VGH Mannheim: MJP ist kein Dokumentenspeicher

„Mein Justizpostfach“ – kurz MJP – ist ein sicherer Übermittlungsweg, der auch Bürgerinnen und Bürgern ermöglicht, ohne qualifizierte elektronische Signatur bei Gerichten und Behörden schriftformbedürftige Anträge zu stellen, Rechtsbehelfe einzulegen oder Klagen zu erheben. Hierfür werden die bundID und die Identitätsfunktion des Personalausweises genutzt, um die Identität des Einreichers zu sichern. Das MJP ist indes nur ein Kommunikationskanal. Für die Datenhaltung im Verfahren ist es weder konzipiert, noch nutzbar. Hierüber musste auch der VGH Baden-Württemberg (v. 11.11.2025 – 14 S 1906/25) entscheiden und feststellen, dass die automatische Löschung von Nachrichten nach 90 Tagen rechtmäßig ist.

Hintergrund der Entscheidung

Die Anwendung „Mein Justizpostfach“ (MJP) ist Bestandteil eines Nutzerkontos in der Gestalt eines Bürgerkontos im Sinne von § 2 Abs. 5 OZG. Ein solches Nutzerkonto dient gemäß § 2 Abs. 5 Satz 1 OZG zur einmaligen oder dauerhaften Identifizierung und Authentifizierung der Nutzer zu Zwecken der Inanspruchnahme von Verwaltungsleistungen der öffentlichen Verwaltung sowie zur vorgangsbezogenen sicheren Kommunikation über ein Postfach im Sinne von § 2 Abs. 7 OZG. Bei diesem Postfach, das Bestandteil des Nutzerkontos ist (§ 2 Abs. 7 Satz 2 OZG), handelt es sich um eine IT-Komponente, über die Nutzer medienbruchfrei, barrierefrei und sicher mit den an den Portalverbund angeschlossenen öffentlichen Stellen vorgangsbezogen kommunizieren sowie elektronische Dokumente und Informationen senden und empfangen können soll (vgl. § 2 Abs. 7 Satz 2 OZG). Die Anwendung „Mein Justizpostfach“ bietet damit insbesondere einen sicheren Übermittlungsweg im Sinne von § 130a Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 ZPO, § 65a Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 SGG, § 55a Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 VwGO und entsprechenden Vorschriften anderer Prozessordnungen.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Die genannten Rechtsgrundlagen verpflichten weder den Bund noch die Länder dazu, ein Nutzerkonto und insbesondere das hier fragliche Bürgerkonto so auszugestalten, dass elektronische Dokumente, die über dieses Konto und das zugehörige Postfach übermittelt werden, dort dauerhaft gespeichert bleiben müssen. Ein Nutzerkonto dient, wie gezeigt, in erster Linie im Wesentlichen zwei miteinander verbundenen Zwecken, zum einen der Identifizierung und Authentifizierung der Nutzer und zum anderen der „vorgangsbezogenen sicheren Kommunikation“ zwischen ihnen und öffentlichen Stellen (vgl. § 2 Abs. 5 Satz 1, Abs. 7 Satz 1 OZG; s. auch aus der Gesetzesbegründung BT-Drs. 20/8093, S. 36: „Identifizierungs- und Kommunikationsmittel“). Das setzt voraus, dass Dokumente über die Anwendung versendet und empfangen werden können (§ 2 Abs. 7 Satz 1 OZG), nicht aber, dass sie in diesem Postfach dauerhaft gespeichert bleiben.

Eine Pflicht, die dauerhafte Speicherung der Dokumente in dem Postfach zu ermöglichen, hat der Gesetzgeber nach der zutreffenden Auffassung des VGH dementsprechend nicht normiert.

Eine solche Pflicht ist in den gesetzlichen Rechtsgrundlagen nicht ausdrücklich vorgeschrieben. Sie ist auch nicht etwa nach deren Sinn und Zweck erforderlich. Denn die bezweckte elektronische Kommunikation zwischen Nutzern und öffentlichen Stellen kann auch dann effektiv sowie im Sinne von § 2 Abs. 7 Satz 1 OZG medienbruchfrei, barrierefrei und sicher gestaltet werden, wenn die Dokumente nicht dauerhaft (gerade) in dem Postfach gespeichert bleiben.

Eine Pflicht des Antragsgegners, in „Mein Justizpostfach“ eine dauerhafte Speicherung von Dokumenten zu ermöglichen, ergibt sich insbesondere nicht aus § 8 Abs. 7 Satz 1 OZG, wonach auf Veranlassung des Nutzers eine dauerhafte Speicherung von Daten nach § 8 Abs. 1, 2, 5 und 6 OZG, darunter insbesondere personenbezogene Daten zur Identitätsfeststellung, aber auch elektronische Dokumente zu Verwaltungsvorgängen „zulässig“ ist. § 8 OZG ist eine datenschutzrechtliche Vorschrift und soll lediglich für den Fall, dass Nutzer ihr Bürgerkontos nicht lediglich vorübergehend, sondern dauerhaft nutzen möchten (sog. permanentes Nutzerkonto), gewährleisten, dass eine dauerhafte Speicherung insbesondere von personenbezogenen Daten (im Gesetzgebungsverfahren sog. Identitätsdaten) oder Dokumenten – was beispielsweise in bestimmten Verwaltungsverfahren bei wiederholten Antragstellungen in Dauerverhältnissen verfahrensrechtlich sinnvoll sein kann – auch datenschutzrechtlich zulässig ist, solange die Nutzer ihr Konto nicht – was jederzeit möglich ist (vgl. § 8 Abs. 7 Satz 2 OZG) – löschen (vgl. BT-Drs. 18/11135, S. 95). Mit § 8 Abs. 7 Satz 1 OZG sollte insbesondere geregelt werden, dass eine längerfristige Speicherung keine ausdrückliche Einwilligung voraussetzt, sondern dafür bereits die „Veranlassung“ des Nutzers genügt (vgl. BT-Drs. 20/8093, S. 43 f.). Der Regelungsgehalt des § 8 Abs. 7 Satz 1 OZG beschränkt sich damit auf die Normierung eines datenschutzrechtlichen Erlaubnistatbestands. Er verpflichtet dagegen weder den Bund noch die Länder dazu, die zugehörigen Postfächer so auszugestalten, dass sämtliche Nutzer alle in ein Nutzerkonto jemals eingestellte Dokumente unterschiedslos für sämtliche behördliche und gerichtliche Verfahren dauerhaft und gerade in dem Postfach speichern können müssen. Der Gesetzgeber wollte mit den Vorschriften über die Einrichtung von Bürgerkonten im Sinne von § 2 Abs. 5 und 7 OZG und sichere Übermittlungswege zwischen Nutzern und Gerichten, wie gezeigt, eine sichere Kommunikation mit elektronischen Dokumenten ermöglichen.
Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass er darüber hinaus bezweckt haben könnte, sämtlichen Nutzern über das kostenlose „Mein Justizpostfach“ eine staatlich finanzierte dauerhafte Speichermöglichkeit in der Art einer externen Festplatte zur Verfügung zu stellen.

Mehr zu MJP: Mein Justizpostfach – Gastbeitrag von RiLG Christoph Deubner

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts