OLG Düsseldorf: Ein Urteil im Zwischenspeicher ist noch nicht abgesetzt

Die Einführung elektronischer Akten ist nicht nur ein Technikprojekt, sondern vor allem ein Organisationsprojekt – eine abgedroschene Binsenweisheit des Einführungsmanagements. Die mit dem Technikeinsatz verbundene Änderung des Arbeitsweise muss aber durchdacht und gut eingeübt sein, sonst hat sie schnell rechtliche Konsequenzen. Dies bekam in einem Fall des OLG Düsseldorf (v. 4. Juli 2023 – 3 RBs 10/23) das AG Wuppertal zu spüren.

Die in Nordrhein-Westfalen zum Einsatz kommende eAkten-Lösung „e2A“ kennt neben der Hauptakte – als eigentliches elektronisches Abbild der bisherigen Papiergerichtsakte – auch weitere Ordner, die teilweise der Organisation des eigenen Dezernats (Entwürfe, Neben- und Beiakten), aber auch der Kollaboration von Richterinnen und Richtern mit den Serviceeinheiten dienen (bspw. der Ordner „Geschäftsgang“). Diese Strukturierung der Akte lässt sich bereits deshalb kritisieren, weil sie „nur“ die bisherige Papierakte in elektronischer Weise darstellt. Vor allem ergeben sich aus ihr aber auch rechtliche Konsequenzen.

Das OLG Düsseldorf weist nämlich nun in der o.g. Entscheidung darauf hin, dass es für die Wirksamkeit einer gerichtlichen Entscheidung durchaus auf diese eAkten-Struktur ankommen kann.

Das AG Wuppertal hatte als erste Instanz eine Entscheidung gefertigt und abgeschlossen, aber nur im „Geschäftsgang“ also einem Zwischenspeicher für die Kollaboration zwischen Richterinnen und Richtern und Serviceeinheit abgelegt. Die Besonderheit dieses Ordners ist – im Gegensatz zur Hauptakte und anderen Unterordnern -, dass dort gespeicherte Dokumente auch – rückstandslos – wieder gelöscht werden können, also keiner Versionierung unterliegen. Als Speicherort reicht dem OLG Düsseldorf der „Geschäftsgang“ deshalb nicht.

Gem. § 32b Abs. 2 StPO ist ein elektronisches Dokument zu den Akten gebracht, sobald es von einer verantwortenden Person oder auf deren Veranlassung in der elektronischen Akte gespeichert ist. Die hier gemeinte „elektronische Akte“ sei aber nur ein Bereich der eingesetzten Software, der nicht nur als „Zwischenspeicher“ diene. Hiermit meint das OLG Düsseldorf offensichtlich, dass ein Bereich der eAkten-Software, aus dem das Dokument rückstandslos wieder löschbar ist, nicht ausreichend ist. Entsprechend genügt in der Software e2A der „Geschäftsgang“ nicht für das erzeugen eines rechtlich verbindlichen elektronischen Dokuments.

Entsprechend haben die Gerichte darauf zu achten, hierauf ihre Organisation einzustellen. Da der „Geschäftsgang“ ja gerade der Kollaboration mit der Serviceeinheit dient, erwächst hieraus eine erhebliche Verantwortung der Serviceeinheit, weil Richterinnen und Richter auf das Speichern in der Hauptakte nach der (bisher) üblichen Organisation keinen Einfluss haben.

Kontext

Die übrigen Prozessordnungen kennen keine dem § 32b StPO entsprechende Norm. Die dortige Regelung dürfte aber einen – auch in § 130b ZPO – vorausgesetzten allgemeinen Rechtsgedanken enthalten, weshalb die Entscheidung auch über das Strafrecht hinaus Bedeutung für die Gerichtsorganisation hat.

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts