Seit 1. Januar 2018 sind alle deutschen Gerichte mit Ausnahme des Bundesverfassungsgerichts und der meisten Landesverfassungsgerichte elektronisch erreichbar; viele Gerichte versenden auch bereits elektronisch. Die Aus- und Fortbildung der Justizbediensteten hat mit dem sportlichen Zeitplan des eJustice-Gesetzes indes nicht allerorts Schritt gehalten. Der folgende Beitrag, der gleichzeitig in den Blogs zpoblog und ervjustiz.de erscheint, dient als Kurzglossar für die „Einsteiger“ in der Justiz und damit als Hilfestellung für die erste Schritte in der digitalisierten Justiz:
1. Rechtliche Grundlagen
Rechtsgrundlage des elektronischen Posteingangs sind die §§ 130a ZPO, 65a SGG, 55a VwGO, 52a FGO, § 46c ArbGG, die im Wesentlichen wortgleich die Anforderungen an Schriftsätze regeln. Details hierzu finden sich ferner in der bundesweiten Rechtsverordnung über den elektronischen Rechtsverkehr (ERVV).
Danach können elektronische Dokumente über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) oder einen sicheren Übermittlungsweg gem. § 130a Abs. 4 ZPO bei Gericht eingereicht werden. Die Vorschrift bezieht sich nach ihrem Wortlaut explizit nicht nur auf schriftformbedürftige Dokumente, sondern auf sämtliche Einreichungen (schriftlich einzureichende Auskünfte, Aussagen, Gutachten, Übersetzungen und Erklärungen Dritter).
Während bei einer Einsendung über das EGVP eine qualifizierte elektronische Signatur (qeS) stets erforderlich ist (Abs. 3 1. Var.), kann bei Einreichungen aus einem sicheren Übermittlungsweg gem. § 130a ZPO auf die Anbringung einer qeS verzichtet werden; dann genügt eine einfache Signatur (bspw. der maschinenschriftliche Namenszug oder eine eingescannte Unterschrift).
Die Nutzung eines sicheren Übermittlungswegs macht es erforderlich, dass die den Schriftsatz verantwortende Person selbst (bspw. der postulationsfähige Rechtsanwalt) den Sendevorgang vornimmt.
Es gibt zusammenfassend also drei Möglichkeiten der formwirksamen Einreichung im elektronischen Rechtsverkehr:
- Per EGVP (§ 4 Abs. 1 Nr. 2 ERVV): Dann mit qualifizierter elektronischer Signatur der verantwortenden Person.
- Auf einem sicheren Übermittlungsweg (§ 130a Abs. 4 ZPO) durch die verantwortende Person selbst (bspw. beim beA den Rechtsanwalt): Dann genügt die einfache Signatur der verantwortenden Person.
- Unter Nutzung eines sicheren Übermittlungswegs (§ 130a Abs. 4 ZPO) durch eine andere, als die verantwortende Person selbst (bspw. das Sekretariat der Kanzlei): Dann mit qualifizierter elektronischer Signatur der verantwortenden Person.
2. Elektronische Posteingänge über einen sicheren Übermittlungsweg
Sichere Übermittlungswege gem. § 130a Abs. 4 ZPO sind (derzeit)
- die absenderauthentifizierte De-Mail, § 130a Abs. 4 Nr. 1 ZPO, § 4 f. De-MailG,
- das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA), § 130a Abs. 4 Nr. 2 ZPO, und das besondere elektronische Notarspostfach (beN), § 78n BNotO,
- das besondere elektronische Behördenpostfach (beBPo), § 130a Abs. 4 Nr. 3 ZPO.
Das Adjektiv „sicher“ bezieht sich insoweit nicht auf Fragen der IT-Sicherheit oder des Ausfallschutzes, sondern darauf, dass aufgrund entsprechender technischer Sicherungsmaßnahmen bei Nutzung eines solchen Übermittlungswegs ein sicherer Rückschluss auf die Identität des Absenders möglich ist. Der besondere Kommunikationskanal ersetzt also die Identifikationsfunktion der Unterschrift. Daher kann bei Nutzung sicherer Übermittlungswege auch auf die qeS verzichtet werden, die sonst die eigenhändige Unterschrift im elektronischen Rechtsverkehr ersetzt.
Ob das eingegangene Dokument aus einem sicheren Übermittlungsweg versandt worden ist, lässt sich anhand des Transfervermerks und der Prüfprotokolls („Informationen zum Übermittlungsweg“) erkennen. Auf dem eingegangen Dokument selbst befindet sich kein (verlässlicher) Hinweis darauf.
Die Zeile „Informationen zum Übermittlungsweg“ ist bei beA und beN nur dann gefüllt, wenn der Postfachinhaber den Sendevorgang selbst vorgenommen hat. Lässt er bspw. sein Sekretariat senden, sind die dortigen Mitarbeiter mit einer sog. Mitarbeiter-Karte eingeloggt; der Transfervermerk sind dann genauso aus, wie bei einer Sendung aus einem EGVP-Postfach, so dass auf einen Blick erkennbar ist, dass eine qeS erforderlich ist, obwohl beA/beN genutzt wurden.
3. EGVP und die Prüfung von Signaturen
Auch weiterhin sind Eingänge unter Nutzung des EGVP möglich. Die erforderliche Software kann – teilweise kostenlos – bezogen werden; eine Liste der Anbieter findet sich auf dem Portal www.egvp.de unter dem Menüpunkt „Informationen zu Drittanwendungen“.
Im Gegensatz zu Einsendungen auch sicheren Übermittlungswegen durch die verantwortende Person selbst, ist nach dem Wortlaut des § 130a Abs. 3 1. Var. ZPO nun für alle Eingänge, nicht nur für schriftformbedürftige Dokumente, eine qualifizierte elektronische Signatur (qeS) vorgeschrieben. Zulässige Signaturarten sind damit vor allem noch die PDF-Inlinesignatur (die qeS ist Teil einer PDF-Datei) und die detached Signatur (die qeS befindet sich in einer zweiten Datei neben dem Dokument).
Bsp. einer positiven Signaturprüfung einer Inline-Signatur
Gem. § 4 Abs. 2 ERVV ist die sog. Containersignatur (die Signatur bezieht sich nicht auf den eigentlichen Schriftsatz, sondern auf den Nachrichtencontainer) nicht mehr zulässig. Die enveloping Signatur (die Signaturdatei bettet das Dokument ein) ist gem. der Bekanntmachung zu § 5 der ERVV (Nr. 4) unzulässig.
4. Zugelassenes Dateiformat
Gem. § 130 Abs. 2 Satz 2 ZPO i.V.m. § 2 Abs. 1 ERVV ist das elektronische Dokument in
- druckbarer,
- kopierbarer und,
- soweit technisch möglich, durchsuchbarer Form (d.h. texterkannt),
- im Dateiformat PDF zu übermitteln.
Wenn bildliche Darstellungen im Dateiformat PDF nicht verlustfrei wiedergegeben werden können, darf das elektronische Dokument zusätzlich im Dateiformat TIFF (Version 6)übermittelt werden. Die Dateiformate PDF und TIFF müssen den unter www.justiz.de bekanntgemachten Versionen entsprechen. Bis zum 30. Juni 2019 kann von der Texterkennung des Dokuments abgesehen werden.
5. Fristwahrung
Für die Wahrung einer Frist (bspw. der Klage- oder Rechtsmittelfrist) kommt es auf den Eingang des Dokuments auf dem Intermediär an. Hierbei handelt es sich um einen nicht im jeweiligen Gericht befindlichen Server.
Es kommt insbesondere nicht auf den gerichtlichen Eingangsstempel an (der freilich grundsätzlich das richtige Datum abbilden müsste), noch auf den Zeitpunkt der Signatur oder den Zeitpunkt der Erstellung des Transfervermerks (die letzten beiden Zeitpunkte könnten in die Irre führen, weil sie ebenfalls auf dem Transfervermerk abgedruckt sein können).
Das für die Fristwahrung maßgebliche Datum lässt sich sowohl dem Transfervermerk, als auch dem Prüfprotokoll „inspectionsheet.html“ entnehmen („Eingang auf dem Server“).
6. elektronisches Empfangsbekenntnis (eEB)
Gem. § 174 Abs. 3, 4 ZPO bestimmt sich der Fristbeginn im elektronischen Rechtsverkehr stets nach dem elektronischen Empfangsbekenntnis (eEB). Hierbei handelt es sich nicht mehr über ein vom zustellenden Gericht mitübersandtes Formular, sondern um einen strukturierten maschinenlesbaren XML-Datensatz, der erst vom Posteingangs-Client des Gerichts wieder in eine menschenlesbare Form gewandelt wird. Eine elektronische Zustellungsurkunde ist vom Gesetz nicht vorgesehen. Wie beim bisherigen EB-Formular auch, ist damit der Zustellungszeitpunkt vom Empfangswillen des Adressaten abhängig.
174 Abs. 3 ZPO sieht ferner keine Zustellung mehr in EGVP-Postfächer vor, sondern nur noch in sichere Übermittlungswege.
In den Serviceeinheiten der Gerichte gehen immer wieder ausgedruckte oder gefaxte „elektronische“ Empfangsbekenntnisse ein. Für die Wirksamkeit der Zustellung dürfte dies gem. § 189 ZPO regelmäßig unschädlich sein; hierdurch wird aber Sand in das Getriebe des Justizbetriebs geworfen. Zudem ist die richtige Abgabe des eEB im beA-Webclient sehr einfach; Hinweise finden sich hier.
7. Folgen einer fehlerhaften Einreichung
Gem. § 130a Abs. 2 ZPO muss das elektronische Dokument für die Bearbeitung durch das Gericht geeignet sein. Diese Voraussetzung ist bei PDF-Dateien grundsätzlich gegeben. Jedoch könnte die so übersandte Datei aus anderen Gründen (Virenbefall, technische Defekte etc.) nicht zu öffnen sein.
Für diesen Fall trifft § 130a Abs. 6 ZPO eine Regelung, die den allgemeinen Vorschriften über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorgeht: Ist ein elektronisches Dokument für das Gericht zur Bearbeitung nicht geeignet, ist dies dem Absender unter Hinweis auf die Unwirksamkeit des Eingangs und auf die geltenden technischen Rahmenbedingungen unverzüglich mitzuteilen. Das Dokument gilt als zum Zeitpunkt der früheren Einreichung eingegangen, sofern der Absender es unverzüglich in einer für das Gericht zur Bearbeitung geeigneten Form nachreicht und glaubhaft macht, dass es mit dem zuerst eingereichten Dokument inhaltlich übereinstimmt. Aus der Vorschrift folgt, dass die unverzügliche Möglichkeit der nochmaligen Einreichung regelmäßig erst dann erforderlich ist, wenn das Gericht einen Hinweis auf die Nichtbearbeitbarkeit gegeben hat. Unverzüglich meint dabei „ohne schuldhaftes Zögern“, wobei für die gerichtliche Seite anerkannt ist, dass eine Hinweispflicht nur „während der üblichen Geschäftszeiten“ besteht.
Eine fehlerhafte Einreichung, die nicht die Bearbeitbarkeit des Dokuments betrifft – bspw. ein Fehler der qualifizierten elektronischen Signatur oder hinsichtlich des gewählten Übermittlungswegs – unterfällt nicht der großzügigen Regelung des § 130a Abs. 6 ZPO, sondern rechtfertigt allenfalls die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach allgemeinen Regeln. Hier kann vor allem ein mögliches Verschulden des Einreichers ein Fallstrick sein, wobei die jüngste Rechtsprechung von Bundessozialgericht (B 12 KR 26/18 B) und Bundesarbeitsgericht (2 AZN 269/18) eine gerichtliche Milde in der Übergangsphase erkennen lassen.
8. Zusammenfassend ergeben sich hieraus folgende Prüfungsschemata:
Weiterführende Informationen finden Sie im eJustice-Praxishandbuch.
Dieser Beitrag erscheint in Kooperation mit dem (höchst lesenswerten) Blog zpoblog.de des Kollegen Richter am Amtsgericht Benedikt Windau.