Gem. § 10a Abs. 5 S. 1 BImSchG sind seit dem 21. November 2025 Genehmigungsverfahren gem. § 10a Abs. 1 BImSchG (d.h. insbesondere betreffend Anlagen zur Produktion von Elektrizität, Wärme oder Kälte aus erneuerbaren Energiequellen – Erneuerbare Energieanlagen) digital durchzuführen. Das elektronische Verwaltungsverfahren wird als zwingend gesetzlich angeordnet. Und das, obwohl nicht alle Behörden hierauf hinreichend vorbereitet sind. Vor allem, weil im Immissionsschutzrecht
weitreichen ein Schriftformbedürfnis besteht.
Verfahrensrechtlicher Anwendungsbereich
§ 10a BImSchG ist Teil der RED-III Umsetzungsgesetzgebung, die im August 2025 in das deutsche Recht übernommen worden ist. Die Pflicht zum digitalen Verwaltungsverfahren gilt zunächst unmittelbar für sämtliche Genehmigungsverfahren seit dem 21. November 2025. Aber nach der Übergangsvorschrift des § 67 Abs. 4 BImSchG sind auch zuvor begonnene Verfahren elektronisch zu Ende zu führen. § 9 VwVfG („Das Verwaltungsverfahren im Sinne dieses Gesetzes ist die nach außen
wirkende Tätigkeit der Behörden, (…) es schließt den Erlass des Verwaltungsaktes (…) ein.“) dürfte damit ab dem 21. November auch der Bescheid elektronisch zuzustellen sein. Die elektronische
Durchführung des Erlaubnis- und Bewilligungsverfahrens umfasst das gesamte Verwaltungsverfahren, d.h. sämtliche Verfahrensschritte und damit insbesondere die Einreichung der Antragsunterlagen durch den Träger des Vorhabens in elektronischer Form, erforderliche
Zwischenschritte, wie ins besondere die Übermittlung von Stellungnahmen bis zur Erteilung des Bescheids in elektronischer Form (BT-Drs. 21/568, S. 32 – hier begründet der Gesetzgeber allerdings die wortgleiche Änderung des WHG-Verfahrens für EE-Anlagen, ebenfalls mit der RED-III Umsetzung
in deutsches Recht übernommen).
Schriftform der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung
Die reine elektronische Kommunikation dürfte den meisten Genehmigungsbehörden möglich sein. Brisant ist aber, dass gem. § 10 Abs. 7 BImSchG die immissionsschutzrechtliche Genehmigung
schriftlich zuzustellen ist. Gem. § 3a Abs. 2, 3 (L)VwVfG kann die Schriftform bei elektronischer Zustellung nur durch Nutzung einer qualifizierten elektronischen Signatur oder eines qualifizierten elektronischen Siegels gewahrt werden. Weder das eine noch das andere ist flächendeckend vorhanden, obschon die verfahrensrechtliche Norm bereits seit Jahrzehnten besteht und zum 1. Januar 2024 novelliert und vereinfacht wurde.
Umgehung der Signaturerfordernisse durch Heilung
Das Gesetz selbst regelt keine Rechtsfolge für den Verstoß gegen § 10a Abs. 5 BImSchG. Da Sinn und Zweck der Norm (bloß) in der Verfahrensbeschleunigung liegt, ist es durchaus bereits vertretbar, in
der Pflicht zum digitalen Verwaltungsverfahren zunächst eine reine Ordnungsvorschrift ohne Rechtsfolge zu sehen. Selbst wenn man in der Norm eine bloße Ordnungsvorschrift sehen würde, wäre es aber angezeigt, dass sich die Genehmigungsbehörden jedenfalls zügig um qualifizierte
elektronische Signaturen oder qualifizierte elektronische Siegel bemühen – beides ist weder eine technologische Herausforderung noch besonders kostenintensiv. Insbesondere qualifizierte elektronische Siegel sind auch organisatorisch leicht in die Behördenorganisation einzubeziehen.
Daneben wird lediglich ein Signaturprogramm benötigt. Kein Grund also, hier ein Risiko für die Behörde selbst, sowie die betroffenen Bürgerinnen und Bürger bzw. Unternehmen einzugehen.
Möglich ist indes auch, dass die Rechtsprechung in Zukunft herausarbeitet, dass es sich bei einem Verstoß gegen § 10a Abs. 5 BImSchG im Zustellungsrecht – insbesondere durch Zustellung in Papierform – um einen Zustellungsmangel handelt. Ein solcher Zustellungsmangel könnte den Heilungsregeln des VwZG zugänglich sein. Insoweit findet sich (jedenfalls im Bundesrecht) bspw. § 8 VwZG: Lässt sich die formgerechte Zustellung eines Dokuments nicht nachweisen oder ist es unter
Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen, gilt es als in dem Zeitpunkt zugestellt, in dem es dem Empfangsberechtigten tatsächlich zugegangen ist, im Fall des § 5 Abs. 5 VwZG in dem Zeitpunkt, in dem der Empfänger das Empfangsbekenntnis zurückgesendet hat. Auch das BImSchG selbst kennt in § 10 Abs. 8 BImSchG eine Art Heilungsvorschrift für Zustellungen: Die Zustellung des Genehmigungsbescheids an die Personen, die Einwendungen erhoben haben, kann durch öffentliche
Bekanntmachung ersetzt werden. (…) Mit dem Ende der Auslegungsfrist gilt der Bescheid auch gegenüber Dritten, die keine Einwendung erhoben haben, als zugestellt; darauf ist in der Bekanntmachung hinzuweisen. Nach der öffentlichen Bekanntmachung können der Bescheid und seine Begründung bis zum Ablauf der Widerspruchsfrist von den Personen, die Einwendungen
erhoben haben, schriftlich oder elektronisch angefordert werden.
Insbesondere wegen der Drittbetroffenheit im Immissionsschutzrecht muss ohnehin zusätzlich eine öffentliche Bekanntmachung der Bescheide vorgenommen werden, damit rechtssicher Bestandskraft eintreten
kann. Damit gehen weitere Rechtsfrage einher, wie zB ob sämtliche Antragsunterlagen (geschwärzt), ausgelegt werden müssen.
Ist die Heilung sicher?
Fraglich ist indes, ob bereits aufgrund der vorsätzlichen Missachtung der Zustellungsvorschriften die Heilungsvorschriften „sicher“ Anwendung finden. Die zustellungsrechtlichen Heilungsvorschriften dienen dem Schutz des Empfängers – hier der Bürgerinnen und Bürger. Grundsätzlich gilt: Hat der Empfänger Kenntnis vom Gegenstand der Zustellung – hier dem Genehmigungsbescheid – ist er nicht schutzwürdig.
Angreifbar ist die Heilung bereits deshalb, weil der Bürger aufgrund von § 10a Abs. 5 BImSchG nicht mit einer papiergebundenen Zustellung rechnen muss. Ferner ist anerkannt, dass eine Heilung nicht eintritt, wenn der Bürger die Zustellung selbst wegen des Formverstoßes angreift –
jedenfalls kann hierdurch eine Verfahrensverzögerung herbeigeführt werden, was mit Blick auf die betroffenen Projekte (bspw. große Windkraftanlagen) bereits für sich genommen ein großes Problem
sein dürfte. Schließlich ließe sich auch der allgemeine Rechtsgrundsatz der unzulässigen Rechtsausübung einwenden, wenn die Behörde sich auf die fehlende Schutzwürdigkeit eines Empfängers (zumeist zu seinem Nachteil) beruft, nach sie sich selbst vorsätzlich – und ohne Not – rechtswidrig verhalten hat.
Fazit
Gerade in Anbetracht der Drittwirkung immissionsschutzrechtlicher Bescheide für die Genehmigung großer Windkraftprojekte mit Haftungssummen, die wohl nicht selten im hohen Millionenbereich
liegen dürfte, wäre jegliches Experiment fahrlässig. Den Genehmigungsbehörden dürfte dringlich zu raten sein, qualifizierte elektronische Signaturen bzw. Siegel, Signaturkartenterminals und
Signatursoftware zu beschaffen, um für den rechtmäßigen Zustand zu sorgen. Der Aufwand hierfür ist sowohl wirtschaftlich als auch organisatorisch überschaubar.
Zu den verfahrensrechtlichen Hintergründen siehe bereits hier: https://ervjustiz.de/elektronischer-rechtsverkehr-mit-behoerden