VGH Kassel: EGVP-Eingangsbestätigung ist Anscheinsbeweis für Fristwahrung

Legt ein Verfahrensbeteiligter einen Ausdruck der vom gerichtlichen Empfangsserver automatisch versandten Eingangsbestätigung für den Eingang eines Schriftstücks per EGVP vor, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass das Schriftstück zu dem auf der Eingangsbestätigung ausgewiesenen Zeitpunkt auf dem Gerichtsserver eingegangen ist. Dies hat der VGH Kassel am 26. September 2017 entschieden (5 A 1193/17).

Als IT-Verantwortlicher eines Gerichts, mag man gar nicht so genau wissen, was im „Maschinenraum“ geschehen ist; der Umgang des VGH mit dem Problem ist aber souverän. Passiert war, was im elektronischen Rechtsverkehr natürlich nicht passieren soll, was aber in der Papierwelt nicht so selten war, wie man meint: Die Klageschrift war beim Gericht nicht auffindbar – oder nicht angekommen.

Während das VG Frankfurt am Main im erstinstanzlichen Verfahren noch vom allgemeinen Grundsatz ausgegangen war, dass der Einreicher die rechtzeitige Einreichung nachzuweisen hat, maß der VGH in der zweiten Instanz der Eingangsbestätigung – der sog. Acknowledgment-Datei – nicht unerheblichen Beweiswert bei. Sie erbringe den Beweis des ersten Anscheins für die fristgerechte Einreichung der Klage. Die Eingangsbestätigung für eine EGVP-Nachricht werde automatisch vom Server des Empfängers erstellt und übersandt. Aus ihr lasse sich daher ersehen, dass die Nachricht nebst Anlagen – die zumeist die das Verfahren betreffenden Schriftsätze enthalten – beim Empfänger eingegangen ist. Die Eingangsbestätigung zeige deshalb den erfolgreichen Abschluss des auf elektronischem Weg erfolgenden Schriftverkehrs. Sie unterscheide sich dadurch substantiell vom Sendeprotokoll eines Telefax-Gerätes.

Für die Praxis ist allerdings darauf hinzuweisen, dass auch der VGH nicht ohne jeden Zweifel geneigt ist, der Eingangsbestätigung zu vertrauen. Im vorliegenden Fall werde der Anscheinsbeweis zwar nicht erschüttert. Misstrauen, jedenfalls Wachsamkeit, ist jedoch dennoch angebracht, denn die Eingangsbestätigung ist – hierauf geht der VGH allerdings nicht mehr ein (und es sei dem Rechtsanwalt im vorliegenden Verfahren auch keinesfalls unterstellt) – leicht manipulierbar bzw. fälschbar; sie ist auch nicht durch eine Signatur geschützt.

Zu unterscheiden ist der Fall des VGH im Übrigen von Fällen, in denen die ERV-Infrastruktur ganz oder teilweise (bspw. der Verzeichnisdienst) ausgefallen ist; diese Fälle werden zukünftig durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu lösen sein. Hierfür wird die Ermittlung erforderlich sein, ob – dem Vortrag des Einreichers entsprechend – die Infrastruktur tatsächlich ausgefallen war und, ob für ihn nicht andere Wege der Einreichung rechtzeitig erreichbar waren. Die Ersatzeinreichungsregelungen des § 130d Satz 2, 3 ZPO treten erst mit der aktiven Nutzungspflicht für den ERV ab (spätestens) 1. Januar 2022 in Kraft.

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts

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