Verfassungsrichter lesen keine E-Mails – zu Recht!

Immer wieder stolpert die Rechtsprechung über die neuen Formvorschriften des elektronischen Rechtsverkehrs und akzeptiert unsignierte Eingänge oder solche auf unzulässigen Übermittlungswegen (vgl. bspw. BGH, Beschluss vom 18. März 2015 – XII ZB 424/14). Dieses Vorgehen verkennt die Spezialität der „neuen Formvorschriften“ gegenüber der am Papier orientierten Schriftform. Erfrischend klar und knapp reagiert dagegen das Bundesverfassungsgericht auf eingehende E-Mails und (neuerdings) De-Mails:

Verfassungsrichter lesen keine E-Mails!

Im Verfahren 2 BvQ 43/15 vor dem Bundesverfassungsgericht (Ablehnung einstweilige Anordnung vom 27. November 2015) hatte die dortige Antragstellerin die angegriffenen Beschlüsse  ihrem Antrag nur teilweise per Fax beigefügt. Zwar hat die Antragstellerin neben dem per Fax übersandten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung eine mit Anlagen versehene E-Mail an das Bundesverfassungsgericht übersandt. Diese nimmt das Bundesverfassungsgericht aber inhaltlich gar nicht zur Kenntnis und begründet nur (erfreulich) knapp und zutreffend: „[…] die Übermittlung von Dokumenten per E-Mail genügt den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG indes nicht (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 19. Mai 2010 – 1 BvR 1070/10). Eine § 130a Abs. 1 ZPO entsprechende Vorschrift kennt das Bundesverfassungs-gerichtsgesetz gerade nicht. […]“.

…und De-Mails auch nicht.

Ebenso hat das BVerfG nun auch für die De-Mail entschieden. Im Verfahren 1 BvR 2391/18 erging am 19. November 2018 ein Beschluss, in dem das Gericht mitteilt, dass der Gesetzgeber sich entschieden habe, die elektronische Form anders als in den Prozessordnungen der übrigen Gerichte beim Bundesverfassungsgericht nicht einzuführen. Es sei daher ein Tätigwerden des Gesetzgebers nötig, bevor Klage auch beim BVerfG nicht mehr einer „Verkörperung“ bedürfen. Gleiches gilt auch für die Verfassungsgerichte der Länder.

Anders als der BGH versucht das BVerfG nicht, die Verfassungsbeschwerde durch eine Analogie zu § 130a ZPO zu retten, obschon das BVerfG hierzu deutlich mehr Raum hätte, als der BGH; immerhin kennt das BVerfGG elektronische Formvorschriften (noch) nicht. Im Übrigen ist der vom BGH angestellte Vergleich zwischen einem elektronischen Dokument und einem Telefax ohnehin verfehlt. Bereits der Übertragungsweg eines Telefaxes unterscheidet sich erheblich von dem eines per EGVP/beA übermittelten Dokuments. So stellte der GmS-OGB zur Telefax-Rechtsprechung maßgeblich darauf ab, dass gesichert sei, dass am Empfangsort unmittelbar eine körperliche Urkunde erstellt werde. Dies entspricht für das Telefax auch heute noch der Praxis der meisten Gerichte. Der Ausdruck eines unsignierten elektronischen Dokuments bedarf hingegen noch einer Willensbetätigung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gerichts. Ein automatisierter Ausdruck ist von modernen Justizfachverfahren nicht (zwingend) vorgesehen (so zum Beispiel bei EUREKA-Fach, dem Justizfachverfahren der Fachgerichte in 14 Bundesländern). Zudem erfolgt die Faxübersendung in analoger Form über eine normale Telefonverbindung, ohne dass der Empfänger unmittelbar eine Datei erhält. Hieran ändert auch die Umstellung der Telefontechnik auf eine digitale Übertragungsweise (Voice-over-IP – VOIP) dem Grund nach nichts; auch hier wird gerade nicht eine Datei übertragen.

Aus dem letztgenannten Grunde ist das Telefax auch kein elektronisches Dokument. Jedenfalls beim klassischen Telefaxempfang ist dementsprechend die Unterschrift stets ein „Abbild“ im Sinne des § 130 Nr. 6 2. Hs. ZPO. Schon beim Computerfax ist dies aber nicht sichergestellt, weil die Unterschrift fast beliebig als gesondert vorgehaltenes Bild einfügbar ist – ohne, dass sich dies allerdings effektiv überprüfen ließe. Im ERV dagegen gilt grundsätzlich dasselbe wie beim Computerfax; mit einem bedeutenden Unterschied: Es lässt sich durch Analyse der übersandten Datei herausfinden, ob es sich um einen einheitlichen Scan handelt, oder, ob die Unterschrift nachträglich eingefügt worden ist.

Dem Bundesverfassungsgericht ist daher zuzustimmen. Vieler Worte bedarf es hierfür tatsächlich nicht.

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts