BGH: Wer beA nutzt, der muss es auch benutzen

Die aktive Nutzungspflicht bildet den letzten Meilenstein des eJustice-Gesetzes. Aufgrund der Übergangsvorschrift des Art. 26 Abs. 7 ERVGerFöG tritt die aktive Nutzungspflicht bundesweit erst am 1.1.2022 in Kraft. Nur zwei Bundesländer haben vom sog. Opt-In Gebrauch gemacht und die aktive Nutzungspflicht vorgezogen: Seit 1.1.2020 Schleswig-Holstein und seit 1.1.2021 Bremen (dort in der Arbeitsgerichtsbarkeit, sowie mit dem Finanzgericht und dem Sozialgericht). Schlägt nun aber ein konventioneller Kommunikationsweg (bspw. das Telefax) fehl, kann man fragen, ob es nicht zu einem sorgfältigen Verhalten gehört, auch ohne Nutzungspflicht auf das beA zurückzugreifen. Die Literatur (vgl. etwa Windau, NZFam 2020, 71 bzw. @zpoblog) fragt, ob dies nicht eine „aktive Nutzungspflicht durch die Hintertür“ wäre. Der BGH hatte hierauf nun eine Antwort zu geben: BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2020 – III ZB 31/20.

Update am 15.11.2021: BGH v. 29.9.2021 – VII ZB 12/21

Sachverhalt

In einem Schadenersatzprozess aus Prospekthaftung versuchte der Prozessbevollmächtigte der in ersten Instanz unterlegenen Klägers am Abend des letzten Tages der Berufungsbegründungsfrist mehrfach per Telefax die Berufungsbegründung an das Berufsgericht zu übersenden. Sämtliche Versuche blieben erfolglos, denn das Telefax des Gerichts war seit dem Nachmittag und dann gleich mehrere Tage defekt. Offenbar bemühte sich der Rechtsanwalt noch telefonisch eine andere Telefaxnummer bei dem Gericht zu erfragen; ein Wachtmeister, den er erreichte, konnte ihm aber nicht weiterhelfen. Schließlich scannte er die Berufungsbegründung ein und verschickte sie um 19.30 Uhr per E-Mail an das Verwaltungs-E-Mail-Postfach des Berufungsgerichts.

Am nächste Morgen druckte das Gericht die E-Mail aus und nahm sie zur Akte. Einige Tage später ging der Schriftsatz dann auch schriftlich per Post ein.

Der Prozessbevollmächtigte stellte zur Rettung einen Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist. Das Berufungsgericht wies den Wiedereinsetzungsantrag zurück und verwarf die Berufung wegen der Versäumung des Fristversäumnisses als unzulässig. Der Prozessbevollmächtigte legte hiergegen nunmehr als Nebenintervenient Rechtsbeschwerde zum BGH ein, der am 17. Dezember 2020 – III ZB 31/20 – durch Beschluss entschied und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährte.

Wesentlicher Inhalt der Entscheidung

Der sog. Einführung der aktiven Nutzungspflicht „durch die Hintertür“ hat der BGH seinem aktuellen Beschluss nur sehr halbherzig eine Abfuhr erteilt.

Zwar bestätigt der BGH zunächst seine bisherige Rechtsprechung, dass von einem Absender, der sich für einen Kommunikationsweg (hier: Telefax) entschieden hat, der sich kurzfristig als nicht funktionsfähig herausstellt (hier: wegen eines defekten Telefaxgeräts auf Seiten des Gerichts), nicht verlangt werden kann, dass er innerhalb kürzester Zeit eine andere als die gewählte, vom Gericht offiziell eröffnete Zugangsart sicherstellt. Es sei allerdings zumutbar, im gewählten Übermittlungsweg nach Alternativen zu suchen, die sich aufdrängen mussten (bspw. eine andere Faxnummer desselben Empfängers).

Einschränkend – und das ist tatsächlich neu an dieser Entscheidung – deutet der BGH aber an, dass

eine Partei die nach der jeweiligen prozessualen Lage gegebenen und zumutbaren Anstrengungen tätigen muss, um rechtliches Gehör zu erlangen.

Wenn sich deshalb ein anderer als der zunächst gewählte Übermittlungsweg aufdrängt und der Aufwand für dessen Nutzung geringfügig ist, sei es auch zumutbar, die Kommunikationswege zu wechseln. Hierfür komme insbesondere das beA eines Rechtsanwalts in Betracht, wenn dieses vollständig eingerichtet und der Absender mit dessen Nutzung vertraut ist. Hiervon geht der BGH regelmäßig aus, wenn der Absender sein beA bereits in der Vergangenheit aktiv genutzt hat; nicht jedoch, wenn es sich um eine erstmalige Nutzung des beA handeln würde.

Im vorliegenden Fall hatte deshalb der einsendende Rechtsanwalt glaubhaft zu machen, dass die Nutzung des beA für ihn einen unzumutbaren Aufwand darstellen würde. Dies gelang ihm auf kuriose Art und Weise, die am besten unkommentiert wörtlich aus dem BGH-Beschluss zu zitieren ist. Der BGH nimmt nämlich Bezug auf dessen (offensichtlich rechtlich nicht haltbares) inhaltliches Vorbringen und meint:

„Aus diesen – sachlich unzutreffenden – Ausführungen der Prozessbevollmächtigten des Klägers ergibt sich glaubhaft ihre mangelnde Vertrautheit und Erfahrung mit einer aktiven Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs. […] Angesichts ihrer Unkenntnis der Funktionsweise einer aktiven Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs hätte sich die Prozessbevollmächtigte des Klägers am Tag des Fristablaufs, nachdem am Abend dieses Tages die Übermittlung der Berufungsbegründung mittels Telefax gescheitert war, innerhalb kürzester Zeit erstmals mit einer aktiven Nutzung des Postfachs vertraut machen müssen. Ein solcher alternativer Übermittlungsweg musste sich ihr in Anbetracht ihrer mangelnden diesbezüglichen Erfahrung weder aufdrängen noch konnte sie ihn mit geringfügigem Aufwand beschreiten.

Update vom 16.11.2021

In seinem Beschluss vom 29. September 2021 – VII ZB 12/21 – ist der BGH noch weiter gegangen. Bei einem ansonsten vergleichbaren hat der BGH nicht wie zuvor auf die fehlende Vertrautheit mit dem elektronischen Rechtsverkehr, sondern auf die bisher noch nicht stattgefundene aktive Nutzung abgestellt, weil dann die Nutzung „unzumutbar“ sei. Dieses Argument dürfte freilich mit dem 1.1.2022 entfallen:

Der Bundesgerichtshof hat es für erwägenswert erachtet, auch einen anderen als den gewählten Übermittlungsweg als zumutbar im vorgenannten Sinne zu erachten, wenn dieser Weg sich aufdrängt und der hierfür erforderliche Auf-wand geringfügig ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2020 – III ZB 31/20 Rn. 26, NJW 2021, 390; BGH, Beschluss vom 25. Februar 2021 – III ZB 34/20 Rn. 17, AnwBl 2021, 488). In diesem Rahmen kommt bei einer gescheiterten Übermittlung mittels Telefax eine Versendung über das besondere elektronische Anwaltspostfach unter anderem dann nicht in Betracht, wenn der Prozessbevollmächtigte mit seiner Nutzung nicht hinreichend vertraut ist (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2020 – III ZB 31/20 Rn. 26, NJW 2021, 390).

Von einer Unzumutbarkeit ist vorliegend auszugehen.

Rechtsanwälte sind derzeit nur zur passiven Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs verpflichtet (§ 31a Abs. 6 BRAO). Bis zum Ein-tritt der aktiven Nutzungspflicht des elektronischen Rechtsverkehrs für Rechtsanwälte spätestens ab dem 1. Januar 2022 (vgl. § 130d ZPO in der ab dem 1. Januar 2022 geltenden Fassung) besteht für die Rechtsanwaltschaft keine all-gemeine Pflicht, sich mit den Anforderungen und der Funktionsweise der Erstellung und des Versands elektronischer Dokumente auseinanderzusetzen. Dieser Übermittlungsweg stellt daher für einen Rechtsanwalt, der das besondere elektronische Anwaltspostfach bisher nicht aktiv genutzt und hierüber keine Dokumente versandt hat, keine sich aufdrängende, mit geringfügigem Aufwand nutzbare Alternative dar, wenn am Tag des Fristablaufs die von ihm gewählte Übermittlung mittels Telefax aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen scheitert. Es ist ihm nicht zuzumuten, sich innerhalb kurzer Zeit vor Fristablauf erstmals mit den Voraussetzungen dieser für ihn neuen Zugangsart vertraut zu machen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2020 – III ZB 31/20 Rn. 28, NJW 2021, 390).

 

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts