Gem. § 278 Abs. 6 ZPO kann ein gerichtlicher Vergleich auch dadurch geschlossen werden, dass die Parteien dem Gericht einen schriftlichen Vergleichsvorschlag unterbreiten oder einen schriftlichen oder zu Protokoll der mündlichen Verhandlung erklärten Vergleichsvorschlag des Gerichts durch Schriftsatz annehmen. Mit Beschluss vom 25. Februar 2022 – 4 Ca 688/22 – hat das ArbG Stuttgart klargestellt, dass § 278 Abs. 6 ZPO kein materielles Schriftformerfordernis im Sinne von §§ 126, 126a BGB enthält – mit der Folge, dass eine qualifizierte elektronische Signatur erforderlich wäre. Vielmehr ist die prozessuale Schriftsatzform ausreichend, also auch die Nutzung des beA als sicherer Übermittlungsweg mit der bloß einfachen Signatur.
Die materiell-rechtliche elektronische Form gemäß § 126a BGB als Ersatz der Schriftform gemäß § 126 BGB setzt eine qualifizierte elektronische Signatur der erklärenden Person voraus. Für die prozessrechtliche elektronische Form als Schriftformersatz gilt jedoch gem. § 130a Abs. 3 ZPO, dass es zwei gleichberechtigt nebeneinander stehende Alternativen gibt: Die qualifizierte elektronische Signatur – also dieselbe Form wie im materiellen Recht – oder aber die Nutzung eines sicheren Übermittlungswegs (also bspw. des beA) durch die verantwortende Person selbst; dann genügt die einfache Signatur. Prozessual besteht also eine Formerleichterung, die im (älteren) materiellen Recht nicht existiert.
Fraglich ist deshalb, wie sich die Unterschiede in der prozessrechtlichen und der materiell-rechtlichen elektronischen Form beim Vergleich auswirken. In Abgrenzung zum außergerichtlichen Vergleich hat der gerichtliche Vergleich eine Doppelnatur. Er ist gleichzeitig materiell-rechtlicher Vertrag und Prozesshandlung. Wesen der Prozesshandlung ist die unmittelbare Beendigung des Rechtsstreits durch den Vergleich. Die Wirksamkeit der Prozesshandlung richtet sich unstreitig ausschließlich nach den Grundsätzen des Prozessrechts.
Für die materiell-rechtliche Form des Vergleichs kommt es allerdings ebenso auf das hierfür geltende materielle Recht an.
Die prozessualen Folgen eines materiell-rechtlichen Mangels sind Folge der Doppelnatur des Vergleichs. Das Prozessrecht und das materielle Recht beeinflussen sich in ihrer Wirksamkeit wechselseitig, allerdings in unterschiedlicher Weise. Da die Prozesshandlung nur die „Begleitform“ für einen materiell-rechtlichen Vergleich ist, verliert sie ihre Wirksamkeit, wenn der materielle Vergleich seinerseits unwirksam ist oder wird; dem Vergleich wird die verfahrensrechtliche Wirkung der Prozessbeendigung entzogen, wenn er aus sachlich-rechtlichen Gründen unwirksam ist. Die Folgen sind also andere als die eines Mangels im Prozessrecht: Kommt wegen formeller Mängel ein wirksamer Prozessvergleich nicht zustande, so führt das nicht ohne Weiteres zur Ungültigkeit der materiell-rechtlichen Vereinbarung. Ist der Vertrag materiell-rechtlich unwirksam, können aus ihm selbstverständlich keine materiell-rechtlichen Ansprüche mehr hergeleitet werden. Dies ergibt sich aus einer entsprechenden Anwendung der schuldrechtlichen Grundsätze, die entsprechend auf den Vergleichsvertrag anwendbar sind. Dies gilt bspw. für die Frage des Unvermögens oder der Unmöglichkeit der Leistungserbringung; beides führt nicht zur Nichtigkeit des Vertrags, sondern lediglich zum Ausschluss des Anspruchs (§§ 275 Abs. 1, 311a Abs. 1 BGB). Ggf. kann aber ein Schadensersatzanspruch bestehen (§ 311a Abs. 2 BGB).
Grundsätzlich ergäbe sich hierdurch für den gerichtlichen Vergleich kein Problem: Vergleichsverträge gem. § 779 BGB unterliegen grundsätzlich keiner materiell-rechtlichen Form. Sie können formfrei ergehen. Etwas anderen gilt lediglich im öffentlichen Recht. Hier besteht gem. § 56 SGB X bzw. § 57 VwVfG die Schriftform (vgl. Müller, beckOGK § 101 Rn. 22 ff.).
Allerdings besteht auch für den zivilrechtlichen Vergleichsvertrag eine abweichende Literaturmeinung, die sich auf den missglückten Wortlaut des § 278 Abs. 6 ZPO stützt. Das ArbG Stuttgart gibt den Meinungsstreit instruktiv wie folgt wieder:
„In der Literatur wird jedoch die Auffassung vertreten, § 278 Abs. 6 Satz 1 Var. 1 ZPO enthalte ein echtes materiell-rechtliches Schriftformerfordernis. Die Schriftsatzform (vgl. §§ 130 Nr. 6, 130a ZPO bzw. § 46c ArbGG) reiche nicht aus. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut der Vorschrift. Während § 278 Abs. 6 Satz 1 Var. 2 ZPO ausdrücklich regele, dass die Annahme des gerichtlichen Vergleichsvorschlags wirksam „durch Schriftsatz“ erfolgen könne, sehe § 278 Abs. 6 Satz 1 Var. 1 ZPO vor, dass der Vergleichsvorschlag der Parteien „schriftlich“ erfolgen müsse. Dies könne nur so verstanden werden, dass für den Vergleichsvorschlag der Parteien Schriftform i.S. der §§ 126, 126a BGB erforderlich sei und die bloße Einhaltung der für bestimmende Schriftsätze geltenden Form nicht ausreiche. Für die Geltung der §§ 126, 126a BGB spreche neben der sprachlichen Differenzierung des Gesetzes, dass der Vergleichsvorschlag der Parteien nach § 278 Abs. 6 Satz 1 Var. 1 ZPO nicht nur eine Prozesshandlung darstelle, sondern auch eine materiell-rechtliche Willenserklärung, nämlich ein Angebot i.S. des § 145 BGB enthalte. Ordne aber ein Gesetz für materiell-rechtliche Willenserklärungen Schriftlichkeit an, gälten nicht deshalb gegenüber §§ 126, 126a BGB gelockerte Formvorschriften, weil sie im Rahmen eines Schriftsatzes erklärt würden. Daraus, dass die Schriftlichkeit des Vergleichsvorschlags der Parteien im Rahmen einer prozessrechtlichen Vorschrift angeordnet werde, ergebe sich nichts anderes. Grundsätzlich fänden §§ 126, 126a BGB auch dann Anwendung, wenn eine verfahrensrechtliche Vorschrift die Schriftlichkeit einer Erklärung vorsehe. Nur vor diesem Hintergrund verstehe sich die Zulassung des elektronischen Dokuments bei gesetzlicher Anordnung der Schriftform in § 130a ZPO in Parallele zu § 126a BGB. Die Regelung des § 130 Nr. 6 ZPO gelte ausschließlich dort, wo das Gesetz die Einreichung eines Schriftsatzes ausreichen lasse. Deshalb sei die Einreichung eines Vorschlags gemäß § 278 Abs. 6 Satz 1 Var. 1 ZPO per Telefax nicht zulässig. Ein Beschluss nach § 278 Abs. 6 Satz 2 ZPO dürfe dann nicht ergehen (zum Ganzen Nungeßer NZA 2005, 1027, 1029; A.A. ohne weitere Begründung Schulte/Molkenbur, ArbRB 2015, 61, 62).“
Richtigerweise schließt sich das ArbG Stuttgart unter Hinweis auf den Sinn und Zweck des § 278 Abs. 6 ZPO, der der Verfahrenserleichterung dienen sollte, nicht an:
„Das Unterbreiten eines schriftlichen Vergleichsvorschlags durch die Parteien gemäß § 278 Abs. 6 Satz 1 Var. 1 ZPO ist deshalb zunächst einmal Prozesshandlung (vgl. MüKoZPO/Prütting, a.a.O.). Es handelt sich um eine „prozessgestaltende Erklärung gegenüber dem Gericht, die (ähnlich wie die Erledigungserklärung, die Klagerücknahme oder die Klageänderung) als ein bestimmender Schriftsatz anzusehen ist“ (so OLG Karlsruhe 6. Juli 2010 – 5 UF 17/10 – Rn. 27). Wegen dieser prozessualen Bedeutung des Prozessvergleichs (Beendigung des Rechtstreits, Wegfall der Rechtshängigkeit des Verfahrens und Titelfunktion) statuiert § 278 Abs. 6 Satz 1 Var. 1 ZPO eine Formstrenge (OLG Karlsruhe a.a.O.). Diese Form kann deshalb auch nur prozessual verstanden werden. Prozessual betrachtet wäre es nicht einsichtig, einen Vergleich gemäß § 278 Abs. 6 Satz 1 Var. 1 ZPO einer größeren Formstrenge zu unterwerfen als z.B. eine Klageerhebung, eine Erledigungserklärung oder eine Klagrücknahme.
Die Gegenansicht hätte schließlich zur Folge, dass Rechtsanwälte und andere professionelle Einreicher nach Inkrafttreten der aktiven Nutzungspflicht (§ 46g ArbGG; § 130d ZPO) zum 01.01.2022 ohne qualifizierte elektronische Signatur keine Vergleichsvorschläge gemäß § 278 Abs. 6 Satz 1 Var. 1 ZPO mehr unterbreiten könnten. Eine beA-Basiskarte ohne Signaturzertifikat wäre dann eine unzureichende Ausstattung für einen Rechtsanwalt. Es bedürfte zwingend einer Signaturkarte. Dieses Resultat liefe erkennbar dem Willen des Gesetzgebers zuwider, einerseits mit § 278 Abs. 6 Satz 1 Var. 1 ZPO das prozessuale Massengeschäft zu vereinfachen und andererseits in § 46c Abs. 3 Satz 1 ArbGG (bzw. § 130a Abs. 3 Satz 1 ZPO) zwei gleichwertige Möglichkeiten zur Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr zu etablieren (dazu ArbG Stuttgart 15. Dezember 2021 – 4 BV 139/21 – Rn. 21).“
Nichtsdestotrotz – und das meint zu Recht auch das ArbG Stuttgart – wäre eine Klarstellung durch den Gesetzgeber wünschenswert. Gerade der gerichtliche Vergleich – zumal Vollstreckungstitel – sollte keinesfalls Unsicherheiten hinsichtlich seiner Wirksamkeit ausgesetzt sein.