BGH zur enveloping Signatur

Die enveloping Signatur spielt in der „freien Wildbahn“ kaum eine Rolle. Sie wird praktisch nie verwendet. Nun hat sie es aber dennoch zum BGH 15.5.2024 (VIII ZR 52/23) gebracht, der sich zu einer mit ihr signierten Berufungsschrift zu äußern hatte. Zur Überraschung der Fachwelt hält der BGH die Berufungsschrift für prozessual wirksam. Könne das Gericht mit dem Dokument tatsächlich arbeiten, sei der Ausschluss in § 5 I Nr. 5 ERVV, Nr. 5 2. ERVB 2022 unverhältnismäßig.

Tragende Entscheidungsgründe

Im Ergebnis bestätigt der BGH zwar, dass diese technische Variante der Signatur durch den Verordnungsgeber nicht zugelassen ist. Er meint aber, dass die Einreichung dennoch nicht unwirksam gewesen sei, weil das signierte Dokument trotzdem zur Bearbeitung durch das Gericht geeignet gewesen sei. Sinn und Zweck des Ausschlusses dieser Signaturvariante sei aber (nur), dem Gericht die Verwendung in den dortigen eAkten-Systemen zu garantieren, die sich zwar üblicherweise – aber eben nicht im konkreten Fall – mit enveloping Signaturen schwertäten. Die Signatur erfülle auch im Übrigen ihren Zweck, weil sie – im Gegensatz zur seit 1.1.2018 unzulässigen Containersignatur (d.h. der mehrere Dateien umschließenden Signatur) – den Zweck der qualifizierten elektronischen Signatur erfülle, die Integrität und die Authentizität des signierten Dokuments zu schützen, weil sie unmittelbar „am“ signierten Dokument angebracht sei. In dieser Konstellation entspreche es deshalb dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes, keine Fomunwirksamkeit anzunehmen. Den Prozessparteien dürfe der Zugang zu den Gerichten nicht in unzumutbarer, durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden.

Anmerkung

Die Entscheidung des BGH überrascht. Die Frage der Verhältnismäßigkeit wurde bislang nur zur Frage der Bearbeitbarkeit (bspw. in Bezug auf das Dateiformat) diskutiert; ein Meinungsstreit, der letztlich vor allem durch das ERV-AusbauG entschärft worden war.

Nunmehr vermischt der BGH die bisher sehr getrennt betrachteten Aspekte der „Übermittlung“ (zu der auch die Signatur bislang nach allgemeiner Meinung gezählt worden war) und der „Bearbeitbarkeit“. Der BGH meint sogar, das Gericht hätte – wenn es nicht mit der Signatur hätte umgehen können – den Einsender gem. § 130a Abs. 6 ZPO hierauf hinweisen müssen. Die bisherige Systematik wirft der BGH damit mit einem Federstrich über den Haufen, ohne sich mit den früheren Entscheidungen hierzu auseinander zu setzen. Der Unterschied ist vor allem auch mit Blick auf den unterschiedlichen Wortlaut des § 130a Abs. 2 ZPO und die gerade auf die Bearbeitbarkeit bezogenen Rechtsänderungen im ERV-AusbauG von erheblicher dogmatischer Bedeutung.

Die Entscheidung des BGH überzeugt schon deshalb nicht, weil – anders als bei Dateiformaten – kaum nur ein Versehen vorgelegen haben kann, aus dem eine enveloping Signatur verwendet wurde. Ferner führt die Nutzung dieser Signaturart zu einer erheblich regelmäßig erschwerten Verarbeitbarkeit in den eAkten-Systemen der Gerichte, auch, wenn im konkreten Einzelfall offenbar – mutmaßlich in der Dateistruktur des Berufungsgerichts – das Dokument wohl mit einem „herkömmlichen Reader“ (wahrscheinlich dem kostenfreien Adobe Reader, der tatsächlich enveloping Signaturen ohne Weiteres verarbeiten kann) zu öffnen gewesen war. Dass das Gericht – wohl außerhalb einer eAkten-Software – in der Lage war, das Dokument zu lesen, kann nicht alleine bedeutsam sein; immerhin muss auch der Verfahrensgegner noch mit dem Dokument umgehen können, um seine Verfahrensrechte zu wahren. Hierzu gibt es aber offenbar gar keine Feststellungen. Ferner schenkt das Gericht dann seine Weiterverarbeitungsfunktionen aus seiner eAkte her.

 

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts