Vom Reiten toter Dinosaurier – eEB und beA

Einem Bonmot unbekannter Quelle zufolge gleicht die Reform des Justizwesens dem Reiten von Dinosauriern, wobei der Urheber wohl weniger an spurtschnelle Jäger und mehr an die gewichtigen und schwerfälligen Pflanzenfresser gedacht haben dürfte. Ausgestorben wie Dinosaurier nun einmal sind, darf man mit hinreichender Sicherheit auch von „toten“ sprechen – und siehe da: gar nicht so unpassend zur Metapher!

Mit dem Justizkommunikationsgesetz vom 22.3.2005, dem Gesetz zur Förderung der elektronischen Verwaltung vom 25.7.2013 und insbesondere dem Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10.10.2013 sowie dem Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs vom 5.7.2017 hat sich der Gesetzgeber bemüht, mit genügendem zeitlichen Vorlauf insbesondere der Rechtsanwaltschaft, den Behörden und der Justiz klare Vorgaben für eine stufenweise Einführung der „passiven Nutzungspflicht“ zum 1.1.2018, der „aktiven Nutzungspflicht“ zum 1.1.2022 und der elektronischen Aktenführung zum 1.1.2026 zu geben.

Bereits im Jahr 2017 stand der Anwaltschaft das besondere elektronische Anwaltspostfach für die elektronische Kommunikation mit der Justiz zur Verfügung. An Informationen und Hilfestellungen für die Anwaltschaft zur Vorbereitung auf die zum 1.1.2018 bevorstehende „passive Nutzungspflicht“ fehlte es nicht. Die Erwartungen des Gesetzgebers hinsichtlich der Mitwirkung dieser „Organe der Rechtspflege“ schienen sich zu erfüllen. Aber weit gefehlt!

Weite Teile der Anwaltschaft verharren in einer Verweigerungshaltung, negieren die rechtlichen Vorgaben, wirken – sofern überhaupt – nur zögerlich mit, behelligen vielmehr die Gerichte mit individuellen Sonderwünschen zur Handhabung der Kommunikation, die im Wesentlichen wenn nicht auf ein vollständiges Unterlassen elektronischer Kommunikation so doch auf ein „aber doch nicht mit mir“ hinauslaufen. Die geradezu rührenden Erklärungsmuster der Anwälte „in eigener Sache“ hier wiederzugeben erschiene nicht fein und trüge die Gefahr, sich dem Vorwurf der üblen Nachrede auszusetzen, dem nur unter Verletzung der Vertraulichkeit gerichtlicher Verfahrensinformationen zu begegnen wäre. Darauf sei verzichtet, zumal man entsprechenden Bedarf in „Anwaltsforen“ wie bei facebook leicht befriedigen können soll.

Im Dornröschenschlaf hingegen „die Behörden“, die überwiegend wohl erst erheblich Zeit nach Inkrafttreten der Bestimmungen zum 1.1.2018 überhaupt von den gesetzlichen Vorgaben erfahren haben dürften.

Eine deutsche Erfolgsgeschichte zeichnet sich somit nicht ab. Doch wie schön hätte es werden sollen?

Ab dem 1.1.2018 besteht die Rechtspflicht zur Eröffnung eines sicheren Übermittlungswegs für die Zustellung elektronischer Dokumente (§ 174 Abs. 3 Satz 1 und 4 ZPO). Jeder Anwalt ist Inhalber eines besonderen elektronischen Anwaltspostfachs – beA – und nicht nur verpflichtet, „die für dessen Nutzung erforderlichen technischen Einrichtungen vorzuhalten“, sondern auch Mitteilungen einschließlich Zustellungen „zur Kenntnis zu nehmen“ (§ 31a Abs. 6 BRAO).

Erfolgt eine solche Zustellung an das beA besteht nach § 174 Abs. 3 ZPO eine Rechtspflicht des Empfängers, die Zustellung durch ein elektronisches Empfangsbekenntnis nachzuweisen (Satz 3), indem er das elektronische Empfangsbekenntnis „in strukturiert maschinenlesbarer Form“ übermittelt (Satz 4), wofür ein vom Gericht mit der Zustellung übersandter „Datensatz“ zu nutzen ist (Satz 5). Ein „Wahlrecht“, das Empfangsbekenntnis auf anderem Wege (Briefpost, Telefax) zu übermitteln, steht dem Anwalt nicht zu, mögen auch den bis zum 31.12.2017 geltenden Traditionen verhaftete Kommentatoren solchen behaupten; in einem solchen Fall vermag allein § 189 ZPO zu helfen.

Soweit Rechtsanwender „in eigener Sache“ darauf auszuweichen versuchen, eine passive Nutzungspflicht des beA bestünde „nur“ – und dies ist eine schon für sich genommen interessante Argumentationsfigur eines Organs der Rechtspflege – nach berufsrechtlichen Bestimmungen, so verkennt dies die Normbefehle des § 174 der Zivilprozessordnung und der diese Bestimmung für anwendbar erklärenden Prozessordnungen der Fachgerichtsbarkeiten (z. B. § 56 Abs. 2 VwGO) und negiert den Willen des Gesetzgebers (zu § 174 ZPO: BT-Drucks. 17/13948, S. 7 und 34; zu § 31a Abs. 6 BRAO: BR-Drucks. 431/16, Gliederungspunkt A 2 c) und Gliederungspunkt B, zu Artikel 1,zu Nummer 8, Zu Buchstabe c, Zu Absatz 6: „… mit der ab dem 1. Januar 2018 geltenden zivilprozessualen Verpflichtung aus § 174 Absatz 3 Satz 4 ZPO … der zivilprozessualen passiven Nutzungspflicht …).

Die elektronische Zustellung an Behörden darf ich an dieser Stelle vernachlässigen, ohne allzuviel zu verschweigen. Die wenigen Behörden, die über ein „besonderes elektronisches Behördenpostfach“ verfügen oder einen anderen sicheren Übermittlungsweg nachgewiesen hätten, genügten kaum, einen Flickenteppich nachzuzeichnen.

Was tun, wenn das Organ der Rechtspflege ein elektronisches Empfangsbekenntnis überhaupt nicht – schon gar nicht „unverzüglich“ im Sinn des § 14 der Berufsordnung – abgibt und auf eine elektronische Zustellung ebenso wenig wie auf mehrfache Erinnerungen des Gerichts nicht reagiert bzw. sich schließlich doch zu der nicht näher substantiierten Behauptung bereit findet, man habe noch „technische Probleme mit dem beA“ oder könne „auf das beA nicht zugreifen“?

Angesichts des anhand der Pressemitteilungen, der BRAK-Mitteilungen und verschiedener Newsletter der Bundesrechtsanwaltskammer leicht nachvollziehbaren zeitlichen Vorlaufs sprechen – prima facie – alle Umstände für ein anwaltliches Verschulden als Ursache für ein von diesem zu verantwortendes „Zustellhindernis“, für eine anwaltliche Zustellungsvereitelung, die jedenfalls nicht der anderen Prozesspartei zum Nachteil gereichen darf. Der Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs unter Begründung der Zugriffsmöglichkeit des Anwalts lässt sich ohne Weiteres feststellen. Welche Folgerungen die Rechtsmittelgerichte in prozess- (vgl. nur OLG Hamm, B. v. 3.5.2016 – III-4 Ws 103/16 -, juris) bzw. die Rechtsanwaltskammern in berufsrechtlicher Hinsicht letztlich hieraus ziehen werden, bleibt abzuwarten.