§ 130d ZPO: Wie lange ist eigentlich „vorübergehend“?

Die Störung der Telefon- und Internetverbindung des Unterzeichners ist von der Deutschen Telekom bisher nicht beseitigt worden; ein Bautrupp hat sich für den 30. März 2022 angesagt, so dass hier lediglich ein Faxgerät von Dritten zur Verfügung steht. Dies wird anwaltlich versichert.„, war der Vortrag eines Rechtsanwalts in einem Verfahren vor dem OVG Münster (v. 6.7.2022 – 16 B 413/22). Insgesamt kam der Rechtsanwalt damit auf eine „vorübergehende“ Störung von über fünf Wochen. Fraglich ist, ob ihn dies zur Ersatzeinreichung gem. § 130d S. 3, 4 ZPO (= § 55d S. 3, 4 VwGO) berechtigt.

Voraussetzungen der Ersatzeinreichung gem. § 130d S. 3, 4 ZPO

Kommt es zu Störungen des elektronischen Rechtsverkehrs, sieht das Gesetz eine Ersatzeinreichung vor, § 130d S. 3, 4 ZPO. Die Einreichung kann also auf einem beliebigen anderen prozessrechtlich vorgesehenen Wege erfolgen – per Post, Fax oder Bote.

Die Ursache der Störung muss technischer Natur sein. Nicht zwingend ist dagegen, dass sie nicht aus der Sphäre des Einreichers stammt. Grundsätzlich soll geltend, dass jede Form eines technischen Ausfalls nicht zum Nachteil des Einreichers gereicht. So können etwa auch Fehlbedienungen und vergessene Passwörter das Merkmal der technischen Störung erfüllen. Fehlendes Verschulden des Einreichers ist keine Voraussetzung. Im Falle einer vorsätzlichen Herbeiführung der Unmöglichkeit zum Zwecke der Ermöglichung einer Ersatzeinreichung dürfte freilich nach allgemeinen Regeln ein rechtsmissbräuchliches Verhalten anzunehmen sein, so dass sich der Einreicher auf seine Privilegierung nicht berufen kann.

Die Störung muss zur Unmöglichkeit der elektronischen Einreichung führen. Unvermögen des Einreichers genügt hierfür. Nicht ausreichend ist dagegen sein – möglicherweise auch auf grundsätzlichen Erwägungen beruhender – Unwillen, Ängstlichkeit vor der Techniknutzung oder aber ein bloß vorübergehender erhöhter Aufwand der Nutzung eines elektronischen Übermittlungswegs (bspw. der Ausfall der Kanzleisoftware, wenn die beA-Weboberfläche zur Verfügung steht und früher auch genutzt wurde – anders dürfte die Sachlage sein, wenn die beA-Weboberfläche noch nie genutzt wurde und entsprechender Einarbeitungs- oder Einrichtungsaufwand notwendig wäre).

Allerdings ist die vorübergehende Unmöglichkeit bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen. Zur Feststellung von Störungen empfiehlt es sich, den EGVP-Newsletter zu abonnieren, um per E-Mail über Störungen informiert zu werden. Auch ein Screenshot oder Log-Dateien der eingesetzten Anwaltssoftware kommen zur Glaubhaftmachung in Betracht (LAG Schleswig-Holstein Urteil v. 8.4.2021 – 1 Sa 358/20 mAnm. https://ervjustiz.de/lag-schleswig-holstein-korrekte-bea-bedienung-mit-screenshot-nachzuweisen). Nach richtiger Auffassung genügt aber auch grundsätzlich bereits eine anwaltliche Versicherung.

Letztlich handelt es sich bei § 130d S. 3, 4 ZPO nämlich um eine prozessuale Wohltat. Der Gesetzgeber fängt mit der Norm die technischen Unbillen ebenso ab, wie die Sorgen die mit der Einführung der aktiven Nutzungspflicht verbunden waren. Richtigerweise sind deshalb die Anforderungen eher weit auszulegen.

Dieser Gedanke gilt auch für den zeitlichen Ablauf. Die Störung muss nach dem Wortlaut der Norm und ihrem Sinn und Zweck vorübergehender Natur sein. Professionelle Einreicher können sich daher nicht auf § 130d ZPO berufen, wenn ein zugelassener Übermittlungsweg noch gar nicht in Betrieb genommen oder eingerichtet worden ist, selbst wenn dies kurz vor Eintritt der aktiven Nutzungspflicht noch in Angriff genommen, aber nicht abgeschlossen ist. Weitere zeitliche Leitplanken hatte die Rechtsprechung allerdings bislang nicht eingezogen.

Entscheidung des OVG Münster

Mit einem extremen Fall hatte es in zeitlicher Hinsicht allerdings das OVG Münster zu tun. Mehr als fünf Wochen sollte der Ausfall gedauert haben. Nur ein Faxgerät soll in dieser Zeit greifbar gewesen sein – „Bereits im erstinstanzlichen Verfahren hat der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers dessen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (Schriftsatz vom 11. Februar 2022) dem Verwaltungsgericht entgegen § 55d Satz 1 VwGO nicht als elektronisches Dokument, sondern per Telefax übermittelt und dies ebenfalls damit begründet, dass die Störung der Telefon- und Internetverbindung von der Deutschen Telekom bisher nicht beseitigt worden sei, so dass ihm lediglich ein Faxgerät von Dritten zur Verfügung stehe, was anwaltlich versichert werde.

Das war aus Sicht des OVG Münster zu viel. Ein Rechtsanwalt, der in der Lage ist, sich des Faxgerätes eines Dritten zu bedienen, hätte auch andere – digitalere – Möglichkeiten nutzen können. Konkret schlägt das OVG Münster einen Mobilfunkhotspot vor:

Dass der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers jedenfalls dem zuletzt genannten Erfordernis, etwa durch ein Hinwirken auf eine schnellere Behebung der von ihm geltend gemachten Störung oder die Beschaffung und Verwendung eines mobilen Hotspots, nachgekommen ist, hat er schon nicht dargelegt.

Die offenbare Untätigkeit des Rechtsanwalts erzeugt selbstredend Kopfschütteln. So verständlich die Reaktion des OVG Münster deshalb ist, so wenig zwingend ist sie doch. Letztlich wird hier dann doch eine anwaltliche Sorgfaltspflicht hinsichtlich der eigenen Infrastruktur eingeführt. Sorgfaltspflichten beziehen sich aber nicht auf Merkmale wie vorübergehend oder unmöglich, sondern sind Teil einer Verschuldensprüfung – die wiederum § 130d S. 3, 4 ZPO gerade nicht vorsieht.

Vieles spricht deshalb dafür, nicht von einem konkreten Zeitraum auszugehen, sondern entscheidend dürfte nur sein, dass die Störung absehbar einer Beseitigung zugeführt werden soll, also an der Behebung der Störung gearbeitet wird. Nicht vorübergehend ist deshalb ein Ausfall, der jedenfalls zunächst untätig als gegeben hingenommen wird bzw. für die Abhilfe keine Bemühungen ersichtlich sind. Dies wäre ggf. im Wege der Glaubhaftmachung darzulegen.

Keine Frage des Merkmals „vorübergehend“ ist deshalb wann und ob ein Verfahrensbeteiligter, dessen elektronischer Übermittlungsweg gestört ist, für einen Ersatz zu sorgen hat (bspw. bei Ausfall einer Telefonleitung einen Hotspot). Dies ist eine Fragestellung, die im Rahmen des Merkmals der Unmöglichkeit glaubhaft zu machen ist.

Einzig lässt sich deshalb überlegen, ob eine Unmöglichkeit dann nicht mehr gegeben ist, wenn es leicht ist, das Hindernis zu beheben. Die Grenzziehung dürfte indes hierfür schwierig sein. Ebenso lässt sich der Gedanke möglichem Rechtsmissbrauchs ins Feld führen. Für letzteres wäre wohl zunächst zu fordern, ob der anwaltliche Vortrag wirklich ausreichend war, um einen solch langen Ausfall sämtlicher Kommunikationsanbindung der Kanzlei glaubhaft zu machen (wie bspw. kommunizieren die Mandanten mit dem Rechtsanwalt – wie die es per Mobilfunk tun, wird man wohl auch davon ausgehen, dass das Handy zum Hotspot zu machen ist; dann wäre ggf. die elektronische Übermittlung tatsächlich gar nicht unmöglich gewesen?).

So oder so: Die Entscheidung des OVG Münster ist zunächst ein Einzelfall. Das wird er aber nicht bleiben. Die weitere Rechtsprechung ist zu beobachten.

Aktive Nutzungspflicht

Dass ein Telefax eigentlich nicht genügt musste – obwohl eigentlich selbstverständlich – kürzlich noch das OLG Frankfurt am Main (v. 27.7.2022 – 26 W 4/22) entscheiden.

Siehe zum Thema weiterführend:

Was tun, wenn es mal mit dem ERV nicht klappt?

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts