LAG Düsseldorf relativiert ERV-Formanforderungen

Die Formvorschriften im elektronischen Rechtsverkehr, allen voran die Frage der Notwendigkeit der Einbettung von Schriftarten, hält auch weiter vor allem die Arbeitsgerichtsbarkeit auf Trab. Das LAG Düsseldorf (Urteil v. 24.8.2021 – 14 Sa 190/21 – noch nicht veröffentlicht) geht in Anlehnung an die Rechtsprechung des OLG Koblenz und es LG Mannheim mit sehr überzeugender Begründung davon aus, dass die Formanforderungen verhältnismäßig sein müssen. Erledigt haben sich diese Anforderungen erst für Schriftsätze ab dem 1.1.2022 – dann werden die meisten Formvorschriften von „Muss-“ zu „Soll-Vorschriften“.

Sachverhalt

Der Berufungskläger reichte die Berufungsbegründung nicht unter Einbettung sämtlicher Schriftarten ein. Das Gericht erteilte daraufhin einen Hinweis gem. § 130a Abs. 6 ZPO. Zwar reichte der Berufungskläger die Berufungsbegründung daraufhin unverzüglich nochmals ein. Erneut waren jedoch nicht alle Schriftarten eingebettet.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Die Berufungsbegründung ist nicht unter Einhaltung der Regelungen der §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 5 ERVV (in der Fassung bis 31.12.2021) i.V.m. den Regelungen der ERVB 2019 innerhalb der Berufungsbegründungsfrist eingegangen. Dieser Mangel wurde durch die erneute Einreichung nicht geheilt. […Der als Berufungsbegründung…] eingereichte Schriftsatz genügt jedoch den Anforderungen. Er ist i.S.d. § 130a Abs. 2 Satz 1 ZPO auch ohne Einbettung sämtlicher Schriften zur Bearbeitung durch das Gericht geeignet.

Geltung der ERVB 2019?

Zur Geltung der ERVB 2019 führt das Gericht folgendes aus:

Die Regelungen der ERVB 2019 zum Einbettungserfordernis sind nicht zu beachten. Sie sind von der Ermächtigungsgrundlage des §§ 2, 5 Abs. 1 ERVV nicht gedeckt […]. § 5 Abs. 2 Satz 1 ERVV bestimmt, dass die technischen Anforderungen mit einer Mindestgültigkeitsdauer bekanntgemacht werden müssen. Eine derartige Mindestgültigkeitsdauer enthält die ERVB 2019 anders als die ERVB 2018 nicht. Sie beansprucht für sich vielmehr eine einerseits unbegrenzte Dauer andererseits mangels Mindestgültigkeit eine jederzeitige Abänderbarkeit und ist aus diesem Grund unwirksam.

Die Regelungen der ERVB 2019 sind zudem nicht anzuwenden, weil sie durch ihre Geltung ab dem 01.01.2019 die Mindestgültigkeit der ERVB 2018 (bis Ende 2020) annullieren. Auch damit verletzen sie die in der Ermächtigungsgrundlage niedergelegte Mindestgültigkeitsdauer. Die einmal wirksam auf Grundlage der Ermächtigung in § 5 ERVV bekanntgemachte Mindestgültigkeitsdauer, kann nicht durch eine nachfolgende Bekanntmachung beseitigt werden.

Schließlich ist die ERVB 2019 auch deshalb nicht von der Ermächtigungsgrundlage des § 2, 5 der ERVV gedeckt, da sie weitergehende Anforderungen an die einzureichenden Dateiversionen aufstellt, als ihr von der Ermächtigung zugestanden werden (vgl. OLG Koblenz v. 09.11.2020 3 U 844/20, Rn. 23 ff.; Mardorf, jM 2020, 266, 269, a.A.: PDF/A-1, LAG Schleswig-Holstein v. 15.07.2021 5 Sa 8/21, Rn. 54; ArbG Lübeck v. 09.06.2020 3 Ca 2203/19, Rn. 27 ff.). Denn § 5 Abs. 1 Nr.1 ERVV lässt lediglich die Bekanntgabe der zulässigen Dateiversion zu.

Bearbeitbarkeit auch ohne eingebettete Schriftarten?

Unabhängig von der Geltung der ERVB 2019 meint das Gericht, die Einbettung von Schriftarten sei ohnehin nicht zwingend, sofern das Gericht den Schriftsatz dennoch verarbeiten kann:

§ 130a Abs. 2 ZPO bestimmt, dass das Dokument zur Bearbeitung durch „das Gericht“ geeignet sein muss. Schon der Wortlaut der Norm zeigt, dass es auf die subjektive Eignung zur Bearbeitung durch „das“ (jeweilige) Gericht ankommt und nicht durch „alle“ Gerichte. Nur Verstöße gegen die technischen Rahmenbedingungen, die tatsächlich zu einer Fehlenden Bearbeitbarkeit führen, können eine Unwirksamkeit der Einreichung begründen (so auch LG Mannheim v. 04.09.2020 1 S 29/20, Rn. 22 ff.; Müller NZA 2019, 1120, 1122).

Die für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der streng objektiv ausgelegten Bestimmungen der ERVV und ERVB 2019 vorgebrachten Argumente führen zu keinem anderen Ergebnis. Die Erschwerung des Zugangs zu den Gerichten durch die Regelungen der ERVB sind durch die damit verfolgten Zwecke jedenfalls soweit die Einbettung von Schriften betroffen ist nicht gerechtfertigt, jedenfalls dann nicht, wenn sie die anderweitige Einreichungen stets als unwirksam bestimmt (für eine Verhältnismäßigkeitsabwägung auch Müller, jurisPK-ERV Band 2 § 130a Rn. 41 ff. mit zahlreichen Hinweisen zu Rspr. und Lit.).

Sind bereits durchgreifende Argumente für die zwingende Notwendigkeit der Einbettung sämtlicher Schriftarten nicht ersichtlich, kann dies durch die weitergehende Argumentation, inwieweit diese Beschränkung des Justizgewährungsgewährungsanspruchs durch verfahrensrechtliche Heilungsmöglichkeiten aufgefangen werden könnte, nicht mehr durchgreifen. Ein nicht notwendiger Eingriff in den Justizgewährungsanspruch hat schlich zu unterbleiben und kann nicht erst durch Auffangregelungen zulässig gemacht werden.

Problem erledigt sich weitgehend zum 1.1.2022

Zum 1.1.2022 wird § 130a Abs. 2 Satz 2 ZPO wird wie folgt eingefügt („ERV-AusbauG“):

Die Bundesregierung bestimmt durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates technische Rahmenbedingungen für die Übermittlung und Eignung zur Bearbeitung durch das Gericht.

Hierdurch will der Gesetzgeber klarstellen, dass es der Regelung der ERVV nur nicht um eine rein formale Prüfung geht. Formunwirksamkeit soll nur dann eintreten, wenn der Verstoß dazu führt, dass im konkreten Fall eine Bearbeitung durch das Gericht nicht möglich ist. Demgegenüber sollen rein formale Verstöße gegen die ERVV dann nicht zur Formunwirksamkeit des Eingangs führen, wenn das Gericht das elektronische Dokument gleichwohl bearbeiten kann. Nur bei Einhaltung der Voraussetzungen der ERVV/ERVB hat der Einreicher daher die Garantie der Formwirksamkeit. Hält er die Voraussetzungen dagegen nicht ein, ist der Schriftsatz nicht automatisch formunwirksam, sondern nur dann, wenn das Gericht den Schriftsatz tatsächlich nicht bearbeiten kann.

Dementsprechend werden auch die § 2 Abs. 1, 2 ERVV und § 5 ERVV umformuliert. Außer der Vorgabe des Dateiformats – PDF, notfalls TIFF – sind alle weiteren Anforderungen nur noch „Soll-Bestimmungen“, die als Rahmenbedingungen fungieren. Hält sich der Einreichende an diese Rahmenbedingungen ist die Bearbeitbarkeit durch das Gericht garantiert. Hält er sich nicht daran, kommt es darauf an, ob das Gericht das elektronische Dokument tatsächlich bearbeiten kann – wenn nicht, bleibt die Einreichung unzulässig (vorbehaltlich der Heilung gem. § 130a Abs. 6 ZPO). Kommt das Gericht mit dem elektronischen Dokument zumutbar zurecht, bleibt der Verstoß gegen die „Soll-Vorschrift“ folgenlos.

 

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts