Behördenakten vor Gericht: Kein Anspruch mehr auf Papier

In den öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten, ist die Behördenakten, die das Gericht routinemäßig beizieht, oft wichtiger für den Streitentscheid, als der Inhalt der Gerichtsakte. Ist der elektronische Rechtsverkehr zum anfordernden Gericht  eröffnet, besteht kein Anspruch des Gerichts mehr auf Vorlage einer Papierverwaltungsakte, wenn die Behördenakte elektronisch geführt wird; auch dann nicht, wenn das Gericht selbst noch keine elektronische Gerichtsakte führt.

Ein „Anspruch auf einen Ausdruck“ ist im Gesetz ebensowenig vorgesehen, wie der Anspruch auf eine eingescannte Akte, wenn die Verwaltungsakten noch in Papier geführt werden.

Genauso, wie Prozessbeteiligte, die einen Zugang im elektronischen Rechtsverkehr eröffnet haben, gem. § 174 Abs. 3 ZPO auch die Zustellung elektronischer Dokumente vom Gericht unabhängig von deren Umfang hinzunehmen haben, muss auch das Gericht akzeptieren, dass bei ihm entsprechend umfangreiche Dokumente, also auch ganze Akten, anlanden.

Irritierend ist insoweit die Formulierung des Gesetzgebers in der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes aus dem Jahr 2007, in der – ohne nähere Argumentation – ausgeführt wird, dass „bei elektronischer Aktenführung die Behörde einen vollständigen Ausdruck der elektronisch geführten Akte vorzulegen“ hat.[1] Diese Textstelle wird von den meisten Kommentaren zum SGG wortgleich und ohne weitere Ausführungen übernommen. Offenkundig wurde hier vom Gesetzgeber die schon damals gegebene elektronische Erreichbarkeit vieler Sozialgerichte gem. § 65a SGG schlicht verkannt. Jedenfalls bestünde aber, wie oben bereits dargelegt, keine Möglichkeit für die Gerichte, einen vermeintlichen Anspruch auf diesen in den Gesetzesmaterialien erwähnten Ausdruck durchzusetzen. Die faktisch für den Richter verfügbare elektronische Akte kann dieser schon wegen des Amtsermittlungsprinzips nicht ignorieren.

Eine Verwertung hätte nur dann zu unterbleiben, wenn nach Abwägung der widerstreitenden Interessen, insbesondere der Grundrechte, das Interesse an der materiellen Wahrheit zurückstehen kann. Derart überwiegende Interessen können sich jedenfalls nicht daraus ergeben, dass es für den Richter oder die Gerichtsverwaltung kostenträchtig oder mühevoll ist, elektronische Verwaltungsakte auszudrucken oder sonst zur Entscheidungsfindung zur Kenntnis zu nehmen. Richtigerweise werden die Justizverwaltungen die Gerichte aber mit der entsprechenden, zweckmäßigen Hardware auszustatten haben. Unbenommen bleibt den Behörden natürlich, Papierakten auf freiwilliger Basis zu Verfügung zu stellen. Geschieht dies nicht ist es letztlich in der Hand des Richters, ob er elektronisch arbeitet oder sich ganze Akten bzw. Aktenauszüge ausdrucken lässt oder ggf. selbst ausdruckt.[2]

[1] BT-Drs 16/7716 S. 20 und BR-Drs 820/07 S 25.

[2] Vgl. zur Organisation im Gericht Müller, eJustice-Praxishandbuch, 2. Aufl. 2017 S. 209 ff.

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts