Es ist ein oft zitierter Spruch, dass der elektronische Rechtsverkehr mit der Justiz nur die Postkutsche digitalisiert hat. Dass aktuelle Rechtsverordnungen und viele eAkte-Systeme der Justiz aber die Versendung und Verwendung von sog. Repräsentaten vorsehen, heißt, dass auch das Durchschlagpapier digitalisiert werden soll. Das ist eine unnötige Sackgasse. Vorteilhafter ist es, wenn grundsätzlich mit elektronischen Originalen gearbeitet wird.
Original, Kopie und Abschrift
Ein „Original“ sind bei elektronischer Aktenführung stets elektronische Dokumente in ihrem ursprünglichen und unveränderten Dateiformat. Der Begriff des „Originals“ ist dabei freilich anachronistisch, weil eine elektronische Datei in ihrem originalen Zustand grundsätzlich beliebig vervielfältigbar ist und deshalb die Grenzen der Begriffe „Original“ und „Kopie“ verschwimmen. Es fehlt nach der Digitalisierung das Merkmal der Einmaligkeit des Papieroriginals.
Jede Wandlung des Dateiformats oder Veränderung ihres Codes führen allerdings dazu, dass aus einer dem Augenschein zugänglichen elektronischen Datei im „Original“ ein Augenscheinsurrogat bzw. eine „Abschrift“ wird. „Originale“ sind bei elektronischer Aktenführung stets elektronische Dokumente in ihrem ursprünglichen und unveränderten Dateiformat (Grundsatz der Formattreue). Es kommt letztlich auf die „Bitgleichheit“ an. Augenscheinsurrogate sind freilich ebenfalls als Beweismittel denkbar. Liegt das Augenscheinsurrogat elektronisch vor, ist deshalb auch § 371 Abs. 1 Satz 2 ZPO einschlägig. Manifestiert sich die Datei bspw. in einem Ausdruck, handelt es sich um ein Augenscheinobjekt i.S.d. § 371 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Der Beweiswert des Augenscheinsurrogats ist allerdings gem. § 286 ZPO unter Berücksichtigung der vorgenommenen Veränderungen zu würdigen. Die freie richterliche Beweiswürdigung bedeutet, die umfassende Würdigung der vorgetragenen Tatsachen, der vorgelegten und erhobenen Beweise und des gesamten Prozessstoffes. Dies beinhaltet insbesondere Hinweise auf mögliche Manipulationen an der elektronischen Datei. Die Echtheit und Unverfälschtheit der Datei sind Hilfstatsachen. Die Beweislast hierfür trägt der Beweisführer. Die Feststellung wird regelmäßig nur durch Sachverständigenbeweis oder durch Indizien möglich sein. Möglicherweise kann sich hier auch das Beweisthema verändern und sich eher auf den (ursprünglichen) Datenträger selbst beziehen, dessen Vorlage evtl. den Nachweis einer späteren Manipulation ermöglicht.
Das „Repräsentat“ einer elektronischen Akte
Durch die Rechtsverordnungen des Bundes und der Länder gem. § 298a Abs. 1 S. 2-4 ZPO u.a. – in Hessen gem. § 9 JustITV – oder die Behördenaktenübermittlungsverordnung (BehAktÜbV) wird der Begriff des „Repräsentats“ eingeführt. Es handelt sich hierbei um das verkehrsfähige Abbild der elektronischen Akte und wird folgerichtig einheitlich in einem verkehrsfähigen Dateiformat – PDF/A – geführt. Nach der oben dargestellten Definition ist das „Repräsentat“ also letztlich eine Abschrift des Originals bzw. beweisrechtlich ein Augenscheinssurogat.
Konkret betrachtet, wird man, etwas weitergehender als dies in der jeweiligen Verordnungsbegründung angelegt ist, letztlich davon auszugehen haben, dass eine elektronische Akte jeweils in drei Aggregatzuständen existiert, nämlich
- im originalen Dateiformat, in dem das elektronische Dokument das Gericht erstmals erreicht ein („Rohdaten“), einschließlich weiterer Daten zu diesem Dokument,
- als verkehrsfähiges Repräsentat zum Zwecke der Akteneinsicht und der Aktenübermittlung (bspw. an eine Rechtsmittelinstanz) und
- als weiteres „Arbeits-Repräsentat“ mit Anmerkungen, elektronischen Markierungen und Strukturierungen des gerichtlichen Bearbeiters (wobei auch denkbar ist, die Werkzeuge technisch anders abzubilden, als in einem vollständigen Aktendoppel), welches einer Akteneinsicht entzogen sein muss.
Entsprechend groß werden für die Praxis die Anforderungen an die Speicherkapazitäten und zu transportierende Datenmengen (schlimmstenfalls verdreifacht sich die Speichermenge) und die Verfügbarkeit des Speichermediums. Dies hat nicht nur Auswirkungen auf die Performanz der genutzten elektronischen Akte, sondern auch erheblich auf die durch die eAkten-Einführung verursachten Kosten.
Die Einführung des Repräsentats macht es im Übrigen juristisch erforderlich den Inhalt des Akteneinsichtsrechts zu hinterfragen. Zur Verwirklichung größtmöglichen Rechtsschutzes und unter Gleichheitsgesichtspunkten, ist es schwer vorstellbar, dass es im Hinblick auf den Grundsatz des fairen Verfahrens, den Beteiligten grundsätzlich verwehrt werden könnte, auch Einsicht in die „Rohdaten“, also das Original, zu nehmen, zumal nur dieses bspw. qualifizierte elektronische Signaturen oder Siegeln von bei Gerichten eingereichten elektronischen Dokumenten verlässlich enthalten dürfte. Auch ein Verfahrensbeteiligter, der Zweifel an der Aktenvollständigkeit hat, wird sich zweckmäßigerweise nicht mit dem Repräsentat, also einem wahrscheinlich veränderten Inhalt, zufriedengeben. Dies gilt insbesondere, wenn ein Streit darüber besteht, ob zugelassene Dateiformate verwendet wurden oder, ob eine qualifizierte elektronische Signatur gültig war. Es mag daher der Sinn des Repräsentats sein, die elektronische Akte (leicht) verkehrsfähig zu machen. Die Übermittlungs- oder Einsichtsfähigkeit der „Rohdaten“ (Original) muss dennoch gewahrt werden.
Insgesamt ist zu berücksichtigen, dass der (neue) Rechtsbegriff des Repräsentats für das Aktenverständnis eine grundlegende Bedeutung hat. Dieser neue Grundbegriff ist allerdings bislang sehr techniklastig, fokussiert auf das Dateiformat PDF/A, dargestellt. Will man daher auf das Repräsentat in der Praxis nicht verzichten, wäre es wohl zweckmäßiger, den Begriff zukünftig technikoffen und lediglich abstrakt-generell zu definieren. Letztlich wäre es sachgerecht und systematisch korrekt, das Repräsentat als „bildlich und inhaltlich übereinstimmendes, in einem verkehrsfähigen Dateiformat gespeichertes, Abbild des Akteninhalts“ zu beschreiben.
Fazit: Sinnfreie Kopieverluste
In der Praxis wäre leicht auf die Verwendung von Repräsentaten zu verzichten. Deutlich rechtsschutzintensiver – und bei Anlagen von Schriftsätzen auch beweissicherer – wäre es, grundsätzlich mit dem Original auch im elektronischen Rechtsverkehr zu arbeiten, so wie es bspw. das Fachverfahren der Fachgerichte, EUREKA-Fach, schon seit zwei Jahrzehnten problemlos praktiziert.
Jeder Eingriff in den Code eines elektronischen Dokuments, jede Umwandlung des Dateiformats, birgt das Risiko in sich, dass die Datei auch sinnentstellend verändert wird. Bereits deshalb sollten Gerichte von Verfahrensbeteiligten oder Dritten eingereichte Dokumente nicht verändern oder selbst in PDF umwandeln. Es besteht die Gefahr, dass ein versehentlicher Informationsverlust im Verfahren nicht auffällt und sich hierdurch die Möglichkeit rechtlichen Gehörs verschlechtert.
Im Übrigen kommen gerade von außen eingereichte Dateien und Dokumente auch als Beweismittel in Betracht. Im Beweisrecht gilt aber der sog. „Grundsatz der Formattreue“. Das Augenscheinsobjekt „elektronisches Dokument“ verliert – dann nur noch als Augenscheinsurrogat – teilweise seinen Beweiswert.
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Siehe ausführlich: Müller, HVBl. 2025, 145 ff.