Gesetzentwurf zu einem Gesetz zum Ausbau des ERV

Als Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt der Entwurf eines Gesetzes zum Ausbau des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten und zur Änderung weiterer prozessrechtlicher Vorschriften nunmehr dem Bundesrat vor (BR-Drs 145/21). Die Bundesregierung hat in ihrem Gesetzentwurf auf die wesentliche Kritik am vorherigen Referentenentwurf reagiert:

1. Ab 2026: Aktive Nutzungspflicht für weitere (professionelle) Verfahrensbeteiligte
Aktive Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs bedeutet, dass (schrift-)formwahrend Schriftsätze nur noch in elektronischer Form den Gerichten übermittelt werden können. Rechtsgrundlage der aktiven Nutzungspflicht sind die §§ 65d SGG, 52d FGO und 46g ArbGG (bzw. für das LAG § 130d ZPO).

Anders als Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte gem. § 31a BRAO und Behörden mittelbar aufgrund der eGovernment-Gesetze und des Rechtsstaatsprinzips, ist bereits die passive Nutzungspflicht für andere Prozessbeteiligte – auch für Profis wie Arbeitgeberverbände, Sozialverbände, DGB-Rechtsschutz etc. – nicht ausdrücklich normiert, sondern nur sanktionslos im bisherigen § 174 Abs. 3 Satz 4 ZPO (= § 173 Abs. 2 ZPO-E) benannt. Insbesondere die Gewerkschaften und prozessvertretenden Verbände warteten daher trotz faktischer Verfügbarkeit elektronischer Kommunikationswege bislang eine gesetzliche Regelung ab. Die Nutzung der zur Verfügung stehenden De-Mail wurde bislang nicht als Alternative in Betracht gezogen. Gerade die hier für besonders notwendig erachtete Normierung einer passiven Nutzungspflicht für sämtliche professionelle Verfahrensbeteiligte wurde noch im Referentenentwurf versäumt.

Hier bringt der nun vorliegende Gesetzentwurf eine erhebliche Änderung. Er führt eine aktive Nutzungspflicht auch für einen breiteren Personenkreis ein. Allerdings erst mit Wirkung zum 1. Januar 2026.

Weitgehend Konsens bestand, dass Bürgerinnen und Bürger keiner aktiven Nutzungspflicht im elektronischen Rechtsverkehr unterliegen sollen. Hieran rüttelt auch der Gesetzentwurf nicht. Anders ist dies aber bei professionellen Verfahrensbeteiligten, die bisher nicht von der aktiven Nutzungspflicht erfasst waren. Hier ändern sich die Normen zur aktiven Nutzungspflicht unter Einbeziehung der nach den Fachprozessordnungen vertretungsberechtigten professionellen Verfahrensbeteiligten mit Wirkung zum 1. Januar 2026 wie folgt:

§ 46g Satz 2 ArbGG-E: …die nach diesem Gesetz vertretungsberechtigten Personen und Bevollmächtigten, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 46c Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 oder Nummer 4 zur Verfügung steht; ausgenommen sind nach § 11 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 Halbsatz 1 oder Nummer 2 vertretungsbefugte Personen.

§ 65d Satz 2 SGG-E: …die nach diesem Gesetz vertretungsberechtigten Personen und Bevollmächtigten, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 65a Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 oder Nummer 4 zur Verfügung steht; ausgenommen sind nach § 73 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 Halbsatz 1 oder Nummer 2 vertretungsbefugte Personen.

§ 55d Satz 2 VwGO-E: …die nach diesem Gesetz vertretungsberechtigten Personen und Bevollmächtigten, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 55a Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 oder Nummer 4 zur Verfügung steht; ausgenommen sind nach § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 Halbsatz 1 oder Nummer 2 vertretungsbefugte Personen.

§ 52d Satz 2 FGO-E: …die nach diesem Gesetz vertretungsberechtigten Personen und Bevollmächtigten, für die ein sicherer Übermittlungsweg nach § 52a Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 oder Nummer 4 zur Verfügung steht; ausgenommen sind nach § 62 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 Halbsatz 1 oder Nummer 2 vertretungsbefugte Personen.

2. Vereinfachung des Merkmals „Bearbeitbarkeit“
Von besonderer Bedeutung dürfte die auf den ersten Blick eher unscheinbare Änderung der Formulierung des § 130a Abs. 2 S. 2 ZPO-E (= § 65a Abs. 2 S. 2 SGG-E, § 55a Abs. 2 S. 2 VwGO-E, § 52a Abs. 2 S. 2 FGO-E, § 32a Abs. 2 S. 2 StPO-E) in der Praxis sein. Dieser soll nun lauten:

„Die Bundesregierung bestimmt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates technische Rahmenbedingungen für die Übermittlung und Eignung zur Bearbeitung durch das Gericht.“

Nach der Entwurfsbegründung wird damit folgendes Ziel verfolgt:
Durch die Umformulierung soll Rechtssicherheit über die Anforderungen an elektronische Dokumente geschaffen werden. Bislang war umstritten, ob beispielsweise die entgegen § 2 Absatz 1 ERVV geltende Fassung fehlende Durchsuchbarkeit stets dazu führt, dass diese elektronischen Dokumente als nicht zur Bearbeitung durch das Gericht geeignet im Sinne des § 130a Absatz 2 Satz 1 und damit – vorbehaltlich einer Heilung nach §130a Absatz 6 – als nicht wirksam eingegangen anzusehen sind. §130a Absatz 2, den die ERVV näher ausgestaltet, soll gewährleisten, dass eingereichte elektronische Dokumente für das Gericht lesbar und bearbeitungsfähig sind (siehe Bundestagsdrucksache 17/12634, Seite 25). Es geht jedoch nicht um eine rein formale Prüfung. Formunwirksamkeit soll nur dann eintreten, wenn der Verstoß dazu führt, dass im konkreten Fall eine Bearbeitung durch das Gericht nicht möglich ist. Demgegenüber führen rein formale Verstöße gegen die ERVV dann nicht zur Formunwirksamkeit des Eingangs, wenn das Gericht das elektronische Dokument gleichwohl bearbeiten kann. Diese Differenzierung ergibt sich teilweise auch aus der ERVV selbst, die neben Muss-Vorschriften auch Soll-Bestimmungen enthält (zum Beispiel B. § 2 Absatz 2 ERVV, § 3 ERVV). Durch die sprachliche Neufassung der Verordnungsermächtigung soll die Maßgeblichkeit der Eignung zur gerichtlichen Bearbeitung klargestellt werden. Korrespondierende Ergänzungen werden in § 2 und § 5 ERVV vorgenommen.

Der Gesetzgeber knüpft damit u.a. an ein (auch auf ervjustiz.de besprochenes) Urteil des LG Mannheim vom 4. September 2020 – 1 S 29/20 an, in dem das Gericht im Ergebnis eine .docx – Datei akzeptiert hatte, weil das eAkten-System des Gerichts damit ohne Weiteres umgehen konnte. Die bemerkenswerte Entscheidung des LG Mannheim bezieht sich letztlich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ((BVerfG Beschluss vom 22. 10. 2004 – 1 BvR 894/04), die klarstellt, dass Formanforderungen im Prozessrecht kein Selbstzweck sind. Letztlich gibt es nach der Entscheidung des LG Mannheim kein Schwarz/Weiß-Szenario hinsichtlich der elektronischen Form, sondern eine Abwägung mit dem gesetzlichen Ziel ist geboten. Dies dürfte dann auch der zukünftigen Rechtslage nach dem Gesetzesentwurf entsprechen. Der deutlichen und begrüßenswerten Vereinfachung des Merkmals „Bearbeitbarkeit“ steht freilich gegenüber, dass die Formvoraussetzungen weniger verlässlich und letztlich vom Empfänger abhängig sind; auch in Zukunft tut der Absender daher gut daran, sich an die Vorgaben der ERVV zu halten.

3. Aber: Auch weiter Beschränkung „auf das jeweilige Verfahren“
Ein aus praktischer Sicht einer Gerichtsverwaltung sehr misslicher Kritikpunkt besteht in Form der Regelung, wonach Verfahrensbeteiligte nach § 173 Abs. 4 ZPO-E für das jeweilige Verfahren einer elektronischen Zustellung zustimmen müssen, fort.

Diese Regelung bedeutet nicht nur einen erheblichen organisatorischen Aufwand in der Stammdatenpflege bei den Gerichten, sondern ist überdies fehleranfällig. Ferner ist zu unbestimmt was „das jeweilige Verfahren“ ist (sind bspw. Nebenverfahren wie Ablehnungsgesuche, Anhörungsrügen, das PKH-Verfahren, Rechtsbehelfe etc. miterfasst?).

4. Das eBO auch für den Bürger soll kommen
Die Bundesregierung hält schließlich auch am elektronischen Bürger- und Organisationspostfach (eBO) fest.

Dieser neue EGVP-basierten Übermittlungsweg gem. § 130a Abs. 4 Nr. 4 ZPO-E macht für Organisationen und Verbände durchaus Sinn. Es ist ein sicherer Übermittlungsweg für professionelle Verfahrensbeteiligte, die (weil nicht Rechtsanwalt) keinen Zugang zum beA haben und (weil nicht Behörde) keinen Zugang zum beBPo haben, sowie die (ungeliebte) De-Mail nicht nutzen möchten; also bspw. für Steuerberater, Rentenberater, Gewerkschaften und Verbände.

Es hätte allerdings nähergelegen, das eBO nicht für die Naturparteien in Gerichtsprozessen aufzubauen, sondern dieses lediglich im Sinne eines „Verbändepostfachs“ für bisher nicht mit eigenen sicheren Übermittlungswegen ausgestatteten professionellen Verfahrensbeteiligten zur Verfügung zu stellen. Durch diese Beschränkung würden auch die befürchteten Aufwände in der Identitätsprüfung und Freischaltung der Postfächer gem. § 10 ff. ERVV-E zurückgeführt, denn vor allem von Seiten der Bürgerinnen und Bürger dürfte ein größeres „Supportaufkommen“, Rückfragen oder auch querulatorische Anfragen an die zuständigen Stellen zu erwarten sein, die dort unverhältnismäßig Arbeitskraft binden könnten.

Es wäre deshalb zweckmäßig gewesen, das eBO nicht mit Bürgerinnen und Bürgern „zu belasten“, sondern diese auf die Portale des OZG zu verweisen, denn diese sind ohnehin für den Bürger gemacht. Synergieeffekte bei der Nutzerverwaltung und –betreuung liegen daher (nur) dort auf der Hand.

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts