Jetzt ist es Gesetz: Die elektronische Gerichtsakte kommt!

Spätestens zum 1. Januar 2026 wird in allen Gerichtszweigen die elektronische Gerichtsakte eingeführt. Die bisher freiwillige und kaum umgesetzte Möglichkeit zur Einführung der eAkte ist nun verpflichtend. Dies bestimmt das „Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs“, das am 5. Juli 2017 im Bundesgesetzblatt verkündet worden ist (BGBl. 2017 I 2208).

Das Vorhalten digitaler Dokumente in rein elektronischer Form, wird als elektronische Akte bezeichnet. Für öffentlich-rechtliche Einrichtungen (Gerichte, Behörden etc.) ist die Pflicht zur Aktenführung Folge des Rechtsstaatsprinzips, das die Behörde zur objektiven Dokumentation des bisherigen wesentlichen, sachbezogenen Geschehensablaufs anhält, um sowohl nachträglich eine Überprüfung der behördlichen Entscheidung zu ermöglichen, als auch eine mögliche Erkenntnisquelle für zukünftiges Handeln zu schaffen.

Die gerichtlichen Prozessordnungen enthalten keine zusammenhängenden Regelungen über die Führung von Prozessakten bei den Gerichten. Die Führung von eben solchen wird als selbstverständlich vorausgesetzt, bspw. § 299 ZPO. Die Bundesländer konkretisieren die Einzelheiten zur Aktenführung jedoch in Aktenordnungen (AktO), die als Verwaltungsvorschriften erlassen werden.

1. Rechtsgrundlagen

Die Führung elektronischer Prozessakten ist seit dem Justizkommunikationsgesetz aus dem Jahr 2005 möglich, bspw. § 298a ZPO in der bisherigen Fassung. Die Einführung erfolgte durch eines Bundes- bzw. Landesrechtsverordnung. Die elektronische Aktenführung konnte dabei auf einzelne Gerichte beschränkt werden. Die Länder haben bislang nur sehr vereinzelt in wenigen Pilotgerichten von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht.

Die Aktenordnungen des Bundes und der Länder sind derzeit noch auf die Führung von Papierakten ausgerichtet. Eine umfassende Überarbeitung wird Voraussetzung einer erfolgreichen  insbesondere auch effizienten – flächendeckenden Einführung sein.

2. Befürchtung und Hoffnungen der Richterschaft

Dass sich mit der Einführung einer elektronischen Akte Befürchtungen verbinden ist demgegenüber nicht zu leugnen. Fast gleichrangig basieren diese Befürchtungen auf der Annahme, die eAkte führe zu einer Belastung der Gesundheit, vor allem der Augen, zu einer Verlangsamung der Arbeitsabläufe und zu weniger persönlichen Kontakten. Festzustellen ist, dass der Pessimismus hinsichtlich der eAkte vor allem bei jüngeren und älteren Richtern besonders signifikant ist, während in der mittleren Alterskohorte zwischen 44 und 54 tendenziell Optimismus vorherrscht. Interessanterweise betrifft dies vor allem die Befürchtung, einer Augenbelastung durch die elektronische Akte, die insbesondere von jüngeren Richtern bis 44 Jahre vorgebracht wird.

Nach den Vorteilen einer elektronischen Akte gefragt, ist auffallend, dass im Vordergrund die verbesserten Möglichkeiten der Telearbeit stehen. Als weitere Vorteile werden ein „schnellerer Zugriff“ und eine „erleichterte Bedienung“ genannt. Als wesentliches Plus durch die Telearbeit identifizieren Richterinnen und Richter die hierdurch entstehenden Verbesserungen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf.

Für die Einführung einer elektronischen Akte, ist für die Mehrzahl der Richterinnen und Richter aber eine verbesserte Hardware-Ausstattung unverzichtbar. Hierbei wird vor allem eine Forderung nach sog. Tablet-PCs erhoben. Auch weitergehende Schulungen werden als „unverzichtbar“ bezeichnet.

Die hier auszugsweise dargestellte Befragung wird im eJustice-Praxishandbuch weiter aufgeschlüsselt.

3. Die eAkte kommt! Was nun?

Die Veränderung wird sich dann leicht vollziehen, wenn die elektronische Akte vom Anwender akzeptiert wird (daher auch die Bemühungen der Justizverwaltungen sämtlicher Länder um das sog. „Akzeptanzmanagement“). Doch nach welchen Kriterien lässt sich die Akzeptanz der eAkte messen?

Wir werden zu akzeptieren haben, dass die eAkte sicher nicht gleich gut, wie die Papierakte sein kann. Gewisse Nachteile gehen mit dem Medienwechsel einher, die letztlich unbeeinflussbar sind – es sei denn man versucht den medienbrechenden Ausgleich durch gelegentliche Ausdrucke, was ich, überhaupt nicht verwerflich finde. Jedenfalls darf die eAkte aber nicht gleich schlecht sein, wie die Papierakte. Die eingesetzte Hard- und Software muss konsequent darauf ausgerichtet sein, die „Mehrwerte“ der eAkte zu unterstützen und zu fördern. Hierzu gehört auch und insbesondere die Möglichkeit, jedenfalls von zuhause aus, wenn nicht gar „grenzenlos mobil“ auf alle eAkten des eigenen Dezernats zuzugreifen.

Bei allen Neuerungen, Mehrwerten und technischen Spielereien; die eAkte darf nicht zu komplex werden. Ihre Bedienung muss einfach genug bleiben, um den juristischen Nutzer nicht zu überfordern. Nicht, dass wir nicht alle von ausreichendem Intellekt und Umstellungsvermögen wären, uns gewisse Arbeitsschritte zu erschließen bzw. sie uns jedenfalls beibringen zu lassen. Aber wir haben uns andererseits auch nicht den Mühen des Jurastudiums gestellt, um dann unseren Berufsalltag in IT-Schulungen zu verbringen. Insbesondere die Software muss daher so leicht erlernbar sein, dass wir jedenfalls die Grundstrukturen durch eine bloß knappe Einführungsveranstaltung so verinnerlichen können, dass die Akten des eigenen Dezernats wieder so „bedienbar“ sind, wie Papierakten. Die Akte muss als leicht bedienbar bleiben, das Lesen und Schreiben in der Akte und wenige Grundfunktionalitäten (Anbringen von Annotationen, Erstellung von „Handakten“, Volltextsuche) müssen in wenigen Minuten erlernbar sein. Jedenfalls für diese Funktionen muss eine Schulung genügen, die nicht viel mehr Inhalt hat, als das Zeigen des „Buttons“, der die Funktion auslöst. Klar sein wird aber auch: Intuitiv wird die Aktenbedienung sicher nicht werden, dafür genügt einerseits der Justizhaushalt nicht, des Weiteren behandeln wir mit Akten nunmal einen abstrakten Gegenstand, als dies „Spiegel-Online“ mit seinen kurzen Artikeln tut. Vergleichen Sie daher eAkten-Programme nicht mit Smartphone-Apps.

Ein weiterer Unterschied zwischen Smartphone und PC ist die sog. „Antwortgeschwindigkeit“ der verwendeten Software (d.h. Mausklick oder Drücken der Eingabetaste und Softwarereaktion hierauf). Auch hier werden wir natürlich nicht die Rasanz täglich benutzter Apps erreichen. Auch in diesem Punkt wäre das natürlich ein Vergleich von Äpfel mit Birnen – wir verlangen ja auch mehr von unserer eAkte. Dennoch muss ihre Bedienung komfortabel sein. Ein Wechsel zwischen zwei Akten darf jedenfalls dem Bearbeiter zeitlich nicht die Möglichkeit geben, sich einen Kaffee zu brühen. In der Softwareentwicklung wird üblicherweise keine bestimmte noch akzeptable Latenzzeit der Software in Sekunden benannt, sondern man versucht die verfügbare Technik mit den Erwartungen der Anwender in Einklang zu bringen. Dabei sind die Erwartungen allerdings durchaus hoch. Aus dem Bereich von Onlineshops gibt es Untersuchungen, die zeigen, dass mehr als 40 Prozent der Webseitenbesucher den Einkauf abbrechen, wenn die Wartezeit länger als drei Sekunden dauert. Bei Smartphone-Applikation sind bereits Millisekunden entscheidend. Entscheidend wird hier die Investition in schnelle Software, eine gute Netzwerkinfrastruktur und letztlich jede Menge Hauptspeicher sein. Und am Ende wird nicht nur über Wohl und Wehe der Anwendung entscheiden, wie schnell der Computer reagiert, sondern auch, wie gut der Support im Fehlerfall erreichbar ist.

Auch gesundheitsschädlich darf die eAkte nicht sein! Hinter diesen Satz gehört ein Ausrufezeichen. Gesundheitsschutz betrifft dabei zahlreiche Aspekte, von der Augenfreundlichkeit der Monitore bis hin zu Kompensation der Auswirkungen der Bildschirmarbeit auf den Haltungsapparat. Hierfür muss die Justizverwaltung Geld in die Hand nehmen, die entsprechende – insbesondere – Hardware erwerben, auch auf Barrierefreiheit achten und sachverständigen Rat durch Arbeitsmediziner in Anspruch nehmen. Die Lösungen sind übrigens gar nicht außerhalb jeder finanziellen Reichweite: Geschickte Monitoraufhängungen oder tabletartige Geräte in Kombination mit höhenverstellbaren Schreibtischen kostengünstig und erlauben ein rückenfreundliches Arbeiten am Computer. Der Markt ist voll von Lösungen zum Gesundheitsschutz.

4. Fazit

Werden diese Rahmenbedingungen erfüllt, steht der erfolgreichen Einführung einer akzeptierten eAkte nichts im Wege!

Für die Justizverwaltung, die Softwareentwickler und IT-Stellen steht hierfür aber noch viel Arbeit bevor. 2026 hört sich weit entfernt an, ist aber eigentlich bereits „übermorgen“. Bis dahin muss ein wirklich gutes Produkt zur Verfügung stehen:

Kaum etwas ist so flüchtig, wie die Akzeptanz eines Veränderungsprozesses. Das Scheitern in einem Bereich kann wie ein Flächenbrand in kürzester Zeit das Gesamtprojekt erfassen. Der Misserfolg bekommt eine Eigendynamik, wenn die Skeptiker sich bestätigt sehen und „early adopters“ frustriert werden. Sämtliche Versprechungen werden hinterfragt, wenn nur eines gebrochen wurde. Ein Vertrauensverlust erfasst und verbrennt nicht nur die handelnden Personen, sondern auch das einzuführende System. Hierfür genügt ein negativer Erfahrungsbericht am Mittagstisch. Umgehungsprozesse, wie Sicherungskopien auf unverschlüsselten Datenträgern, ausgedruckte Handakten etc. werden faktisch legitimiert, wenn sie sich einmal als notwendig erwiesen, weil die eigentliche eAkte nicht zur Verfügung stand. Gleichzeitig damit verlieren die Nutzer die Motivation sich an Fortbildungen zu beteiligen oder sich neue Funktionen zu erschließen. Keinesfalls darf daher Unfertiges eingeführt werden. Das erstmalig im Veränderungsprozess präsentierte System muss bereits gut genug sein, um den Ansprüchen der Nutzer zu genügen (oder besser). Dies betrifft sämtliche Bereiche; von der IT-Sicherheit, über die Zuverlässigkeit bis hin zum Bedienungskomfort einschließlich der Performance.

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts