BGH zu PIN-Weitergabe und Dateinamen beim beA

Zu den „sprechenden Dateinamen“ hatte sich der BGH schon in der Vergangenheit – viel kritisiert – positioniert. An seinen strengen Anforderungen hält er fest. In dem Verfahren vom 31.8.2023 – VIa ZB 24/22 kam auch noch ein Verstoß gegen § 26 Abs. 1 RAVPV hinzu; in der einreichenden Kanzlei hatte der Berufsträger die beA-Karte und die PIN an seine Mitarbeitenden weitergegeben. Erwartbar wenig Milde ließ der Senat erkennen: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gibt es hier nicht.

Sachverhalt

In einem „Dieselverfahren“ hatte das Landgericht die Klage abgewiesen. Hiergegen hatte der Kläger durch seinen Rechtsanwalt noch fristgerecht Berufung eingelegt, aber noch innerhalb der Berufungsbegründungsfrist nur eine Datei mit dem Dateinamen „Berufungsschriftsatz.pdf“ eingereicht, der nicht nur ein anderes Gericht, sondern auch andere Beteiligte betraf.

Nun beantragte dessen Bevollmächtigter Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Dieser Antrag wurde jedoch abgelehnt. Der Rechtsanwalt könne sich nicht exkulpieren. Offenbar sei die Übersendung an Mitarbeitende delegiert. Entgegen § 23 Abs. 2, 3 RAVPV wurde dort aber offenbar nicht ein Mitarbeiterzugang genutzt, der nur die Übersendung von qualifiziert elektronisch signierten Dokumente erlaube, sondern der Mitarbeitende hat offensichtlich den anwaltlichen Zugang genutzt. Dies widerspricht jedoch § 26 Abs. 1 RAVPV.

Entscheidung des BGH

Die Einräumung der Zugangsmöglichkeit des Berufsträgers an Mitarbeitende ist ein Verstoß gegen § 26 Abs. 1 RAVPV. Im vorliegenden Fall führt dieser Verstoß dazu, dass sich der Rechtsanwalt so behandeln lassen muss, als habe er selbst den Schriftsatz versandt. Er kann sich also nicht exkulpieren und erhält deshalb mangels fehlendem Verschulden schon deshalb keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.

Ferner kritisiert der BGH hier erneut die Dateibezeichnung ohne konkreten Bezug auf den Fall:

Die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Über-mittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs mittels beA entsprechen denjenigen bei der Übersendung von Schriftsätzen per Telefax. Auch bei der Nutzung des beA ist es unerlässlich, den Versandvorgang zu überprüfen. Die Kontrollpflichten umfassen dabei die Überprüfung der nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO übermittelten automatisierten Eingangsbestätigung des Gerichts. Sie erstrecken sich unter anderem darauf, ob die Übermittlung vollständig und an den richtigen Empfänger erfolgt ist.

Dabei ist für das Vorliegen einer Ein-gangsbestätigung gemäß § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO auch erforderlich, dass gerade der Eingang des elektronischen Dokuments im Sinne von § 130a Abs. 1 ZPO, das übermittelt werden sollte, bestätigt wird. Die Bestätigung der Versen-dung irgendeiner Nachricht oder irgendeines Schriftsatzes genügt nicht. Vielmehr ist anhand des zuvor sinnvoll vergebenen Dateinamens auch zu prüfen, ob sich die automatisierte Eingangsbestätigung auf die Datei mit dem Schriftsatz bezieht, dessen Übermittlung erfolgen sollte. Dies rechtfertigt sich daraus, dass bei einem Versand über beA – anders als bei einem solchen über Telefax – eine Identifizierung des zu übersendenden Dokuments nicht mittels einfacher Sichtkontrolle möglich ist und deshalb eine Verwechslung mit anderen Dokumenten, deren Übersendung nicht beabsichtigt ist, nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann.

Diese Sorgfaltspflichten, von denen auch das Berufungsgericht ausgegangen ist, hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers nicht erfüllt. Die von der Rechtsbeschwerde angeführte Kontrolle des zu übersendenden Dokuments durch eine Kanzleikraft im Vorfeld des elektronischen Versands führt nicht zu einer Herabsetzung der Sorgfaltsanforderungen an die Überprüfung der Eingangsbestätigung. Wie das Berufungsgericht zutreffend und ohne Überspannung der Anforderungen an die den Rechtsanwalt treffenden Sorgfaltspflichten angenommen hat, lässt sich dem Vortrag des Klägers nicht entnehmen, dass in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten eine ordnungsgemäße Überprüfung der automatisierten Eingangsbestätigung gemäß § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO dahingehend, ob die richtige Datei übermittelt wurde, sichergestellt war. Das hätte einen in der Kanzlei zuvor vergebenen sinnvollen Dateinamen vorausgesetzt, der in der Eingangsbestätigung erscheint und ohne Weiteres die Prüfung erlaubt, ob der richtige Schriftsatz übersandt wurde. Zu einer dahingehenden Organisationsanweisung ist nichts vorgetragen. Der hier verwendete Dateiname „Berufungsschriftsatz.pdf“ war – wie das Berufungsgericht zu Recht annimmt – nicht geeignet, eine Verwechslung auszuschließen, da er weder die Zuordnung zu einem bestimmten Verfahren noch eine hinreichende Unterscheidung von anderen Dokumenten im selben Verfahren ermöglicht.

Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war eine Kontrolle durch den Prozessbevollmächtigten am Nachmittag/Abend des Tages des Fristablaufs nicht geeignet, den Organisationsmangel auszugleichen. Wegen des unklaren Dateinamens war bei der Überprüfung anhand der Eingangsbestätigung nicht erkennbar, dass der falsche Schriftsatz übersandt worden war.

Anmerkung

Weitergebe von beA-Karte und/oder PIN

In den sozialen Medien wird die Entscheidung des BGH als „lebensfremd“ kritisiert. Viele (die meisten?) Rechtsanwaltskanzleien arbeiteten genau so: Der elektronische Rechtsverkehr werde vollständig von den Kanzleimitarbeitenden bedient, nicht von den Berufsträgern.

Zu hoffen ist dies nicht. Die Regelung des § 26 Abs. 1 RAVPV ist nicht nur geltendes Recht und sehr eindeutig. Sie hat auch einen wichtigen Sinn: Bei den sicheren Übermittlungswegen ist die Identifizierung in den Einrichtung des Postfachs ausgelagert; nur deshalb können die Postfachinhaber auf die qualifizierte elektronische Signatur verzichten. Diese Konstruktion ist natürlich nur dann sinnvoll, wenn der Zugriff auf das Postfach entsprechend abgesichert ist.

Kritisieren mag man, dass die gesamte Konstruktion des § 130a ZPO anchronistisch sei. Solange sie aber geltendes Recht ist, haben sich die Verfahrensbeteiligten hieran zu halten. Die vom BGH gezogene Konsequenz, jedenfalls die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu versagen, ist daher mindestens die richtigen Rechtsfolge für ein eindeutig rechtswidriges Verhalten.

Notwendig ist eine solche Kanzleiorganisation im Übrigen nicht. Durch Mitarbeiterzertifikate – die im Übrigen auch kostengünstig als Softwarezertifikate erhältlich sind – lässt sich günstig und zweckmäßig eine Arbeitsteilung in der digital arbeitenden Kanzlei organisieren. Falls dann die Berufsträger noch durch häufige qualifizierte elektronische Signaturen genervt sind, hilft ggf. eine moderne Kanzleisoftware, ggf. mit Stapelsignaturmöglichkeit. Jedenfalls ist hier nicht das gerne und vorschnell kritisierte beA „schuld“.

Dateinamen

Verständlicher ist die Kritik der Fachöffentlichkeit an den Anforderungen, die der BGH an die Dateinamenvergabe stellt. Immerhin begründet der BGH (diesmal) seine Auffassung durch eine Analogie zu den Sorgfaltspflichten beim Telefax; während beim Fax eine schnelle, einfache Sichtprüfung ohne Weiteres zu bewerkstelligen sei, sei dies bei elektronischen Dokumenten jedenfalls schwierig.

Weshalb der BGH gerade auf Dateinamen abstellt, ist dagegen nicht verständlich. Vor allem, wenn eine Kanzleisoftware verwendet wird, sind Dateinamen möglicherweise gar nicht sichtbar oder sie werden erst im Moment des Versands vergeben. So oder so, ergeben sich hieraus keine weiterführenden Kontrolloptionen. Im Übrigen sollte der BGH „technikoffen“ auch andere – gleichermaßen sichere – Organisationsalternativen zulassen, bspw. die Anweisung unmittelbar vor dem Versand das Dokument selbst noch einmal zu öffnen und zu kontrollieren. Oder eine Kanzleisoftware, die in einer Art Vorschaufenster das Dokument im Versandvorgang anzeigt bzw. die Anweisung das Dokument unmittelbar nach dem Versand in den gesendeten Objekten nochmals zu öffnen und zu kontrollieren. Ob dies alles – gerade bei der Analogie zum Telefax – wirklich erforderlich ist, wenn in einer vollständig digital arbeitenden Kanzlei direkt „aus der eAkte“ versandt wird, ist allerdings ohnehin fraglich. Die Organisationsanforderungen sollten nicht über die Maßen überspannt werden.

Dies gilt um so mehr mit Blick darauf, dass gerade die Gerichte teilweise schon lange nicht mehr auf Dateinamen als Ordnungskritierium setzen. Die Zukunft gehört insoweit sehr eindeutig außerhalb den Dateinamens liegenden Meta-Daten, die bspw. mit der xJustiz-Nachricht dem übermittelten Dokument mitgegeben werden. Dies erleichtert deutlich die automatisierte Weiterverarbeitung einerseits, die Verwendung eindeutiger Dateinamen (UUID) verhindert darüber hinaus beim Speichern in einer Dateistruktur das versehentliche Überschreiben gleichnamiger Dokumente.

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts