Ersatzeinreichung – Vorübergehende Unmöglichkeit ist darzulegen

Die Ersatzeinreichungsmöglichkeit bei vorübergehender Unmöglichkeit der elektronischen Übermittlung gem. § 130d ZPO erlaubt ausnahmsweise die Übersendung eines Schriftsatzes per Telefax, Briefpost oder Boten – trotz aktiver Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs. Damit das Gericht dies akzeptiert, ist es aber erforderlich, dass die tatsächlichen Umstände jedenfalls dargelegt werden. Das LG Arnsberg (v. 6.7.2022 – 3 Ns-360 Js 24/21-73/22) konnte deshalb in nur wenigen Worten eine Berufung als unzulässig verwerfen.

Sachverhalt

In einem Strafverfahren hat der Verteidiger des Angeklagten die Berufung per Telefax und im Original – entgegen § 32d StPO nicht aber elektronisch – eingereicht. In dem Schriftsatz machte er lediglich folgende Angabe: „Eine Übermittlung als elektronisches Dokument ist vorübergehend aus technischen Gründen nicht möglich. Dies wird anwaltlich versichert und glaubhaft gemacht.

Entscheidung

Das LG Arnsberg ließ diesen pauschalen Vortrag nicht genügen.

Die Terminologie „vorübergehende technische Störung“ will der Gesetzgeber so interpretiert wissen, dass eine grundsätzlich einsatzbereite technische Infrastruktur existiert und für eine Beseitigung eines temporären Ausfalls unverzüglich gesorgt wird (vgl. BT-Drs. 18/9416, Seite 51). Die Heilungsmöglichkeit ist deshalb nicht gegeben, wenn ein kein technischer, sondern ein menschlicher Fehler vorliegt; so stellt beispielsweise der Verlust der beA-Karte mit Signierfunktion keine technische Störung im Sinne der Norm dar (vgl. Radke in jurisPK, StPO, § 32d, RN 16 m.w.N.).

Der Verteidiger hat schon gar nicht vorgetragen, ob er überhaupt über eine grundsätzlich einsatzbereite technische Infrastruktur verfügt, wozu ein Internetanschluss gehört, der von der beA-Software erkannt wird, sowie die die dazugehörigen technischen Geräte mit beA-Karte (vgl. OVG Münster, Beschluss 31.03.2022, 19 A 448/22 A zu § 55d VwGO). Unklar ist ferner, ob eine etwaige Störung im Bereich der Hardware oder der Software oder in anderen Umständen begründet ist. Es ist auch nicht dargelegt, seit welchem Zeitpunkt eine elektronische Übermittlung nicht mehr möglich gewesen sein soll, und ob bzw. wann sich der Verteidiger mit der gebotenen Sorgfalt um die (Wieder-) Herstellung der erforderlichen technischen Voraussetzungen bemüht hat. Es fehlt daher jegliche konkrete Darlegung etwaiger Schwierigkeiten mit der Hard- und/oder Software und deren Dauer.

Der unspezifische Verweis auf eine technische Störung ersetzt eine nachvollziehbare Tatsachenschilderung nicht, ebenso wenig die Glaubhaftmachung durch anwaltliche Versicherung.

Anmerkung

Es ist sicher zu kritisieren, wenn Gerichte an die Substantiierung des Vortrags bezüglich der „vorübergehenden technischen Unmöglichkeit“ zu hohe Anforderungen stellen. Defekte und technische Schwierigkeiten äußern sich nicht selten unspezifisch, Gründe sind für den Laien nicht immer erkenn- und erklärbar, nicht jeder Fehler erzeugt eine wiedergebbare Fehlermeldung.

Augenmerk auf die tatsächliche Darlegung

Etwas mehr Mühe als im vorliegenden Fall sollte sich ein Prozessbevollmächtigter dennoch geben. Richtschnur muss sein, dem Gericht zu ermöglichen, die Tatbestandsvoraussetzungen zu überprüfen. Hierzu gehört jedenfalls der Vortrag,

  • dass bislang der elektronische Rechtsverkehr genutzt wurde (nur dann kann der Ausfall vorübergehend sein),
  • wie sich die Störung tatsächlich dargestellt hat (um sie von einem „menschlichen Versagen“ abzugrenzen),
  • was zur Beseitigung / Umgehung der Störung unternommen wurde (um das zeitliche Moment der bloß „vorübergehenden“ Störung zu unterstreichen – siehe auch hier).

Unter diesen Umständen kann von einer Darlegung der vorübergehenden technischen Störung ausgegangen werden.

Erst danach kommt es auf die Glaubhaftmachung an. Hierfür empfiehlt es sich, den EGVP-Newsletter zu abonnieren, um per E-Mail über Störungen informiert zu werden. Auch ein Screenshot oder Log-Dateien der eingesetzten Anwaltssoftware kommen zur Glaubhaftmachung in Betracht (LAG Schleswig-Holstein Urteil v. 8.4.2021 – 1 Sa 358/20 mAnm. https://ervjustiz.de/lag-schleswig-holstein-korrekte-bea-bedienung-mit-screenshot-nachzuweisen).

Nach richtiger Auffassung genügt aber auch grundsätzlich bereits eine anwaltliche Versicherung. Auch letztere kann aber – wie das LG Arnsberg richtigerweise feststellt – die zuvor erforderliche tatsächliche Darlegung nicht ersetzen.

Aktive Nutzungspflicht und Strafverfahren

Sowohl in Zivilverfahren als auch auch in den Fachgerichtsbarkeiten scheint der elektronische Rechtsverkehr mittlerweile angekommen zu sein. Es zeigt sich dagegen, dass in Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren noch größere Unsicherheiten der Rechtsanwender bestehen.

Dies liegt auch daran, dass die Pflicht – anders als in den übrigen großen Prozessordnungen – nicht ausnahmslos für die (sonst) aktiv nutzungspflichtigen Personen- und Berufsgruppen besteht.

§ 32d Satz 2 StPO enthält eine „Muss-„Nutzungspflicht nur für bestimmte Erklärungen, nämlich

• für die schriftliche Einlegung und Begründung von Berufung und Revision (§§ 314 Abs. 1, 317, 341 Abs. 1 und 344 StPO),
• für Gegenerklärungen (§ 347 Abs. 1 Satz 2 StPO),
• für die Privatklage (§ 381 StPO) und
• die Anschlusserklärung bei der Nebenklage (§ 396 StPO).

Die Pflicht zur elektronischen Einreichung gilt zudem nur, wenn diese Erklärungen schriftlich abgegeben werden; die Möglichkeit, sie zu Protokoll der Geschäftsstelle abzugeben, wird durch § 32d StPO nicht eingeschränkt.

 

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts