Neu ab 1.1.2018: Sichere Übermittlungswege, „unsicheres“ EGVP

§ 130a Abs. 4 ZPO führt ab dem 1. Januar 2018 den Rechtsbegriff des „sicheren Übermittlungswegs“ ein. Das Adjektiv „sicher“ beschreibt insoweit nicht eine technische Sicherheit bspw. gegenüber Angriffen Dritter oder eine besondere Ausfallsicherheit, sondern beschreibt die durch den Übertragungsweg gegebene Authentifizierung des Absenders der Nachricht. Da schon der Übertragungsweg hinreichende Auskunft über die Identität des Absenders und des Nachrichtenurhebers gibt, kann bei der Nutzung eines sicheren Übermittlungswegs deshalb konsequenterweise auf die qualifizierte elektronische Signatur verzichtet werden. 

An der gesetzgeberischen Konstruktion ist zu kritisieren, dass durch den sicheren Übermittlungsweg nur die Authentifizierungsfunktion der qualifizierten elektronischen Signatur ersetzt wird (vgl. § 130a Abs. 3 ZPO). Deren übrige Vorteile – insbesondere der Schutz vor nachträglicher Manipulation, aber auch die Verschlüsselung der Datei – werden durch den besonderen Übermittlungsweg dagegen nicht ersetzt. Ratsam ist deshalb im Zweifel auch bei Nutzung eines sicheren Übermittlungswegs, nicht auf einen wirksamen Schutz des Dokuments bspw. durch die qualifizierte elektronische Signatur zu verzichten.
Selbst der Gesetzgeber hatte dieses Dilemma schon erkannt und in der Gesetzesbegründung darauf hingewiesen, dass die Nutzung sicherer Übermittlungswege den Absender nicht von der Beachtung besonderer Vertraulichkeitsregeln entbindet. Die Regelung betreffe ausschließlich die prozessuale Form.

1. Die gesetzlich definierten sicheren Übermittlungswege

§ 130a Abs. 4 ZPO kennt folgende gesetzlich definierte sichere Übermittlungswege:

– die absenderauthentifizierte De-Mail, § 130a Abs. 4 Nr. 1 ZPO,

das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA), § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO,

– das besondere elektronische Notarspostfach (beN), § 78n BNotO,

– das besondere Behördenpostfach (beBPo), § 130a Abs. 4 Nr. 3 ZPO.

Diese drei bereits vom Gesetz definierten sicheren Übermittlungswege sind ab 1. Januar 2018 ohne weiteres zur rechtssicheren Kommunikation nutzbar, sofern sie faktisch zur Verfügung stehen. Einer zusätzlichen Zulassung dieser Übermittlungswege durch Rechtsverordnung bedarf es nicht, wie der Umkehrschluss aus § 130a Abs. 4 Nr. 4 ZPO zeigt.
§ 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO lässt auch dem beA „entsprechende, auf gesetzlicher Grundlage errichteten elektronischen Postfächer“ zu. Denkbar wären Postfächer für Berufsgruppen, die in ihrer Funktion im Prozess den Rechtsanwälten angenähert sind, so bspw. Steuerberater, Rechtssekretäre von Gewerkschaften, Prozessvertreter von Arbeitgeber- oder Sozialverbänden etc. Entsprechende gesetzliche Initiativen sind derzeit aber ebenso wenig erkennbar, wie Bestrebung der entsprechenden Verbände zum Aufbau einer beA-artigen Infrastruktur.

2. Weitere sichere Übermittlungswege, § 130a Abs. 4 Nr. 4 ZPO

§ 130a Abs. 4 Nr. 4 ZPO lässt als sichere Übermittlungswege ferner „sonstige bundeseinheitliche Übermittlungswege, die durch Rechtsverordnung der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates festgelegt werden“ zu, wenn bei diesen „die Authentizität und Integrität der Daten sowie die Barrierefreiheit gewährleistet sind.“
Nach der Gesetzesbegründung sollte damit dem Gebot der Nachhaltigkeit entsprechend eine technologieoffene Regelung geschaffen werden, die es erlaubt noch nicht absehbare Kommunikationskanäle – schnell und unkompliziert („zeitnah“) – durch Rechtsverordnung als sichere Übermittlungswege zu definieren.
Auch auf diesem Weg lässt der Gesetzgeber die Errichtung weiterer beA-ähnlicher Postfächer bspw. im Sinne von Verbandpostfächern oder Zugängen für besondere Berufsgruppen wie Steuerberatern zu.

3. Das elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP)

Als elektronischer Übermittlungsweg hatte sich das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) in der Vergangenheit durchgesetzt und über Jahre in der Justiz etabliert. Obschon auch die Verwaltung namensgebend ist, hat sich die Exekutive – letztlich getrieben durch das eGovernment-Gesetz des Bundes – nicht zu einer flächendeckende Nutzung von EGVP durchringen können. Insbesondere wurde EGVP als nicht bürgerfreundlich genug erachtet.

Die Erfahrungen der Justiz mit EGVP sind – nach ursprünglichem Fremdeln mit der Technik (die allerdings fast immer an unzureichenden Justizfachverfahren – vorwiegend in der ordentlichen Gerichtsbarkeit – lag), zwischenzeitlich fast durchweg positiv. Der Übertragungsweg ist durch eine Ende-zu-Ende – Verschlüsselung der Kommunikation hoch gesichert. Dass EGVP-Nachrichten bei ihrer Übertragung abgefangen oder gar verändert werden könnten, ist nach dem Stand der Technik durch das sog. „Prinzip des Doppelten Umschlages“ (Trennung der verschlüsselten Nachrichteninhalte von den für den Nachrichtentransport erforderlichen Nutzdaten nach dem sog. „OSCI-Standard“) nahezu ausgeschlossen. Einzig die immer noch begrenzte Dateigröße von 30 bzw. 60 Megabyte wird in der Praxis als Hindernis betrachtet, was umso ärgerlicher ist, weil es sich nicht um eine technisch erforderliche Grenze handelt, sondern um eine willentlich festgesetzte. Abhilfe durch Aufgabe dieser Grenze scheint aber in greifbarer Nähe. Die erforderliche Software kann teilweise kostenfrei im Internet bezogen werden.

Durch die Neuregelung der §§ 130a Abs. 3, 4 ZPO, 174 Abs. 3, 4 ZPO verliert die pure Nutzung von EGVP als Übermittlungskanal deutlich an Bedeutung:

EGVP ist kein „sicherer Übermittlungsweg“ gem. § 130a Abs. 4 ZPO.

Nur als Infrastrukturkomponente für das beA behält das EGVP seine herausgehobene Stellung:

EGVP kann für den gerichtlichen Posteingang auch nach dem 1. Januar 2018 noch uneingeschränkt genutzt werden, § 130a Abs. 3 1. Hs. i.V.m. Abs. 1 ZPO. Anders als bis 31. Dezember 2017 müssen aber sämtliche per EGVP eingehende Dokumente qualifiziert elektronisch signiert werden (Abs. 3).

Im gerichtlichen Postausgang sind dagegen jedenfalls förmliche Zustellungen (nur) per EGVP vom Gesetz nicht mehr vorgesehen. Gem. § 174 Abs. 3 Satz 3 ZPO müssen elektronische Dokument durch das Gericht dann auf einem sicheren Übermittlungsweg gem. § 130a Abs. 4 ZPO zugestellt werden. Die bisherige qualifiziert elektronisch signierte Zustellung in ein EGVP-Postfach gem. § 174 Abs. 3 ZPO a.F. wurde vom Gesetzgeber gestrichen. Über die Gründe hierfür schweigt die Gesetzesbegründung, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass diese Streichung durch den Gesetzgeber letztlich unbeabsichtigt und nur deshalb geschehen ist, weil das eJustice-Gesetz den Anwaltsprozess (und deshalb das beA) als Regelfall vor Augen hatte.

Wie die Gerichte auf die Streichung der bisher eingespielten Praxis reagieren – möglicherweise mit Rechtsfortbildung oder Analogieschlüssen – oder, ob noch der Gesetzgeber reparierend tätig wird bleibt abzuwarten.

Die neue elektronischen Zugangswege haben auch Auswirkungen auf die erforderliche Rechtsbehelfsbelehrung –> hierzu ein gesonderter Beitrag.

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts