VerfGH Rheinland-Pfalz: Eingangsbestätigung zu kontrollieren, ist anwaltliche Sorgfaltspflicht

Im Gegensatz zu den meisten Landesverfassungsgerichten und dem Bundesverfassungsgericht nimmt der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz (VerfGH) in Koblenz bereits seit längerem am elektronischen Rechtsverkehr teil, § 11a VerfGHG RLP. Ähnlich wie zahlreiche andere Gerichte hatte er sich nun mit einem fehlgeschlagenen elektronischen Posteingang und einem Antrag auf Wiedereinsetzung auseinanderzusetzen (Beschluss vom 24. September 2019 – VGH B 23/19). Im vorliegenden Fall fehlte die Begründung der Verfassungsbeschwerde; dem Gericht lagen nur „Anlagen“ und „unvollständige Sätze“ vor.

Sachverhalt

Am letzten Tag der Monatsfrist gingen beim VerfGH „Anlagen“ und „unvollständige Sätze“ und Anträge ein. Übersandt wurden sie von einer Rechtsanwältin mittels besonderem elektronischen Anwaltspostfach (beA) in das EGVP-Postfach des VerfGH.

Im späteren Wiedereinsetzungsantrag trug die Rechtsanwältin vor, sie habe selbst die 24seitige PDF-Datei mit der Verfassungsbeschwerdebegründung zusammen mit den Anlagen hochgeladen. Es seien bis auf zwei Anlagen alle Anlagen angenommen worden, namentlich die Verfassungsbeschwerde „als oberste Datei“ in den „Anlagen unterhalb der Maske“ im beA enthalten gewesen und dieser Schriftsatz sei auch als erstes über das System im Versendevorgang erschienen. Es sei außerdem in beA kein Fehler angezeigt worden, vielmehr sei wenig später die Zustellbestätigung eingegangen, „indem in der Maske ‚Postausgang‘ der Wechsel zu ‚gesendet‘ erfolgt“ sei.

Im Ergebnis fällt also auseinander, was der VerfGH offensichtlich elektronisch erhalten hat und was die Rechtsanwältin vorträgt, gesendet zu haben.

Risiko der Einsendung

Der VerfGH referiert zunächst die bekannte Rechtsprechung zur Risikotragung bei Ausschöpfung von Fristen:

Das Risiko einer technischen fehlerhaften Übermittlung tragen die Beschwerdeführer. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass jede Frist im Interesse des Rechtsschutzsuchenden bis zuletzt ausgeschöpft werden kann. Wer, wie vorliegend, eine Rechtsmittelfrist voll ausnutzt, nimmt jedoch eine erhöhte Sorgfaltspflicht für die Fristwahrung auf sich. Dabei ist auch in Rechnung zu stellen, dass es im Falle einer elektronischen Übermittlung zu (technischen) Problemen kommen kann.

Angewandt auf den elektronischen Rechtsverkehr bedeute dies, dass insbesondere der Erfolg der Übermittlung zu überprüfen sei. Hierfür müsse die automatisierte Empfangsbestätigung (vgl. § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO für die ordentliche Gerichtsbarkeit) auf den Erfolg und die Vollständigkeit der Übertragung kontrolliert werden:

Bei der Übermittlung fristgebundener Schriftsätze im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs ist es daher unerlässlich, den Versendevorgang selbst zu überprüfen. Dies hat bei Nutzung des beA/EGVP durch Prüfung des Erhalts und des Inhalts der vom EGVP an das beA versandten Eingangsbestätigung zu erfolgen. Dabei ist nicht nur zu überprüfen, ob die Datei überhaupt versandt wurde, sondern – vergleichbar dem Versand per Telefax – ob die Übermittlung vollständig erfolgt ist, ob also sämtliche Anlagen in der Eingangsbestätigung aufgeführt sind. Dass sie diese Prüfung vorgenommen hätte, trägt die Bevollmächtigte der Beschwerdeführer bereits nicht vor. Sie führt insofern lediglich aus, dass „die Zustellbestätigung eingegangen“ sei, „indem in der Maske ‚Postausgang‘ der Wechsel zu ‚gesendet‘ erfolgt“ sei. Hierbei handelt es sich jedoch nicht um die Eingangsbestätigung. Der mögliche Umstand, dass der Bevollmächtigten der Beschwerdeführer diese technischen Abläufe nicht bekannt waren, lässt das Verschulden nicht entfallen.

Die Eingangsbestätigung gem. § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO ist ein wesentlicher Vorteil des elektronischen Rechtsverkehrs für den Einsender. Anders als das Sendeprotokoll beim Telefaxversand weist sie nicht nur den „Sendevorgang“ zu einem bestimmten Zeitpunkt an eine bestimmte Faxnummer nach, sondern bestätigt sogar den Eingang und bezieht sich inhaltlich zudem auf die in ihr dargestellten Dateinamen und weist auch die Dateigrößen nach. Die Indizwirkung der Eingangsbestätigung ist daher hoch, obschon sie selbstverständlich nicht den Beweiswert einer Urkunde i.S.d. § 371a ZPO erreicht.

Den indiziellen Wert der Eingangsbestätigung hat auch schon der VGH Kassel in einer Entscheidung am 26. September 2017 (5 A 1193/17) aufgegriffen: „Legt ein Verfahrensbeteiligter einen Ausdruck der vom gerichtlichen Empfangsserver automatisch versandten Eingangsbestätigung für den Eingang eines Schriftstücks per EGVP vor, spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass das Schriftstück zu dem auf der Eingangsbestätigung ausgewiesenen Zeitpunkt auf dem Gerichtsserver eingegangen ist.

Keine Wiedereinsetzung

Auch auf den Wiedereinsetzungsantrag der Beschwerdeführerin blieb der VerfGH hart. Das fehlende Verschulden der Rechtsanwältin, dass sich die Beschwerdeführerin zurechnen lassen müsse, sei nicht glaubhaft gemacht. Die Kontrolle der Eingangsbestätigung gehöre zur anwaltlichen Sorgfalt.

Ein technisches Problem, dass dazu geführt haben könnte, dass die Beschwerdebegründung „verloren gegangen“ sei, sei ferner nicht wahrscheinlich. Auch dies sei im Übrigen (nur) dadurch nachweisbar, dass die Rechtsanwältin die bei ihr vorhandene Eingangsbestätigung vorlege, aus der dann ja die Übermittlung der Beschwerdebegründung ersichtlich sein müsste.

Praxishinweis

Der Nachweis Dokumente tatsächlich übermittelt zu haben, ist im elektronischen Rechtsverkehr leichter zu führen, als in der Papier- oder Telefaxwelt.

Wie die Eingangsbestätigung und die übersandte Nachricht zum Zwecke einer späteren Glaubhaftmachung exportiert werden kann (und sollte), beschreibt die BRAK in mehreren beA-Newslettern (bspw. 27/2019). Natürlich sollte die Eingangsbestätigung dann auch mit dem Wiedereinsetzungsantrag vorgelegt werden.

Die herausgehobene Bedeutung der anwaltlichen Sorgfaltspflichten bei der elektronischen Übersendung auf der anderen Seite, zeigen mittlerweile ebenfalls zahlreiche Entscheidungen auf. In diesem Sinne stellt u.a. das OVG Berlin-Brandenburg (v. 11.11.2020 – OVG 6 S 49/20) fest, dass das durch den Server des beA erstellte Prüfprotokoll und darin enthaltene Angaben über ein positives Gesamtprüfergebnis sowie einen rechtzeitigen „Eingang auf dem Server“ eine Eingangsbestätigung im Sinne des § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO nicht zu ersetzen vermögen. Denn aus dem Prüfprotokoll ergibt sich nicht, ob die Nachricht vollständig auf dem Justizserver gespeichert worden ist. Diese Information lässt sich nur der Eingangsbestätigung im Sinne des § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO entnehmen, die bei ordnungsgemäßem Zugang automatisch durch den Intermediär erzeugt und an den Absender übermittelt wird. Ergänzend ist insoweit zu bemerken, dass die elektronisch exportierte Eingangsbestätigung im beA zudem elektronisch signiert ist und deshalb eine höhere Eignung als Beweismittel aufweist.

Es gilt daher,

  1. wenn irgendwie möglich, Fristen nicht vollständig auszuschöpfen – auch um dem Gericht zu ermöglichen rechtzeitig seiner Fürsorgepflicht nachzukommen und bspw. rechtzeitig Hinweise auf Formmängel zu erteilen (vgl. Containersignatur-Rechtsprechung der Bundesgerichte).
  2. Die gesendete Nachricht zu exportieren und die Eingangsbestätigung aufzubewahren.
  3. Die Eingangsbestätigung mit dem Wiedereinsetzungsantrag einzureichen.
  4. Den ursprünglich übersandten – aber nicht formwirksamen oder nicht „angekommenen“ – Schriftsatz nochmals einzureichen, um auch die Voraussetzungen des § 130a Abs. 6 ZPO zu wahren.

 

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts