Referentenentwurf einer Behördenaktenübermittlungsverordnung

Nach dem Diskussionsentwurf einer Behördenaktenübermittlungsverordnung hat der BMJ nun auch einen Referentenentwurf zu der geplanten Verordnung vorgelegt. Leider sind darin nur wenige der bisher geäußerten Kritikpunkte berücksichtigt worden.

1. § 2 Abs. 1 und 4 RefE

Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass die Übersendung elektronischer Behördenakten im xJustiz-Format angestrebt wird.

Zu beachten ist allerdings, dass die von dem RefE angestrebten Ziele nur durch die Übersendung von Behördenakten im xJustiz-Standard bestehend aus Einzeldokumenten erreicht wird. Nach der derzeitigen Formulierung des RefE wäre auch die Übersendung einer Gesamt-PDF der eAkte gemeinsam mit einem xJustiz-Datensatz zulässig. Bei einer solchen Übersendung bleibt aber die Einhaltung des xJustiz-Standards ohne spezifischen Mehrwert.

Der xJustiz-Standard bei Versendung von Einzeldokumenten ist unter Beweisgesichtspunkten einschließlich des Grundsatzes der Formattreue optimal, weil so die Behörde die Verwaltungsakte als elektronisches „Original“ elektronisch übermittelt. Er ist auch im Hinblick auf das rechtliche Gehör der Verfahrensbeteiligten und die Amtsermittlungspflicht des Gerichts der immer noch verbreiteten Übersendung von zusammengestellten PDF-Dokumenten (sog. Repräsentat) deutlich überlegen und daher unbedingt politisch anzustreben.
Hierfür genügt bereits die Formulierung von § 2 Abs. 1 und 4 als „Soll-Vorschrift“ nicht.

Hinsichtlich des in § 2 Abs. 1 geregelten „Ob“ der elektronischen Übersendung gilt dies schon deshalb, weil nach § 99 VwGO und § 89 FGO die Behörden „zur Vorlage von […] Akten“ verpflichtet sind. Diese Vorlagepflicht bezieht sich nach allgemeiner Meinung auf das jeweilige Format der Aktenführung; elektronische Akten sind deshalb elektronisch vorzulegen, Papierakten in Papierform (vgl. bspw. Gädeke in: jurisPK-ERV, § 99 VwGO Rn. 20 f.).

Ein „Original“ sind bei elektronischer Aktenführung stets elektronische Dokumente in ihrem ursprünglichen und unveränderten Dateiformat. Insofern erscheint auch zweifelhaft, ob die im Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Digitalisierung der Justiz (BR-Drs. 126/24) vorgesehene Ermächtigung des Verordnungsgebers, „die Übermittlung elektronischer Akten zwischen Behörden und Gerichten geltenden Standards [zu] bestimmen“ (u.a. in § 65b Abs. 7 SGG) den Verordnungsgeber dazu befugt, die Behörde teilweise von der vorbeschriebenen Verpflichtung zur Formattreue zu entbinden.

Die Regelung des § 2 Abs. 1 RefE bleibt danach noch hinter der bereits im Gesetz enthaltenen Anforderung zurück und begründet hierzu einen Widerspruch, der auch die Ermächtigungskonformität infrage stellt. Sie sollte deshalb gestrichen oder allenfalls durch eine lediglich klarstellende „Muss“-Regelung (ohne Übergangsfrist) ersetzt werden.

Hinsichtlich der in § 2 Abs. 4 geregelten Beifügung einer XML-Datei im xJustiz-Format ist nach den Erfahrungen mit der Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs eine bloße „Soll-Vorgabe“ nicht geeignet, einen Standard einzuführen. Dies gilt für das xJustiz-Format als Datenaustauschformat umso mehr, weil die (elektronischen) Behördenakten in behördlichen Fachverfahren geführt werden, die von vielen Behörden bereits beschafft, jedenfalls aber ausgeschrieben sind, ferner es zahlreiche Softwarehersteller gibt, die im Behördenumfeld eAkten-Lösungen anbieten. Die wenigsten bestehenden Software-Lösungen bieten jedoch heute bereits einen Export im xJustiz-Format an. Entsprechend aufwendig dürfte die technische Umsetzung sein, weil sie von vertraglichen und beschaffungsrechtlichen Vorgaben abhängig ist. Mindestens wird die Umsetzung für die einzelne Behörde aber mit nicht unerheblichen Kosten verbunden sein. Die Bereitschaft der Behörden, eine entsprechende Änderung vorzunehmen bzw. diese zeitlich zu priorisieren, dürfte deshalb bei einer „Soll-Regelung“ bereits aus fiskalischen Gründen gering sein.  Die Regelung muss deshalb, um effektiv zu sein, als „Muss-Vorschrift“ ausgestaltet werden.

2. § 2 Abs. 3 RefE

Elektronische Zertifikate (nicht nur die hier geregelten Signaturen, sondern auch elektronische Siegel) dienen nicht nur der Wahrung verfahrensrechtlicher Formvorschriften, sondern haben erhebliche Bedeutung für das Beweisrecht. Sie werden in den §§ 371a, 371b ZPO eingesetzt, um elektronische Dateien Urkunden gleichzustellen. Die Geltung der Regelung hätte zur Folge, dass dem Prozessgegner und dem Gericht bereits die Existenz dieser elektronischen Beweismittel nicht bekannt wäre.

Gerade diesen Zustand zu vermeiden, war die Intention hinter der Etablierung des xJustiz-Standards als Datenaustauschformat, weil unter Anwendung dieses Standards die Übersendung von unveränderten Einzeldokumenten – explizit einschließlich elektronischer Signaturen und Siegel – möglich wurde. Dieses auch von dem Diskussionsentwurf in § 2 Abs. 4 vorgesehene Bestreben würde durch § 2 Abs. 3 letztlich konterkariert.
Die im RefE vorgesehene Übermittlung von Protokollen über die Prüfung von elektronischen Zertifikaten, schafft an dieser Stelle keine Abhilfe, weil die Protokolle selbst nicht vor Veränderung geschützt sind und deshalb keinen Beweiswert haben. Im Übrigen steht die Übermittlung von Protokollen nach dem RefE im Beurteilungsspielraum der Behörde.
Ohnehin ist die Übermittlung auch von Prüfprotokollen (bzw. richtiger Prüfvermerken bzw. Transfervermerken) unabdingbar, weil nur sie Informationen darüber enthalten, auf welchen Übermittlungswegen die jeweiligen Dokumente die Behörde im elektronischen Verwaltungsfahren erreicht haben. Nur durch die Übersendung elektronischer Zertifikate und durch diese Protokolle wird das Gericht deshalb in die Lage versetzt, die Einhaltung der Formvorschriften der §§ 3a VwVfG, 36 SGB I prüfen zu können.

Die mit der Übermittlung von elektronischen Zertifikaten und Prüfprotokollen verbundenen technischen Anforderung (Rechenleistung der Hardware, Speicherkapazitäten und Möglichkeiten der eingesetzten eAkten-Software zum Ausblenden technischer Dokumente) können durch den Einsatz entsprechend ertüchtigter Systeme erfüllt werden.
Dass § 3 Abs. 2 S. 2 RefE die Übersendung der Dateien auf Anforderung des Gerichts auch im Original vorsieht, hilft insoweit nicht. Denn in Ermangelung übermittelter elektronischer Zertifikate und Prüfprotokolle hätten Gericht und Verfahrensgegner keinen Anhaltspunkt dafür, bei welchen Dokumente diese Anforderung angezeigt sein könnte. Aufgrund des Fehlens wird es zumeist bereits an der tatsächlichen Grundlage für entsprechende Zweifel und damit für die Anforderung des Originals fehlen. Hierdurch wird das Recht auf ein faires Verfahren beeinträchtigt (vgl. bereits Müller, NJW 2015, 822).

3. § 3 Abs. 1 und 2 RefE

§ 3 Abs. 1 RefE entspricht wie § 2 Abs. 3 RefE nicht dem beweisrechtlichen Grundsatz der Formattreue. Dieser sollte nicht zugunsten einer (geringen) Verwaltungsvereinfachung aufgegeben werden. Jede Formatwandlung verringert den Beweiswert des vorgelegten elektronischen Dokuments als Augenscheinsobjekt i.S.d. § 371 ZPO, erst Recht bei Verwendung elektronischer Zertifikate und im Anwendungsbereich der §§ 371a, 371b ZPO (vgl. Müller in jurisPK-ERV, § 371 ZPO Rn. 60; Trossen, jM 2024, 78; Achatz, BayVBl 2024, 37, 42).

Um diese Folgen aufzufangen ist § 3 Abs. 2 S. 2 RefE unzureichend. Das Gericht kann regelmäßig bereits nicht wissen und prüfen, ob durch das Repräsentat inhaltstragende Informationen unterdrückt werden. Die Prüfung, ob dies „zu befürchten ist“, allein in die Hände der übersendenden Behörde zu legen, erscheint auch mit Blick auf den Anspruch des Prozessgegners auf ein faires Verfahren problematisch und allein durch Gründe der technischen Vereinfachung nicht gerechtfertigt. Schließlich kann § 3 Abs. 2 S. 2 RefE im Einzelfall zu Verfahrensverzögerungen und unnötiger (doppelter) Speicherplatzbelegung führen, wenn zunächst das Repräsentat und (erst) auf Anforderung das Original vorgelegt werden.
Sofern an den Regelungen festgehalten wird, sollte in § 3 Abs. 1 ergänzt werden, dass die in den elektronischen Akten enthaltenen Dokumente als Einzeldateien zu übersenden sind. Elektronische Verwaltungsakten werden regelmäßig in Form von Einzeldokumenten geführt und sollten auch nur in dieser Form an die Gerichte übermittelt werden dürfen. Gesamt-PDF-Dateien sind für die inhaltliche Erschließung der elektronischen Akte regelmäßig ungeeignet.

4. § 5 RefE

Sollte dem Vorschlag gefolgt werden, § 2 Abs. 4 als „Muss-Vorschrift“ auszugestalten, sollte den Behörden eine angemessene Übergangsfrist eingeräumt werden. Unter Beachtung entsprechender Entwicklungszyklen und Beschaffungsvorgaben erscheint insofern eine Übergangsfrist von zwei bis vier Jahren zumutbar.

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts