zu signieren, weil damit viele Probleme der sog. Authentizität vermieden werden können (keine „ausreichende“ einfache Signatur, Vertretungsfälle, Flexibilität in der Kanzleiorganisation). Im Notfall – gerade bei Verlust oder Sperrung  der Signaturkarte – wird man aber sicher verlangen können, vorübergehend von dieser Praxis abzuweichen.

Ferner gilt es angesichts der Entscheidung auch die Kanzleiorganisation einem Stresstest zu unterziehen, um sicherzustellen, dass die Kanzlei fit für solche Notfälle ist. So können Softwarezertifikate für das Login in das beA bereitgehalten, weitere Personen für den Zugang berechtigt oder Signaturkarten anderer Vertrauensdiensteanbieter vorgehalten werden. Dann kann eigentlich kaum etwas schief gehen.

Weitere Information zum Vorgehen bei Problemen mit dem elektronischen Rechtsverkehr, siehe -> hier.

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts