VG Wiesbaden zweifelt an Aktenführung des Bundeskriminalamts

In seinem Urteil vom 28. Dezember 2016 – 6 K 332/16.WI hat das VG Wiesbaden erneut die Aktenführung einer Behörde gerügt. Bislang war vor allem die elektronische Akte des BAMF im Fadenkreuz des Gerichts – dies klingt explizit in einigen Absätzen der Urteilsbegründung an. Im Kern spricht das Gericht aber einige wichtige Aspekte der elektronischen Aktenführung an.

Die behördliche Aktenführung ist in den Verwaltungsverfahrensgesetzen nicht gesetzlich vorgeschrieben oder gar inhaltlich näher thematisiert. Erst recht nicht ist eine Behörde auf die Führung von Akten in Papierform oder einer anderen Form festgelegt. Nach allgemeiner Meinung ergibt sich aber die Pflicht zur Aktenführung aus dem Recht auf Akteneinsicht.

Dem Aktenbegriff unterfallen also zunächst die gesammelten, in der Regel gehefteten oder sonst papiergebundenen schriftlichen „herkömmlichen“ Vorgänge (einschließlich Zeichnungen, Pläne, Skizzen u. ä.) in einer Verwaltungsangelegenheit, aus denen sich der wesentliche Inhalt und Ablauf des Verwaltungsverfahrens ergibt.

Neben der herkömmlichen Aktenführung in Papier kann die Behörde ihre Akten auch elektronisch führen. Einer besonderen Ermächtigung hierfür bedarf es nicht. Hierzu werden selbst erstellte oder elektronisch eingesandte Dokumente (rechtssicher) abgelegt. Eingehende Papierdokumente werden eingescannt. Der Scanvorgang ist bei (noch) vorherrschender Papierkorrespondenz ein organisatorisches Nadelöhr und hat auch im Hinblick auf den Beweiswert des Scanergebnisses technisch-organisatorisch hohen Anforderungen zu genügen. Gem. § 7 Abs. 1 Satz 2 EGovG ist bei der Übertragung in elektronische Dokumente (Scanvorgang) nach dem Stand der Technik sicherzustellen, dass die elektronischen Dokumente mit den Papierdokumenten bildlich und inhaltlich übereinstimmen, wenn sie lesbar gemacht werden. Den Stand der Technik gibt nach allgemeiner Auffassung insbesondere die Technische Richtline „Ersetzendes Scannen“ (TR RESISCAN) des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnologie (BSI) wieder. Hierbei kommt es nach dem Willen des Gesetzesgebers ebenso wie nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift, vor allem aber im Hinblick auf die Bedürfnisse der behördlichen und forensischen Praxis ausschließlich auf die inhaltserhaltende Qualität des Scanguts an, nicht auf die technische Perfektion der Digitalisierung.

Werden die Verwaltungsakten elektronisch oder hybrid geführt, gilt hinsichtlich der übrigen Anforderungen grundsätzlich nichts anderes, als in der „Papierwelt“. Aktenwahrheit und Aktenvollständigkeit sind unabhängig vom Medium der Aktenführung sicherzustellen. Die Begrifflichkeiten sind lediglich funktionsäquivalent in die elektronische Welt zu übertragen. Schwerpunkt ist dabei vor allem die Sicherstellung der Vollständigkeit der Akten, die sämtliche zu einem Verwaltungsverfahren gehörenden Vorgänge umfassen müssen, die Wahrung der Authentizität des Aktenmaterials, das gegen nachträgliche Verfälschungen hinreichend gesichert werden muss, und die Integrität und Stabilität der elektronischen Akte, die unter Umständen auch nach Jahren noch zu Einsichts- oder Beweiszwecken zur Verfügung stehen muss.

Dass eine behördliche Akte vollständig zu sein hat, liegt auf der Hand. Dies ergibt sich schon daraus, dass auch nur in eine vollständige Akte ein Akteneinsichtsrecht sinnhaft ist. Umso überraschender ist demgegenüber, dass selbst der notwendige Akteninhalt nicht definiert ist. Rechtstheoretisch stehen sich der formelle und der materielle Aktenbegriff gegenüber.

Obschon sich die Frage genauso bei Papierakten stellt, wird die Aktenvollständigkeit – wie im Urteil des VG Wiesbaden – vor allem bei elektronischen Verwaltungsvorgängen hinterfragt. Dies liegt vor allem daran, dass die elektronische Vorgangsbearbeitung tatsächlich bereits heute zu Besonderheiten hinsichtlich des Akteninhalts führt. Das eingesetzte Vorgangsbearbeitungsprogramm wird, insbesondere bei Einsatz einer Papierakte oder einer hybriden Akte, parallel zur eigentlich Aktenpflege mit zahlreichen Daten bestückt, die oft, aber nicht zwingend, unterstützende Bedeutung haben (insbesondere sog. Meta-Daten zu Dokumenten, die zum Vorgang gereicht oder genommen werden) oder aber über den individuellen Vorgang hinaus benötigt werden (Geschäftsverteilungspläne, Adressdaten, Statistikdaten etc.). Hinzu kommt die oft sehr informelle Kommunikation inner- oder intrabehördlich per E-Mail, die sich nicht selten in einer Grauzone zwischen vorbereitender Tätigkeit und aktenrelevanter Vorgangsbearbeitung bewegt.

Jedenfalls ist eine Verwaltungsakte mit elektronischen Bestandteilen mehr als eine chronologische Ablage eingegangener oder selbsterstellter Dokumente. Dies hat auch der Gesetzgeber erkannt und sich zwar nicht zu einer gesetzlichen Definition durchgerungen, aber jedenfalls in der Gesetzesbegründung zum EGovG Stellung bezogen, in dem die elektronische Akte als „eine logische Zusammenfassung sachlich zusammengehöriger oder verfahrensgleicher Vorgänge und/oder Dokumente, die alle bearbeitungs- und aktenrelevanten E-Mails, sonstigen elektronisch erstellten Unterlagen sowie gescannten Papierdokumente umfasst und so eine vollständige Information über die Geschäftsvorfälle eines Sachverhalts ermöglicht“ beschrieben wird (BT-Dr 17/11473, S. 37).

(Urteil nachzulesen unter: http://www.jurpc.de/jurpc/show?id=20170024)

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts