Die Bedeutung der Beiziehung der Behördenakten für die öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeit sowohl rechtlich, als auch arbeitspraktisch ist immens. Probleme der Übersendung von Behördenakten können unter Beweisgesichtspunkten zu einer Verkürzung der Amtsermittlungsmöglichkeiten des Gerichts und ggf. zu Verkürzung von Rechtsschutzmöglichkeiten führen. Im Arbeitsalltag führen hier verortete Probleme zu erheblichen Ineffizienzen. Der Gesetz- bzw. der Verordnungsgeber nimmt sich nun dieser Thematik mit einem Diskussionsentwurf zu einer Behördenaktenübermittlungsverordnung (BehAktÜbV). Dies ist grundsätzlich zu begrüßen. Der nun vorgelegte Entwurf ist indes in weiten Teilen misslungen, jedenfalls ungeeignet, das vorliegende Problem zu lösen. Zu begrüßen ist alleine, dass der xJustiz-Standard als Regelfall der Übermittlung von Behördenakten in den Blick genommen wird. Die angestoßene Diskussion sollte deshalb (zunächst) weitergehen und der Entwurf nachgebessert werden.
Im Einzelnen ist diese Einschätzung wie folgt zu begründen:
- § 2 Abs. 1
„Elektronische Akten sollen elektronisch übermittelt werden.“
Die Regelung sollte gestrichen werden. Sie entspricht für die öffentlich-rechtlichen Fachgerichtsbarkeiten nicht der Gesetzeslage. Gem. § 99 VwGO, § 89 FGO sind die Behörden „zur Vorlage von […] Akten“ verpflichtet. Diese Vorlagepflicht bezieht sich nach allgemeiner Meinung (vgl. bspw. Gädeke in: jurisPK-ERV Band 3, 2. Aufl., § 99 VwGO (Stand: 24.03.2023), Rn. 20 f.) auf das jeweilige Format der Aktenführung; elektronische Akten sind deshalb elektronisch vorzulegen, Papierakten in Papierform.
In der Sozialgerichtsbarkeit findet sich eine differenzierte Regelung in § 104 S. 5, 6 SGG. Danach kann zwar zunächst eine „Abschrift“ der Akte vorgelegt werden. Das Gericht kann aber – inhaltlich der Regelung des § 99 VwGO entsprechend – auch das Original der Akte verlangen (BeckOGK/Müller, 1.2.2024, SGG § 104 Rn. 16 ff.).
Letztlich gilt – wie stets im (elektronischen) Beweisrecht – der „Grundsatz der Formattreue“ (vgl. Müller, NZS 2014, 929; ders. ASR 2022, 59; ders. in: jurisPK-ERV Band 2, 2. Aufl., § 371 ZPO (Stand: 20.02.2024), Rn. 61; Achatz, BayVBl 2024, 37, 42). Vorzulegen ist (nicht: „soll“, wie in § 2 Abs. 1 vorgesehen) deshalb stets das (elektronische) Original, sofern die Akten elektronisch geführt werden (andernfalls das Papier-Original). Ein „Original“ sind bei elektronischer Aktenführung stets elektronische Dokumente in ihrem ursprünglichen und unveränderten Dateiformat. Der Begriff des „Originals“ ist dabei freilich anachronistisch, weil eine elektronische Datei in ihrem originalen Zustand grundsätzlich beliebig vervielfältigbar ist und deshalb die Grenzen der Begriffe „Original“ und „Kopie“ verschwimmen.
Im Ergebnis ist deshalb zu empfehlen, § 2 Abs. 1 zu streichen.
- § 2 Abs. 2
„Die Dokumente der elektronischen Akte sind auf dem sicheren Übermittlungsweg nach § 130a Absatz 4 Satz 1 Nummer 3 der Zivilprozessordnung, auch in Verbindung mit § 14 Absatz 2 Satz 2 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den An-
gelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, § 46c Absatz 4 Satz 1 Nummer 3 des Arbeitsgerichtsgesetzes, § 55a Absatz 4 Satz 1 Nummer 3 der Verwaltungsgerichtsordnung, § 65a Absatz 4 Satz 1 Nummer 3 des Sozialgerichtsgesetzes oder § 52a Absatz 4 Satz 1
Nummer 3 der Finanzgerichtsordnung zu übermitteln.“
Die hier getroffene Regelung ist inhaltlich zutreffend, hat aber maximal nur klarstellenden Charakter, weil sie lediglich die geltende Gesetzeslage in anderen Worten wiedergibt. Das Gesetz sieht ausdrücklich die Übersendung der Behördenakten vor. Die Behörde kann daher bereits nach dem Wortlaut (vgl. im Gegensatz dazu § 120 „Bereitstellung zum Abruf“) nicht verlangen, dass das Gericht die Akten aus einem von der Behörde betriebenen Downloadportal oder einer Cloud-Lösung abruft. Dies wäre im Übrigen auch nicht praktikabel, weil die abgeschirmten Justiznetze nicht selten einen externen Download gar nicht zulassen, ferner die Posteingangsstellen der Gerichte sich mit zahlreichen unterschiedlichen Portallösungen auseinandersetzen müssten (BeckOGK/Müller, 1.2.2024, SGG § 104 Rn. 17).
Zu beachten ist, dass die Größen- und Mengenbeschränkungen (aktuell 200 MB / 1.000 Einzeldateien) auch heute noch teilweise zu gering bemessen sind, um in bestimmten Rechtsgebieten, Behördenakten ohne die Notwendigkeit einer Paketierung zu übersenden. Die Sozialgerichtsbarkeit ist hiervon allerdings selten betroffen. Dennoch sollte überdacht werden, ob die Beibehaltung einer Größen- und Mengenbeschränkung noch zeitgemäß ist.
- § 2 Abs. 3
„Signaturdateien, die in den Dokumenten der elektronischen Akte gegebenenfalls vorhanden sind, sollen nicht übermittelt werden. Protokolle über die Prüfung von Signaturdateien können übermittelt werden, wenn der Absender den Nachweis der Schriftform im Einzelfall für erforderlich hält.“
Die Regelung des § 2 Abs. 3 ist abzulehnen und sollte gestrichen werden. Elektronische Zertifikate (nicht nur die hier geregelten Signaturen, gleiches gilt auch für elektronische Siegel, die systemwidrig gar nicht erwähnt werden) stellen das wichtigste Mittel zu einer (verkehrsfähigen) Beweiswerterhaltung dar. Sie werden in den §§ 371a, 371b ZPO eingesetzt, um elektronische Dateien Urkunden gleichzustellen. Sie dienen also gerade nicht nur der Wahrung verfahrensrechtlicher Formvorschriften, wie offenbar in dieser Regelung vorausgesetzt. Spätestens seit 1.1.2024 nimmt die Bedeutung elektronischer Zertifikate zur Schriftformwahrung durch die Änderungen des § 3a Abs. 3 VwVfG bzw. § 36a Abs. 2a SGB I sogar ab.
Werden aber elektronische Zertifikate gar nicht mehr übersandt, Prüfprotokolle jedenfalls nicht zwingend, besteht eine erhebliche Bedeutung für das (elektronische) Beweisrecht. Dies gilt umso mehr, als unter Anwendung des § 2 Abs. 3 nicht einmal ersichtlich wäre, ob elektronische Zertifikate vorhanden sind. Entsprechend wüssten weder der Prozessgegner noch das Gericht jeweils von der Existenz möglicherweise elektronischer Beweismittel.
Gerade diesen Zustand zu vermeiden, war die Intention hinter der Etablierung des xJustiz-Standards mit Einzeldokumenten als Datenaustauschformat, weil unter Anwendung dieses Standards die Übersendung von unveränderten Einzeldokumenten – explizit einschließlich elektronischer Signaturen und Siegel – möglich wurde. Dieses auch von dem Diskussionsentwurf in § 2 Abs. 4 vorgesehene Bestreben würde durch § 2 Abs. 3 letztlich konterkariert.
Sollte der Verzicht auf elektronische Zertifikate seinen Grund in Defiziten der EGVP-Infrastruktur haben, ist im Übrigen fraglich, weshalb überhaupt (bereits) systemseitig die Zertifikate geprüft werden; entweder (im Fall von Gerichtsakten) sind eventuelle Signaturen bereits geprüft oder (im Fall von Behördenakten – die letztlich „nur“ Beweismittel sind), ist eine Überprüfung der Zertifikate nur dann notwendig, wenn das Gericht sie für erforderlich hält.
Die mit der Übermittlung von elektronischen Zertifikaten und Prüfprotokollen verbundenen technischen Anforderung (Rechenleistung der Hardware, Speicherkapazitäten und Möglichkeiten der eingesetzten eAkten-Software zum Ausblenden technischer Dokumente) sind ohnehin durch Einsatz entsprechend ertüchtigter Systeme zu erfüllen. Abzulehnen ist dagegen – wie wahrscheinlich hier intendiert -, dass Unzulänglichkeiten der IT-Infrastruktur durch eine Änderung der Rechtslage mit Nachteilen im Beweisrecht kaschiert werden.
2 Abs. 3 ist deshalb entweder ersatzlos zu streichen oder sogar gegenteilig klarstellend dahingehend zu formulieren, dass elektronische Zertifikate (nicht nur Signaturen) und ggf. vorhandene Prüfprotokolle stets mit zu übermitteln sind.
- § 2 Abs. 4
„Den Dokumenten der elektronischen Akte soll bei der Übermittlung ein strukturierter maschinenlesbarer Datensatz im Dateiformat XML beigefügt werden, der den nach § 5 Absatz 1 Nummer 2 der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung bekanntgemachten Definitions- oder Schemadateien entspricht. Er muss mindestens Folgendes enthalten:
1. die in § 2 Absatz 3 der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung genannten Daten,
2. das Aktenzeichnen der übermittelnden Stelle,
3. Angaben zur Reihenfolge der Dokumente in der Akte,
4. Angaben zum Typ der Dokumente der Akte und
5. das Eingangsdatum der Dokumente der Akte.“
Es ist zu begrüßen, dass die Übersendung elektronischer Behördenakten in Einzeldokumenten mit beschreibender xJustiz-Datei angestrebt wird. Nur dieses Format ermöglicht letztlich den o.g. beweisrechtlichen „Grundsatz der Formattreue“. Der Wert der elektronischen Behördenakte als Beweismittel ergibt sich vor allem daraus, wie die Authentizität, Integrität/Stabilität und Vollständigkeit der Akte gewährleistet ist. Anders als bei einer herkömmlichen Akte ist bei einer elektronischen Akte eine rein chronologische Ablage aller Vorgänge nicht zwingend, eine Paginierung je nach Dateiformat sogar unmöglich, jedenfalls aber leicht manipulierbar. Zudem werden neben den Informationen, die üblicherweise in einer Papierakte abgelegt werden, oft auch Daten (bspw. elektronische Zertifikate) und sog. Metadaten erfasst, die nach richtiger Meinung auch Bestandteil der vorzulegenden elektronischen Akte sind. All dies wird durch eine Aktenübersendung im xJustiz-Format ermöglicht (BeckOGK/Müller, 1.2.2024, SGG § 104 Rn. 18).
Nach dem xJustiz-Standard werden idealerweise die einzelnen Dokumente, die die Akte bilden, jeweils als einzelne (zumeist: PDF-) Datei übermittelt, sodass die elektronische Akte aus einer Vielzahl einzelner Dateien besteht. Die Chronologie oder auch eine sonstige Beziehung dieser einzelnen Dateien zueinander (bspw. die Zuordnung zu einzelnen Bänden der Akte etc) ergibt sich bei dieser Übermittlungsform weder aus den einzelnen Dateien selbst noch aus ihren Dateinamen, sondern lässt sich nur über eine mitübersandte XML-Datei nach dem xJustiz-Standard (die Datei „xjustiz_nachricht.xml“) herstellen. Dabei ist diese Datei letztlich nicht ohne eine hierfür geeignete Software auslesbar, weil nicht einmal die Reihenfolge der Angabe der Dateien in der XML-Datei für die Chronologie steht. In der Praxis besteht auch weiter die Herausforderung, dass zwar die Fachgerichte über xJustiz-Viewer verfügen (bspw. in EUREKA-Fach, in anderen eAkten-Systemen nicht immer fehlerfrei), Verfahrensbeteiligte dagegen einen gesonderten xJustiz-Viewer benötigt. Nur teilweise wird diese Herausforderung durch das bundesweite Akteneinsichtsportal einerseits aufgefangen, weil es jedenfalls nicht für das Verwaltungsverfahren nutzbar ist, andererseits durch private Initiativen (bspw. den xJustiz-Viewer, der unter www.ervjustiz.de gegen eine Spende für einen gemeinnützigen Zweck bereitgestellt wird).
Der xJustiz-Standard ist bei Versendung von Einzeldokumenten unter Beweisgesichtspunkten optimal, weil so die Behörde die Verwaltungsakte als elektronisches „Original“ elektronisch übermittelt. Im Hinblick auf das rechtliche Gehör der Verfahrensbeteiligten und die Amtsermittlungspflicht des Gerichts ist der xJustiz-Standard der immer noch verbreiteten Übersendung von zusammengestellten PDF-Dokumenten (sog. Repräsentat) deshalb deutlich überlegen und daher unbedingt politisch anzustreben.
Hierfür genügt die Formulierung des § 2 Abs. 4 als „Soll-Vorschrift“ allerdings nicht. Nach den Erfahrungen mit der Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs (Notwendigkeit einer aktiven Nutzungspflicht als Zwang zur Etablierung, nahezu flächendeckende Nichtbeachtung der Vorgaben der § 2 Abs. 2, 3 ERVV, Vorgaben der eGovernment-Gesetze des Bundes und der Länder, Einführung der Verwaltungsportale nach dem Online-Zugangsgesetz – OZG), ist eine bloße „Soll-Vorgabe“ nicht geeignet, um einen Standard einzuführen. Dies gilt für das xJustiz-Format als Datenaustauschformat deshalb umso mehr, weil die (elektronischen) Behördenakten in behördlichen Fachverfahren geführt werden, die von vielen Behörden bereits beschafft, jedenfalls aber ausgeschrieben sind, ferner es zahlreiche Softwarehersteller gibt, die im Behördenumfeld eAkten-Lösungen anbieten. Die wenigsten bestehenden Software-Lösungen bieten bereits heute einen Export im xJustiz-Format an. Entsprechend aufwendig dürfte die technische Umsetzung sein, weil sie von vertraglichen und beschaffungsrechtlichen Vorgaben abhängig ist. Mindestens wird die Umsetzung für die einzelne Behörde aber mit nicht unerheblichen Kosten verbunden sein. Die Bereitschaft der Behörden eine entsprechende Änderung vorzunehmen, dürfte deshalb bereits aus fiskalischen Gründen gering sein. Dies gilt umso mehr, weil die Übermittlung von Akten an die Gerichte für Behörden eher ein nebensächlicher Vorgang im Kerngeschäft der Sachbearbeitung ist; die Bereitstellung der Mittel dürfte bei knapper werdenden finanziellen Ressourcen dementsprechend niedrig priorisiert werden, sofern keine unbedingte normative Umsetzungspflicht besteht.
Um den gewünschten Standard zu etablieren, ist deshalb die Normierung einer „Muss-Vorschrift“ unabdingbar.
Im Übrigen sollte die Regelungstechnik überdacht werden. Der xJustiz-Standard ist dynamisch und wird üblicherweise jährlich angepasst. Es ist deshalb fraglich, ob es sinnvoll ist, verordnungsseitig in § 2 Abs. 4 S. 2 Mindestangeben zu definieren, die unter Umständen im Vergleich zu den im xJustiz-Datensatz verwendeten Termini unterschiedlich sind bzw. werden können. Geeigneter wäre, es dem xJustiz-Datensatz zu überlassen, „Kann“-, Soll“- und „Muss“-Vorgaben zu definieren.
- § 3 Abs. 1, Abs. 3
„(1) Die in der elektronischen Akte enthaltenen Dokumente müssen im Dateiformat PDF und, soweit dies technisch möglich ist, in digital durchsuchbarer Form übermittelt werden und zur Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein. § 2 Absatz 1 Satz 2 der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung ist anwendbar. Für die technischen Standards der Übermittlung und Eignung zur Bearbeitung elektronischer Dokumente gilt die Bekanntmachung nach § 5 Absatz 1 der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung entsprechend.
(3) Bei der Übermittlung eines elektronischen Dokuments nach Absatz 1 soll auch eine zugrunde liegende Datei im ursprünglichen Format übermittelt werden, wenn
1. bei der Übermittlung im Dateiformat PDF zu befürchten ist, dass inhaltstragende Informationen der Datei im ursprünglichen Format nicht sichtbar oder nicht enthalten sind oder dass durch den Formattransfer sonstige Qualitätsverluste zu befürchten sind oder
2. dies zur besseren Bearbeitbarkeit oder Lesbarkeit durch das Gericht erforderlich ist.
Ungeachtet der in Satz 1 genannten Voraussetzungen ist auf Anforderung des Gerichts die Datei im ursprünglichen Format, gegebenenfalls auch einschließlich etwaiger Signaturdateien, zu übermitteln.“
Wie bereits § 2 Abs. 3 des Diskussionsentwurfs verfehlt § 3 Abs. 1 den angestrebten beweisrechtlichen Zweck zugunsten einer (geringen) Verwaltungsvereinfachung. Hier wird zu Unrecht davon ausgegangen, dass das sog. Repräsentat (d.h. das PDF-Abbild) einer elektronischen Behördenakte für die gerichtlichen Zwecke ausreichend ist. Es wird damit verkannt, dass die Behördenakte in den öffentlich-rechtlichen Gerichtsbarkeiten das zentrale Beweismittel darstellt. Nach dem vorerwähnten „Grundsatz der Formattreue“ ist deshalb jede Dateiformatänderung unbedingt zu vermeiden, weil durch sie der Beweiswert des Beweismittels geschwächt wird. Die allgemeine Meinung geht deshalb auch davon aus, dass die Voraussetzungen der ERVV, insbesondere die Begrenzung auf bestimmte Dateiformate, für das Beweisrecht nicht gilt, weil der Beweiswert einer Datei höher ist, wenn sie in ihrem elektronischen „Originalzustand“ in Augenschein genommen werden kann (Müller in: jurisPK-ERV Band 2, 2. Aufl., § 371 ZPO (Stand: 20.02.2024), Rn. 54).
Sämtliche Überlegungen hinsichtlich einer Dateiformatwandelung oder -beschränkung für Beweismittel sind deshalb sehr problematisch, weil letztlich beweiserhebliche Informationen (bspw. Metadaten, Signaturinformationen etc.) bzw. spezifische Vorteile des ursprünglichen Dateiformats (bspw. hochauflösende digitale Fotoaufnahme in OWi-Verfahren) verloren gehen können (vgl. auch Horn, AnwBl 2021, 292). Entsprechend dem „Grundsatz der Formattreue“ gilt für elektronische Beweismittel, dass diese grundsätzlich in ihrem Ursprungsdateiformat vorzulegen sind. Nur dann handelt es sich auch begrifflich um das „Original“. Jede Formatwandlung verringert dagegen den Beweiswert des vorgelegten elektronischen Dokuments als Augenscheinsobjekt iSd. § 371 ZPO, erst Recht bei Verwendung elektronischer Zertifikate und im Anwendungsbereich der §§ 371a, 371b ZPO (Müller in: jurisPK-ERV Band 2, 2. Aufl., § 371 ZPO (Stand: 20.02.2024), Rn. 60; Trossen, jM 2024, 78; Achatz, BayVBl 2024, 37, 42).
Auch § 3 Abs. 1 ist deshalb ersatzlos zu streichen.
Um die oben dargestellten Folgen aufzufangen ist § 3 Abs. 3 unzureichend. Das Gericht kann bereits nicht wissen, ob durch das Repräsentat inhaltstragende Informationen unterdrückt werden. Woraus sich die „Befürchtung“ des Gerichts ergeben soll, ist deshalb nicht klar. Ferner ist zu beachten, dass – wohl nur aus Gründen der technischen Vereinfachung – das Recht auf ein faires Verfahren der übrigen Verfahrensbeteiligten beschnitten wird, weil ihnen verwehrt wird, stets auf das (ja ohne Weiteres verfügbare) unmittelbare Beweismittel zurückzugreifen. Schließlich kann § 3 Abs. 3 im Einzelfall zu Verfahrensverzögerungen führen, wenn zunächst das Repräsentat und (erst) auf Anforderung das Original vorgelegt werden. Ferner wird dadurch mehr als der doppelte Speicherplatz im Gericht benötigt, weil auch nach Vorlage des Originals das Repräsentat als bereits zuvor übermittelte Datei aus Gründen der Stabilität der Gerichtsakte nicht gelöscht werden kann.
3 Abs. 3 ist entsprechend ebenfalls ersatzlos zu streichen.
- § 3 Abs. 2
„Sofern der übermittelte strukturierte maschinenlesbare Datensatz es dem Gericht nicht ermöglicht, anhand von übersandten Einzeldokumenten die Aktenstruktur nachzuvollziehen, kann das Gericht im Einzelfall vorgeben, dass die Aktenstruktur auf eine andere als durch den strukturierten maschinenlesbaren Datensatz vorgegebene Weise kenntlich gemacht werden muss.“
Die Regelung des § 3 Abs. 2 ist in der Praxis in jeder Hinsicht unpraktikabel. Die Möglichkeit für einzelne Spruchkörper technische Vorgaben zu machen, überfordert nicht nur den Spruchkörper selbst, sondern erst Recht die Behörde, die andernfalls gezwungen werden möglicherweise zahlreiche unterschiedliche Vorgaben für unterschiedliche Gerichte zu erfüllen. Dies wäre technisch und fiskalisch unverhältnismäßig. Auch aus Sicht der Justizverwaltung wäre eine solche Ermächtigungsgrundlage im Einzelfall nicht wünschenswert, weil die jeweils zum Einsatz kommende Justizfachsoftware bzw. eAkten-Software ebenfalls in die Lage versetzt werden müsste, die Wünsche einzelner Spruchkörper zu erfüllen.
Eine Ermächtigungsgrundlage im Einzelfall widerspricht ferner der eigentlich vorgesehenen Standardisierung.
3 Abs. 2 ist deshalb ersatzlos zu streichen.
- § 4
„(1) Ist aus technischen Gründen eine elektronische Übermittlung nach § 2 vorübergehend nicht möglich, so ist die Übermittlung der Akte auch auf andere Weise, etwa in Papierform oder auf einem physischen Datenträger nach Maßgabe des § 5 Absatz 1 Nummer 4 der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung, zulässig. Auf Anforderung des Ge-
richts ist die elektronische Übermittlung nachzuholen, sobald sie wieder möglich ist.
(2) Können die nach § 5 Absatz 1 Nummer 3 der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung bekanntgemachten Höchstgrenzen für die Anzahl oder das Volumen elektronischer Dokumente nicht eingehalten werden und sind diese Höchstgrenzen auch nicht zwischen den Kommunikationspartnern der konkreten Übertragung technisch verändert oder aufgehoben worden, so ist die Übermittlung der Akte auf einem physischen Datenträger nach Maßgabe des § 5 Absatz 1 Nummer 4 der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung zulässig. Gleiches gilt, wenn Dokumente elektronisch zu übermitteln sind, die nicht dem nach § 5 Absatz 1 Nummer 1 der Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung bekanntgemachten PDF-Dateiformat entsprechen.
(3) Im Einzelfall ist mit Zustimmung des Gerichts auch die Bereitstellung des Inhalts der Akte zum Abruf zulässig.
(4) Dokumente und Aktenteile, die nach den Verschlusssachenanweisungen des Bundes oder der Länder als Verschlusssache VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH oder höher eingestuft sind, dürfen abweichend von § 2 bis zum 31. Dezember 2035 in Papierform übermittelt werden.“
§ 4 ist nicht zu beanstanden, andererseits auch unnötig, weil lediglich selbstverständliche Inhalte geregelt werden.
371 Abs. 1 Satz 2 ZPO sieht für den Beweisantritt zwei Varianten vor: Der Beweisführer, der Prozessgegner oder der vorlagepflichtige Dritte haben die Möglichkeit, die Datei nach ihrer Wahl entweder vorzulegen oder zu übermitteln. In beiden Varianten muss die Datei dem Gericht in der Weise zur Verfügung gestellt werden, dass es die beweiserhebliche Datei mit der üblichen technischen Ausstattung wahrnehmen kann. Die Voraussetzungen der ERVV gelten nicht (siehe oben). Eingeschränkt werden die Varianten („vorzulegen“) lediglich durch die spezielleren §§ 99 VwGO, 89 FGO und 104 S. 5, 6 SGG.
Regelfall der Vorlage elektronischer Dokumente ist die Vorlage im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs. Die Vorlage auf einem Datenträger ist – trotz der aktiven Nutzungspflicht – aber auch nach der geltenden Rechtslage ohne Weiteres zulässig, weil sich die Norm zur aktiven Nutzungspflicht nicht auf Beweismittel bezieht. Allerdings ist zu beachten, dass insoweit der von der Justiz aus IT-Sicherheitsgründen zu treibende Aufwand (Datenschleuse) nicht unerheblich ist. Dies bedeutet nicht nur, dass ein entsprechender zusätzlicher Zeitaufwand bei der Einreichung per Datenträger einzuberechnen ist (insbesondere in Eilverfahren oder vor Terminen). Ferner wird die Einreichung auf bestimmten Datenträgern teilweise mangels verfügbarer Schnittstellen (bspw. Disketten), teilweise aus IT-Sicherheitsgründen (bspw. USB-Sticks) entweder gar nicht oder nur unter Zuhilfenahme einer Datenschleuse oder eines Augenscheinmittlers möglich sei (Müller in: jurisPK-ERV Band 2, 2. Aufl., § 371 ZPO (Stand: 20.02.2024), Rn. 59). Allenfalls kann ein Regelungszweck des § 4 daher darin gesehen werden, den Ausnahmecharakter der Vorlage auf einem Datenträger klarzustellen.
- § 5
„Diese Verordnung tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft.“
Sollte dem Vorschlag gefolgt werden, § 2 Abs. 4 als „Muss-Vorschrift“ auszugestalten, muss den Behörden zwingend eine großzügige Übergangsfrist eingeräumt werden, die wohl in § 5 zu regeln wäre. Unter Beachtung entsprechender Entwicklungszyklen und Beschaffungsvorgaben, erscheint ein Inkrafttreten einer zwingenden Formatvorgabe ohne eine mindestens vierjährige Übergangsfrist unrealistisch.