Anders als im elektronischen Rechtsverkehr mit den Gerichten, sind die zugelassenen Übermittlungswege im Verwaltungsverfahren nicht bereits im Gesetz definiert. Hier kommen deshalb nicht nur beA/beBPo einerseits oder E-Mail andererseits in Betracht, sondern auch exotischere Kommunikationswege sind denkbar. Gerade im medizinischen Bereich wurde mit der Telematikinfrastruktur (TI) in den letzten Jahren eine eigene, sichere Kommunikationsinfrastruktur aufgebaut, die ohne Weiteres auch im elektronischen Verwaltungsverfahren zwischen den angeschlossenen Beteiligten genutzt werden kann.
Technischer Hintergrund
Die Telematikinfrastruktur ist eine technische Infrastruktur zur Vernetzung von Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser, Apotheken und Krankenkassen. Zugriff auf die Telematikinfrastruktur haben ferner weitere Institutionen im Gesundheitssektor, wie bspw. die Kassenärztlichen Vereinigungen, die Prüfungsstellen etc. Die Telematikinfrastruktur dient vorrangig dem Austausch medizinischer Informationen betreffend die Behandlung von Patientinnen und Patienten. Ferner werden strukturierte Daten, wie das elektronische Rezept oder die elektronische Patientenakte, über die TI übermittelt. Zur Übertragung von elektronischen Dokumenten ist KIM („Kommunikation im Medizinwesen“) als Dienst innerhalb der Telematikinfrastruktur eingerichtet. Letztlich ähnelt die Funktionsweise von KIM einer (Ende-zu-Ende verschlüsselten) E-Mail-Korrespondenz. Hierzu muss ein Vertrag mit einem zugelassenen KIM-Anbieter geschlossen werden. Der Zugriff erfolgt mittels des elektronischen Heilberufsausweises.
Rechtliche Grundlagen für KIM
Rechtliche Grundlage für die Aufzeichnung und Übermittlung von Diagnosen und Angaben über erbrachte Leistungen an die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Krankenkassen ist § 295 SGB. Durch das Digitalgesetz vom 23. März 2024 wurde mit Wirkung zum 26. März 2024 und mit Verpflichtung ab 30. Juni 2024 der neue § 295 Abs. 1c eingeführt. Der Gesetzgeber bezweckte hiermit die Etablierung der Nutzung des KIM als Nachrichtendienst insbesondere für die Übermittlung des eArztbriefes. Danach sind die an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Einrichtungen verpflichtet, spätestens ab dem 30. Juni 2024 die Empfangsbereitschaft für elektronische Briefe in der vertragsärztlichen Versorgung nach § 383 SGB V über KIM sicherzustellen. Auch darüber hinaus, wird KIM für die (unstrukturierte und initiative) Kommunikation im Gesetz vorgesehen, vgl. § 313 Abs. 3 S. 3 SGB V.
Gem. §§ 378 Abs. 1, 383 SGB V werden die Kosten der TI-Teilnehmer hierfür in Form von Pauschalen rückvergütet (vgl. für das ärztliche Berufsrecht allgemein § 87 Abs. 2o Nr. 3 SGB V).
Rechtliche Grundlagen des elektronischen Verwaltungsverfahrens
Der elektronische Rechtsverkehr im Verwaltungsverfahren ist in § 36a SGB I bzw. § 3a (L)VwVfG geregelt. Die Normen regeln sowohl den elektronischen Posteingang der Verwaltung als auch ihren elektronischen Postausgang. Sie gelten nicht nur für das Ausgangsverfahren, sondern auch für das Widerspruchsverfahren. Gem. § 37 Abs. 1 SGB X / § 41 (L)VwVfG ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten bekannt zu geben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird. Für die Form der Bekanntgabe finden sich (kaum) Vorgaben in § 33 Abs. 2 SGB X / § 37 Abs. 2 (L)VwVfG – es gilt die (weitgehende) Formfreiheit des Verwaltungshandelns.
Gem. § 33 Abs. 2 SGB X / § 37 Abs. 2 (L)VwVfG kann ein Verwaltungsakt schriftlich, elektronisch, mündlich oder in anderer Weise erlassen werden. (Auch) die elektronische Form des Verwaltungsakts wird im Gesetz also explizit benannt.
Die elektronische Form ist auch heute noch ein Medium der eher informellen Kommunikation. Dies gilt gerade für E-Mails, noch mehr für die smartphonegebundene Kommunikation über Kommunikations-Apps oder soziale Medien. Diese fehlende Förmlichkeit lässt die Empfänger elektronischer Behördenpostfach möglicherweise an ihrer Ernsthaftigkeit und Verbindlichkeit – rechtlich also am Regelungscharakter des Verwaltungsakts – zweifeln. Erst recht gilt dies, wenn der Bürger mit der Übermittlung von Verwaltungsakten in elektronischer Form gar nicht rechnet. Die Rechtsprechung hat dieses Problem bereits aufgegriffen. Sie geht davon aus, dass wenn der Behörde die E-Mail-Adresse des Bürgers dienstlich bekannt ist, alleine dies bereits als Indiz angesehen werden kann, dass der Bürger gegenüber der Behörde den Zugang eröffnet hat, wenn auch im Übrigen eine eingespielte Kommunikationsbeziehung besteht.
Aus Sicht der Behörde ist darauf zu achten, dass bei elektronischen übermittelten Verwaltungsakten der Regelungscharakter – letztlich die Förmlichkeit, die vom Bürger allgemein mit elektronischer Kommunikation (noch) nicht verbunden wird – ausreichend deutlich hervortritt. Hierzu bietet sich an, das elektronische Dokument äußerlich entsprechend zu gestalten, bspw. mit offizieller Kopfzeile der Behörde und der Angabe des Geschäfts-bzw. Aktenzeichens.
Obschon das Verwaltungsverfahren durch eine weitgehende Formfreiheit geprägt ist, müssen doch bestimmte Anträge oder Eingaben bei der Behörde (bspw. der Widerspruch) bzw. einzelne behördliche Schreiben oder Bescheide (bspw. die Zusicherung oder der Widerspruchsbescheid) die Schriftform wahren. Dies lassen die § 36a Abs. 2, 2a SGB I bzw. § 3a Abs. 2, 3 (L)VwVfG regelmäßig durch Nutzung einer qualifizierten elektronischen Signatur/Siegel auf beliebigen elektronischen Übermittlungswegen oder durch Nutzung der prozessrechtlichen sicheren Übermittlungswege (beA, beBPo, eBO etc.) zu.
Die Voraussetzung für die Nutzung eines elektronischen Kommunikationswegs im Verwaltungsverfahren sind daher:
1. Ein elektronischer Übermittlungsweg muss faktisch eingerichtet sein und den Kommunikationspartnern zur Verfügung stehen.
2. Dieser elektronische Kommunikationsweg muss für den elektronischen Rechtsverkehr im Verwaltungsverfahren gewidmet sein. Die Widmung ist die Signalisierung der Empfangsbereitschaft für rechtsverbindliche Nachrichten gegenüber einem (potentiellen) Kommunikationspartner – ausdrücklich oder konkludent.
Nutzung von KIM im elektronischen Rechtsverkehr
Beide Voraussetzungen sind für KIM gegenüber sämtlichen Teilnehmern der TI gegeben.
KIM steht – nach der Einrichtigung – den Teilnehmern der TI für die elektronische Kommunikation zur Verfügung. Unter Beachtung der vorgenannten Rechtsgrundlagen spricht von vornherein nichts gegen die Nutzung von KIM als Übermittlungsweg im elektronischen Verwaltungsverfahren. Lediglich im Prozessrecht, d.h. der Kommunikation mit den Gerichten, sind die Übermittlungswege durch das Gesetz vorgesehen (vgl. § 4 Abs. 1 ERVV). Das viel formfreie Verwaltungsverfahren lässt dagegen jeglichen elektronischen Kommunikationsweg zu; Grenzen setzen hier nur das Datenschutzrecht und die IT-Sicherheitsinteressen der Beteiligten. Gerade hier hat aber die Nutzung von KIM – wo verfügbar – erhebliche Vorteile, bspw. gegenüber einer bloßen E-Mail-Kommunikation, weil die TI ohnehin höchsten Datenschutzanforderungen entsprechen muss, vgl. § 313 Abs. 4 SGB V. Zusammenfassend gilt daher: KIM ist ein taugliches und zur Verfügung stehendes Kommunikationsmedium im elektronischen Verwaltungsverfahren gem. § 36a SGB I und § 3a (L)VwVfG.
KIM darf auch für die rechtsverbindliche elektronische Kommunikation zwischen den TI-Teilnehmern genutzt werden. Einer ausdrücklichen Widmung durch den Empfänger bedarf es hierfür nicht (sog. initiativer elektronischer Rechtsverkehr). Die Empfangsbereitschaft des KIM für die rechtsverbindliche Kommunikation ergibt sich bereits aus dem Gesetz. Spätestens ab dem 30. Juni 2024 müssen insbesondere Ärztinnen und Ärzte die Empfangsbereitschaft für die elektronische über KIM sicherstellen. D.h. sie sind verpflichtet, regelmäßig KIM auf Eingänge zu überprüfen und hierauf entsprechend zu reagieren. Gleichermaßen sieht der Gesetzgeber auch an anderer Stelle vor, dass – ungefragt – KIM als Kommunikationsmedium eingesetzt werden kann, vgl. bspw. § 313 Abs. 3 S. 2 SGB V (Ausnahme für Werbung). Entsprechend ist gem. § 313 Abs. 1 S. 3, 4 iVm Abs. 3 S. 1 SGB V ein öffentliches Verzeichnis über die TI/KIM-Teilnehmer eingerichtet (vgl. Abs. 3 S. 1). Alleine hierdurch wird bereits hinreichend potentiellen Kommunikationspartnern die Erreichbarkeit signalisiert (vgl. SG Berlin v. 8.12.2020 – S 179 AS 10734/19 für die Listung im SAFE-Verzeichnis der EGVP-Infrastruktur).
Praktischer Anwendungsfall: Leistungserbringerrecht
Denkbare Anwendungsfällen für die Nutzung von KIM im elektronischen Verwaltungsverfahren ergeben sich im gesamten Leistungserbringerrecht bspw. im Vertragsarztrecht im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsprüfungen oder Honorarberichtigungen, bei Abrechnungsstreitigkeiten zwischen Krankenhäusern und Krankenkasse etc. Im gesamten Leistungserbringerrecht sind letztlich die allgemeinen (sozial)verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelungen anwendbar; deshalb insbesondere auch § 36a SGB I.
-> weitere Informationen zum elektronischen Rechtsverkehr im Verwaltungsverfahren: Neu (Stand 1.1.2024): Elektronischer Rechtsverkehr mit Behörden – Der elektronische Rechtsverkehr (ervjustiz.de)