Bis zum 31.12.2021 waren die Formvorgaben aufgrund der Verordnungsermächtigung in § 130a Abs. 2 ZPO im Wesentlichen als „Muss-Bestimmungen“ in der ERVV und gem. § 5 Abs. 1 ERVV in den Bekanntmachungen zum elektronischen Rechtsverkehr (ERVB) geregelt.
Gem. § 2 Abs. 1 ERVV i.d.F. bis 31.12.2021 war vorgeschrieben, dass das elektronische Dokument in
• druckbarer,
• kopierbarer und,
• soweit technisch möglich, durchsuchbarer Form (d.h. texterkannt),
• im Dateiformat PDF (Version PDF/A-1, PDF/A-2, PDF/UA) zu übermitteln. Wenn bildliche Darstellungen im Dateiformat PDF nicht verlustfrei wiedergegeben werden können, darf das elektronische Dokument zusätzlich im Dateiformat TIFF (Version 6) übermittelt werden. Die Dateiformate PDF und TIFF müssen den unter www.justiz.de bekanntgemachten Versionen entsprechen. Bis zum 30. Juni 2019 konnte von der Texterkennung des Dokuments abgesehen werden.
Form zu übermitteln ist.
Gem. § 5 Abs. 1 ERVV i.d.F. bis 31.12.2021 machte die Bundesregierung folgende technische Anforderungen an die Übermittlung und Bearbeitung elektronischer Dokumente im Bundesanzeiger und auf der Internetseite www.justiz.de bekannt (Bekanntmachungen zum Elektronischen Rechtsverkehr – ERVB) :
1. die Versionen der Dateiformate PDF und TIFF;
2. die Definitions- oder Schemadateien, die bei der Übermittlung eines strukturierten maschinenlesbaren Datensatzes im Format XML genutzt werden sollen;
3. die Höchstgrenzen für die Anzahl und das Volumen elektronischer Dokumente;
4. die zulässigen physischen Datenträger;
5. die Einzelheiten der Anbringung der qualifizierten elektronischen Signatur am elektronischen Dokument.
Letztlich werden hierdurch vor allem IT-Sicherheitsanforderungen bedient und die Funktionsfähigkeit der Infrastruktur der Justiz sichergestellt. Zudem stellen die Anforderungen der ERVB sicher, dass das elektronische Dokument auch ohne notwendiges Nachladen von Inhalten aus dem Internet lesbar ist; diese Anforderung trägt auch dem Umstand Rechnung, dass viele Justiznetze der Gerichte nicht unmittelbar mit dem Internet verbunden sind, weshalb ein Nachladen von Inhalten gar nicht ohne weiteres möglich wäre.
Praktisch relevant waren diese Anforderungen vor allem hinsichtlich der Einbettung aller Schriftarten; hier zeigt sich, dass diese Anforderung oft bei grafisch gestalteten Kanzleibriefköpfen nicht gewahrt ist.
Diese sehr strengen, im Übrigen auch sehr technischen, Formvorschriften wurden von einigen Instanzgerichten kritisiert bzw. nicht angewendet. Dies hatte teils verfassungsrechtliche , teils systematische Gründe.
Mit Beschluss vom 25. April 2022 – 3 AZB 2/22 hat sich schließlich das BAG grundsätzlich zu Formfragen nach der Rechtslage bis zum 31.12.2021 positioniert. Insbesondere enthält der Beschluss Hinweise zu den Anforderungen durchsuchbarer und kopierbarer Dokumente, sowie eingebetteten Schriftarten. Ferner äußert sich das BAG zur Wirksamkeit der ERVB und zu den Fristen des § 130a Abs. 6 ZPO. Das BAG stellt klar, dass das ERV-AusbauG erst ab 1.1.2022 – dann aber mit großer Formerleichtung. Insoweit bleibt es bei dem allgemeinen Grundsatz, dass Prozessrecht ex nunc Wirkung entfaltet.
„Dass der Gesetzgeber die Rechtslage inzwischen „klargestellt“ und nunmehr in der Begründung des Ausbaugesetzes ausführt, es sei auch nach altem Recht nicht um eine rein formale Prüfung gegangen (BT-Drs. 19/28399 S. 33 f.), ist dagegen unerheblich. Mit dem Ausbaugesetz hat der Gesetzgeber die ua. in § 130a Abs. 2 ZPO und § 46c ArbGG enthaltenen Verordnungsermächtigungen sowie die in § 130a Abs. 6 ZPO und § 46c Abs. 6 ArbGG enthaltenen Hinweispflichten umformuliert. Die Verordnungsermächtigung erstreckt sich zwar weiter auf die technischen Rahmenbedingungen für die Übermittlung und der Eignung zur Bearbeitung. Anders als in der vorherigen Fassung der Normen (beruhend auf dem Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013, BGBl. I S. 3786, Art. 1 Nr. 2 und Art. 3 Nr. 2) erstreckt sich die Hinweispflicht nur noch auf die Eignung zur gerichtlichen Bearbeitung, nicht mehr auf „die geltenden technischen Rahmenbedingungen“ (Art. 1 Nr. 3 Buchst. b und d sowie Art. 8 Nr. 1 Buchst. b und d Ausbaugesetz). Gleichzeitig hat der Gesetzgeber die Elektronischer Rechtsverkehr-Verordnung geändert (Art. 6 des Ausbaugesetzes). § 2 Abs. 2 ERVV verlangt danach nur noch, dass die Dokumente den Standards des § 5 ERVV entsprechen „sollen“ und nicht mehr „müssen“. Zudem spricht § 5 ERVV nur noch von „Standards“. Rein formale Verstöße gegen die ERVV führen danach nicht zur Unwirksamkeit des Eingangs. Die Unwirksamkeit soll vielmehr nur eintreten, wenn das Dokument konkret nicht zu bearbeiten ist (BT-Drs. 19/28399 S. 33 f.). Es kommt auf die „konkrete Eignung zur Bearbeitung durch das Gericht an“ (BT-Drs. 19/28399 S. 34). Zwingend ist danach „nur noch“ die Übermittlung im Format PDF (BT-Drs. 19/28399 S. 40). Das Gericht muss das Dokument, soweit es konkret bearbeitet werden kann, daher zulassen, auch wenn die Standards nicht eingehalten sind (BT-Drs. 19/28399 S. 40). Demgegenüber ist es zurückzuweisen, wenn es nach dem – konkreten – Stand der maßgeblichen elektronischen Aktenbearbeitung nicht ohne zwischenzeitliches Ausdrucken bearbeitbar ist.“
Ob die Formerleichterungen des ERV-AusbauG eventuell sogar rückwirkend gelten können, lässt das BAG offen, argumentiert aber – unter Zitierung des BVerfG – deutlich dagegen:
„Allerdings hat das neue Recht mit dem Ausbaugesetz keine rückwirkende Geltung erhalten, vielmehr ist es insoweit erst zum 1. Januar 2022 in Kraft getreten und kann sich damit – wie gesehen – nur auf noch nicht abgelaufene Fristen zum 1. Januar 2022 beziehen. Es ist auch nicht geeignet, die Auslegung der alten Rechtslage verbindlich vorzugeben.
Das Bundesverfassungsgericht hat einer rückwirkenden sog. authentischen Interpretation von Gesetzen durch den Gesetzgeber Grenzen gesetzt. Die in der Begründung des Gesetzesentwurfs in Anspruch genommene Befugnis des Gesetzgebers zur authentischen Interpretation ist für die rechtsprechende Gewalt nicht verbindlich. Denn die Befugnis zur verbindlichen Auslegung von Gesetzen ist nach dem Grundgesetz der rechtsprechenden Gewalt vorbehalten, die nach Art. 92 GG den Richtern anvertraut ist (BVerfG 25. März 2021 – 2 BvL 1/11 – Rn. 78, BVerfGE 157, 177). Der Gesetzgeber ist zwar befugt, im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung zu handeln, zu der auch die aus den Grundrechten und dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Grenzen für rückwirkende Rechtsetzung gehören, und dabei gegebenenfalls eine Rechtsprechung zu korrigieren, mit der er nicht einverstanden ist. Er kann diese Ausgangslage und die Prüfungskompetenz der Gerichte aber nicht durch die Behauptung unterlaufen, seine Norm habe klarstellenden Charakter. Eine durch einen Interpretationskonflikt zwischen Gesetzgeber und Rechtsprechung ausgelöste Normsetzung ist nicht anders zu beurteilen als eine durch sonstige Gründe veranlasste rückwirkende Gesetzesänderung (BVerfG 21. Juli 2010 – 1 BvL 11/06 ua. – Rn. 73, BVerfGE 126, 369). Diese Grundsätze greifen auch, wenn der Gesetzgeber meint missverstanden worden zu sein.“
Das BAG meint aber, der Gesetzgeber habe die Einbettung sämtlicher Schriftarten schon in der alten Rechtslage – jedenfalls nicht (bloß) in den ERVB – anordnen dürfen:
„Als Grundlage für das Erfordernis der Einbindung der Schriftart kann daher nur Nr. 1 Satz 1 ERVB 2019 herangezogen werden. Weder in § 130a ZPO aF noch in der ERVV aF sind Vorgaben enthalten, die sich auf die Einbettung der Schriftart beziehen. Das unterscheidet dieses Erfordernis möglicherweise von den Anforderungen nach der ERVB 2018 und ihren sonstigen Ergänzungen in der ERVB 2019, denen man mit guten Gründen einen rein deklaratorischen Charakter zusprechen könnte.
Die ERVB 2019 kann – selbst wenn man sie als Rechtsnorm ansähe – nicht die erforderliche Rechtsgrundlage für das Erfordernis der Einbettung aller Schriftarten liefern.
Aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) leitet sich ein Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz im materiellen Sinne für bürgerlich-rechtliche Streitigkeiten ab. Die Rechtsschutzgewährung durch die Gerichte bedarf einer normativen Ausgestaltung durch eine Verfahrensordnung. Dabei kann der Gesetzgeber Regelungen treffen, die für ein Rechtsschutzbegehren besondere formelle Voraussetzungen vorsehen und sich dadurch für den Rechtsuchenden einschränkend auswirken. Diese Grundsätze gelten nicht nur für den ersten Zugang zum Gericht, sondern für die Ausgestaltung des gesamten Verfahrens (BVerfG 4. September 2020 – 1 BvR 2427/19 – Rn. 24 f.). Nur durch eine wirksame Rechtsnorm dürfen deshalb Anforderungen an den Zugang zum Gericht oder einer höheren Instanz gestellt werden. Dafür kommen nur förmliche Gesetze und auf gesetzlicher Grundlage beruhende Rechtsverordnungen in Betracht (vgl. BVerfG 10. Juli 1958 – 1 BvF 1/58 – zu III 3 a der Gründe, BVerfGE 8, 71).
Wenn der Gesetzgeber die Exekutive zum Erlass einer Rechtsverordnung ermächtigt, steht es dieser daher auch nicht frei, sich ohne ausdrückliche Ermächtigung hierzu von den in der Ermächtigungsgrundlage bestimmten materiellen oder formellen Anforderungen ganz oder teilweise durch eine Selbstermächtigung zu entbinden oder eine Ermächtigung zu einer anderen Regelungsform als durch Rechtsnorm etwa einer Verwaltungsvorschrift vorzusehen. Dies führte sonst zu einer wesentlichen formellen Änderung gegenüber der ursprünglichen Ermächtigungsgrundlage (BFH 24. November 1993 – X R 5/91 – zu IV 1 a der Gründe, BFHE 173, 519).“ […] „Die Vorschrift der Nr. 1 Satz 1 ERVB 2019 stellt keine wirksame gesetzliche Regelung in diesem Sinne dar und ist damit unverbindlich.“
Sehr weitgehend ist schließlich, wie das BAG den Begriff der Bearbeitbarkeit fasst. Führe das Gericht (noch) Papiergerichtsakten gelte: Bearbeitbar ist, was ausdruckbar ist.
„Solange bei einem Gericht die elektronische Akte noch nicht iSd. § 298a Abs. 1 ZPO elektronisch geführt wird, also alle elektronischen Dokumente nach ihrem Eingang weiter ausgedruckt werden, sind diese Dokumente aufgrund der Ausdrucke für die Bearbeitung durch die Gerichte grundsätzlich geeignet. § 298 Abs. 1 ZPO bestimmt, dass von einem elektronischen Dokument – mit einer Ausnahme für Anlagen nach Satz 2 – ein Ausdruck für die Papierakte zu fertigen ist. In diesem Ausnahmefall sind allein die nicht ausgedruckten Dateien dauerhaft zu speichern und deren Ort aktenkundig zu machen.“
„Bei der führenden Papierakte bestehen Anhaltspunkte, dass der Ausschluss druckbarer elektronischer Dokumente nicht mehr aus Sachgründen zu rechtfertigen ist und den Zugang zur nächsten Instanz unzumutbar einschränkt. Zwar erleichtert das kopier- und durchsuchbare elektronische Dokument die digitale Arbeit in der elektronischen Akte. Aber die gerichtliche Arbeit der Aktenführung ist durch nicht für elektronische Bearbeitung geeignete elektronische Dokumente im Kern nicht beeinträchtigt. Gleiches gilt für das mit elektronischen Anforderungen verbundene Ziel, den elektronischen Rechtsverkehr zu fördern, eine rechtssichere und schnelle Kommunikation mit den Gerichten und – zumindest langfristig – die Porto- und Druckkosten zu reduzieren (dazu BVerfG 20. Dezember 2017 – 1 BvR 2233/17 – Rn. 12 unter Hinweis auf BT-Drs. 17/12634 S. 1 bis 6). Wenn zudem in anderem Zusammenhang eine E-Mail mit eingescannter Unterschrift und auch ein nicht den Anforderungen des § 130a Abs. 1 ZPO aF entsprechender Schriftsatz mit seinem Ausdruck die von der Verfahrensordnung geforderte Schriftform einhält (BGH 8. Mai 2019 – XII ZB 8/19 – Rn. 16), muss dies möglicherweise erst recht gelten, wenn der grundsätzlich wirksam aus dem beA gesandte Schriftsatz „nur“ nicht kopier- oder durchsuchbar, aber offenkundig druckbar ist. Jedenfalls im Zeitpunkt des Ausdruckens handelte es sich nach dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs um einen ausreichenden Schriftsatz iSd. § 130 ZPO.“