OLG Nürnberg zur Kostenprivilegierung bei Abschriften im ERV

Gem. § 133 Abs. 1 Satz 2 ZPO (= § 55a Abs. 5 Satz 3 VwGO, § 65a Abs. 5 Satz 3 SGG usw.) müssen bei Nutzung des Elektronischen Rechtsverkehrs entgegen der allgemeinen Regelung keine Abschriften für die Beteiligten beigefügt werden. Nach der eindeutigen Anordnung des Gesetzes kann das Gericht dem Einreicher deshalb auch keine Kosten für die Erstellung papierner Zustellungsexemplare nach KV Nr. 9000 Nr. 1 und 2 in Rechnung stellen. Doch was passiert, wenn der Einreicher das selben Dokument im Nachgang nochmals konventionell einreicht? Mit dieser Frage hatte sich das OLG Nürnberg (v. 25.3.2021 – 2 U 3607/20 – (juris) kostenpflichtig) zu beschäftigen.

Rechtlicher Hintergrund

Dass keine Abschriften des Schriftsatzes und der Anlagen beigefügt werden müssen, ist zunächst bereits ein Gebot der logischen Nutzung der Technik. Die Beifügung einer „Abschrift“ im Elektronischen Rechtsverkehr wäre wohl als völlig unnütze doppelte Übersendung derselben Datei zu verstehen. Da das Gericht – selbst bei der Weiterleitung des Posteingangs in Papierform – von einer Datei auch ohne zusätzliche Mühen schlicht weitere Ausdrucke fertigen kann, besteht hieran kein praktischer Bedarf. Zudem bemühen sich die Gerichte um die Weiterleitung der Datei in elektronischer Form, so dass gar keine „Abschrift“ mehr weitergeleitet wird, sondern eine Kopie des elektronischen Originalschriftsatzes.

Nach der eindeutigen Anordnung des Gesetzes kann das Gericht dem Einreicher deshalb auch keine Kosten für die Erstellung papierner Zustellungsexemplare nach KV Nr. 9000 Nr. 1 und 2 in Rechnung stellen. Diese „Kostenprivilegierung“ war vom Gesetzgeber durchaus auch als Anschubfinanzierung des Elektronischen Rechtsverkehrs ausgestaltet. Die Befürchtung, die Justiz könne hierdurch die „Druckstraße der Rechtsanwaltschaft“ werden, hat sich indes nicht bestätigt, weil der elektronische Posteingang der Gerichte letztlich ähnlich schleppend anlief, wie der elektronische Postausgang und beide zeitlich korrespondierend anstiegen. Gerade in den Fachgerichten, die wegen technisch überlegener Justizfachverfahren119 deutlich früher als die ordentliche Gerichtsbarkeit auch in der Lage waren, elektronische Zustellungen vorzunehmen, war sogar zunächst das umgekehrte Phänomen zu beobachten, dass die Rechtsanwaltschaft und die Behörden mit höheren Druckkosten belastet waren, weil die Gerichte mehr elektronisch versendeten als dort elektronisch einging (siehe auch Müller in: jurisPK-ERV Band 3, 1. Aufl., § 65a SGG (Stand: 13.04.2021), Rn. 165 – kostenpflichtig).

Sachverhalt

Dem Fall des OLG Nürnberg liegt die Konstellation zugrunde, dass der Einreicher zunächst ein Dokument mittels besonderem elektronischen Anwaltspostfach (beA) im elektronischen Rechtsverkehr eingereicht hatte. Nur Minuten später hatte er das selbst Dokument zusätzlich per Fax an das Gericht übermittelt. Für den Ausdruck von insgesamt 58 Seiten berechnete das Gericht gem. Nr. 9000 Ziffer 1 lit. b KV-GKG insgesamt 26,20 €.

Wesentlicher Inhalt der Entscheidung

Zunächst erteilt das OLG (richtigerweise) dem Einsender eine unverholene Rüge für die zusätzliche Telefaxübermittlung:

Es steht außer Frage, dass die zusätzliche Einreichung eines (inhaltlich identischen) Schriftsatzes, der bereits zuvor elektronisch über das besondere Anwaltspostfach übermittelt worden ist, per Telefax letztlich dem System des elektronischen Rechtsverkehrs zuwiderläuft. Das gilt insbesondere dann, wenn das Telefax als weitere Form der Übermittlung von einem Rechtsanwalt „aus Sicherheitsgründen“ gewählt wird. Denn bei der Übersendung von Schriftstücken an das Gericht über das besondere Anwaltspostfach geht sofort eine automatisierte Eingangsbestätigung ein (§ 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO). Hierdurch erlangt der Absender gerade unmittelbar Gewissheit darüber, ob eine Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind (BT-Drucksache 17/12634, Seite 26).“ (zu den Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts im elektronischen Rechtsverkehr siehe hier).

Ungeachtet dessen meint das OLG aber, dass eine Kostenerhebung auf der Grundlage von § 28 Abs. 1 Satz 2 GKG, Nr. 9000 Ziffer 1 Buchstabe b Halbsatz 2 KV-GKG aber nicht möglich sei, da es sich bei den Telefaxen nicht um Mehrfertigungen des Schriftsatzes vom 08.02.2021 handelt, die von einer Empfangseinrichtung des Gerichts ausgedruckt wurden. Auch weitere Kostenvorschriften seien nicht einschlägig. Insofern könne auch dahingestellt bleiben, ob die Prozessbevollmächtigte des Beklagten Kostenschuldnerin sein kann.

Die Regelung in § 28 Abs. 1 Satz 2 GKG, Nr. 9000 Ziffer 1 Buchstabe b KV-GKG sei im Zusammenhang mit der aus § 133 Abs. 1 Satz 1 ZPO resultierenden prozessualen Pflicht der Parteien zu sehen, die erforderliche Anzahl von Abschriften der Schriftsätze als auch deren Anlagen beizufügen. Sie diene der Kostendämpfung. Im Übrigen bezwecke sie eine Kostengerechtigkeit: Wer Kosten verursacht, solle sie begleichen.. Dies gelte insbesondere auch für Nr. 9000 Ziffer 1 Buchstabe b Halbsatz 2 KV-GKG: Der Mehraufwand, welcher der Justiz dadurch entstehe, dass sich die Partei bei der Wahrnehmung ihrer Verpflichtung aus § 133 Abs. 1 Satz 1 ZPO der Telefaxeinrichtung des Gerichts bedient, rechtfertigt den besonderen Auslagentatbestand.

Weil vom Beklagten aber keine Mehrfertigungen einzureichen waren, könne deren erforderlicher Anfertigung nicht gleichstehen, dass der Schriftsatz zusätzlich auch per Telefax übermittelt und von einer Empfangseinrichtung des Gerichts ausgedruckt wurde.

Eine Partei, die – wie der Beklagte – einen Schriftsatz gemäß § 130a ZPO formwirksam als elektronisches Dokument einreicht, sei nicht gehalten, die für die Zustellung erforderliche Zahl von Abschriften in Papierform nachzureichen. Dies ergebe sich aus § 133 Abs. 1 Satz 2 ZPO. Falls zum Zweck der Zustellung überhaupt noch ein Ausdruck erforderlich sei, weil der Prozessgegner nicht über einen elektronischen Zugang verfüge (§ 174 Abs. 3 ZPO), habe die Geschäftsstelle dafür Sorge zu tragen, dass das elektronische Dokument ausgedruckt und dem Gegner in der gesetzlich vorgeschriebenen Form übermittelt werde. Dadurch, dass die Verpflichtung beseitigt wird, die für die Zustellung erforderliche Zahl von Abschriften im Falle der elektronischen Übermittlung beizufügen, entfalle nicht nur die Verpflichtung zur Zahlung von Auslagen nach Nr. 9000 Ziffer 1 KV-GKG, sondern auch die Verpflichtung, die Auslagen für den Medientransfer nach Nr. 9000 Ziffer 2 KV-GKG zu zahlen (BT-Drucksache 15/4067, Seite 31).

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts