Am 6.5.2025 ist die Behördenaktenübermittlungsverordnung (— BehAktÜbV) in Kraft getreten (BGBl. 2025 I Nr. 125 vom 05.05.2025). Während der Name der Verordnung im Scrabble ein Jackpot sein dürfte, sind die in ihr enthaltenen Regelungen leider weit von einem großen Wurf entfernt und werfen einige Fragen auf. Die wesentlichen Kritikpunkte werden im folgenden Beitrag dargestellt.
- § 2 Abs. 1 BehAktÜbV
2 Abs. 1 BehAktÜbV sieht nur vor, dass elektronische Akten elektronisch übermittelt werden „sollen“. Er ab 1. Januar 2028 ist in der Verordnung eine Verpflichtung hierzu vorgesehen.
Diese Regelung bleibt hinter der (natürlich vorgehenden) Regelungen in der VwGO, der FGO und dem SGG zurück. Letztlich läuft sie deshalb leer und ist deshalb mindestens irreführend. Gem. § 99 VwGO und § 89 FGO sind die Behörden „zur Vorlage von […] Akten“ verpflichtet, gem. § 104 S. 6 2. Hs. SGG „kann“ das Gericht die Übersendung der Orginalverwaltungsakten „wünschen“. Das „Original“ der Verwaltungsakte ist aber die Akte in der Form des Mediums, in dem sie geführt wird – elektronische Verwaltungsakten deshalb nur in elektronischer Form. Das Gesetz lässt also den in § 2 Abs. 1 BehAktÜbV vorausgesetzten Spielraum gar nicht zu.
- § 2 Abs. 4 BehAktÜbV
Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass die Übersendung elektronischer Behördenakten im xJustiz-Format angestrebt wird.
Zu beachten ist allerdings, dass die von der Verordnung angestrebten Ziele nur durch die Übersendung von Behördenakten im xJustiz-Standard bestehend aus Einzeldokumenten erreicht werden. Allerdings schreibt die Verordnung die Übersendung von Einzeldokumenten nicht ausdrücklich vor. Behörden könnten daher – wie derzeit auch durchaus verbreitet – eine Gesamt-PDF der eAkte gemeinsam mit einem xJustiz-Datensatz übersenden. Bei einer solchen Übersendung bleibt aber die Einhaltung des xJustiz-Standards ohne spezifischen Mehrwert.
Der xJustiz-Standard bei Versendung von Einzeldokumenten ist unter Beweisgesichtspunkten einschließlich des sog. Grundsatzes der Formattreue optimal, weil so die Behörde die Verwaltungsakte als elektronisches „Original“ elektronisch übermittelt (vgl. § 2 Abs. 1 BehAktÜbV). Er ist auch im Hinblick auf das rechtliche Gehör der Verfahrensbeteiligten und die Amtsermittlungspflicht des Gerichts der immer noch verbreiteten Übersendung von zusammengestellten PDF-Dokumenten (sog. Repräsentat) deutlich überlegen und daher unbedingt politisch anzustreben.
Hierfür genügt bereits die Formulierung von § 2 Abs. 1 und 4 als „Soll-Vorschrift“ nicht.
Hinsichtlich des in § 2 Abs. 1 geregelten „Ob“ der elektronischen Übersendung gilt dies wie oben dargestellt schon deshalb, weil nach § 99 VwGO und § 89 FGO die Behörden „zur Vorlage von […] Akten“ verpflichtet sind. Diese Vorlagepflicht bezieht sich nach allgemeiner Meinung auf das jeweilige Format der Aktenführung; elektronische Akten sind deshalb elektronisch vorzulegen, Papierakten in Papierform (vgl. bspw. Gädeke in: jurisPK-ERV, § 99 VwGO Rn. 20 f.).
Ein „Original“ sind bei elektronischer Aktenführung stets elektronische Dokumente in ihrem ursprünglichen und unveränderten Dateiformat. Insofern erscheint auch zweifelhaft, ob die im Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Digitalisierung der Justiz (BR-Drs. 126/24) vorgesehene Ermächtigung des Verordnungsgebers, „die Übermittlung elektronischer Akten zwischen Behörden und Gerichten geltenden Standards [zu] bestimmen“ (u.a. in § 65b Abs. 7 SGG) den Verordnungsgeber dazu befugt, die Behörde teilweise von der vorbeschriebenen Verpflichtung zur Formattreue zu entbinden.
Die Regelung des § 2 Abs. 1 BehAktÜbV bleibt im Ergebnis also hinsichtlich des „Ob“ der elektronischen Übersendung, aber auch bezüglich des Dateiformats, noch hinter der bereits im Gesetz enthaltenen Anforderung zurück und begründet hierzu einen Widerspruch, der auch die Ermächtigungskonformität infrage stellt.
Hinsichtlich der in § 2 Abs. 4 BehAktÜbV geregelten Beifügung einer XML-Datei im xJustiz-Format ist nach den Erfahrungen mit der Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs eine bloße „Soll-Vorgabe“ nicht geeignet, einen Standard einzuführen. Dies gilt für das xJustiz-Format als Datenaustauschformat umso mehr, weil die (elektronischen) Behördenakten in behördlichen Fachverfahren geführt werden, die von vielen Behörden bereits beschafft, jedenfalls aber ausgeschrieben sind, ferner es zahlreiche Softwarehersteller gibt, die im Behördenumfeld eAkten-Lösungen anbieten. Die wenigsten bestehenden Software-Lösungen bieten jedoch heute bereits einen Export im xJustiz-Format an. Entsprechend aufwendig dürfte die technische Umsetzung sein, weil sie von vertraglichen und beschaffungsrechtlichen Vorgaben abhängig ist. Mindestens wird die Umsetzung für die einzelne Behörde aber mit nicht unerheblichen Kosten verbunden sein. Die Bereitschaft der Behörden, eine entsprechende Änderung vorzunehmen bzw. diese zeitlich zu priorisieren, dürfte deshalb bei einer „Soll-Regelung“ bereits aus fiskalischen Gründen gering sein. Es ist deshalb sehr bedauerlich, dass die Regelung nicht als „Muss-Vorschrift“ ausgestaltet wurde.
- § 2 Abs. 3 BehAktÜbV
Elektronische Zertifikate (nicht nur die hier geregelten Signaturen, sondern auch elektronische Siegel) dienen nicht nur der Wahrung verfahrensrechtlicher Formvorschriften, sondern haben erhebliche Bedeutung für das Beweisrecht. Sie werden in den §§ 371a, 371b ZPO eingesetzt, um elektronische Dateien Urkunden gleichzustellen und dienen im Augenscheinsbeweis gem. § 371 ZPO zur Erhöhung bzw. Erhaltung des Beweiswerts des elektronischen Dokuments. Die nun eingeführte Regelung hat zur Folge, dass dem Prozessgegner und dem Gericht bereits die Existenz dieser elektronischen Beweismittel zunächst nicht bekannt ist. Das Gericht dürfte deshalb grundsätzlich gehalten sein, von der Möglichkeit des § 2 Abs. 3 S. 3 BehAktÜbV Gebrauch zu machen und die Akte mit elektronischen Zertifikaten anzufordern.
Jedenfalls irritierend ist, dass die BehAktÜbV nur auf Signaturdateien, nicht allgemein auf elektronische Zertifikate Bezug nimmt, obschon elektronische Siegel im Behördenumfeld sich einer zunehmenden Verbreitung erfreuen und deren Bedeutung auch in jüngsten Änderungen der §§ 371a Abs. 3, 371b ZPO betont wurden.
Gerade den oben darstellten Zustand zu vermeiden, war die Intention hinter der Etablierung des xJustiz-Standards als Datenaustauschformat, weil unter Anwendung dieses Standards die Übersendung von unveränderten Einzeldokumenten – explizit einschließlich elektronischer Signaturen und Siegel – möglich wurde. Dieses auch von dem Diskussionsentwurf in § 2 Abs. 4 vorgesehene Bestreben würde durch § 2 Abs. 3 letztlich konterkariert.
Die in der Verordnung vorgesehene (auch nur Möglichkeit der) Übermittlung von Protokollen über die Prüfung von elektronischen Zertifikaten, schafft an dieser Stelle keine Abhilfe, weil die Protokolle selbst nicht vor Veränderung geschützt sind und deshalb keinen Beweiswert haben. Im Übrigen steht die Übermittlung von Protokollen nach der Verordnung im Beurteilungsspielraum der Behörde.
Ohnehin ist die Übermittlung auch von Prüfprotokollen (bzw. richtiger Prüfvermerken bzw. Transfervermerken) unabdingbar, weil nur sie Informationen darüber enthalten, auf welchen Übermittlungswegen die jeweiligen Dokumente die Behörde im elektronischen Verwaltungsfahren erreicht haben. Nur durch die Übersendung elektronischer Zertifikate und durch diese Protokolle wird das Gericht deshalb in die Lage versetzt, die Einhaltung der Formvorschriften der §§ 3a VwVfG, 36 SGB I prüfen zu können.
Die mit der Übermittlung von elektronischen Zertifikaten und Prüfprotokollen verbundenen technischen Anforderung (Rechenleistung der Hardware, Speicherkapazitäten und Möglichkeiten der eingesetzten eAkten-Software zum Ausblenden technischer Dokumente) können durch den Einsatz entsprechend ertüchtigter Systeme erfüllt werden. Nicht verständlich ist deshalb, dass der Verordnungsgeber mit der nun verabschiedeten Regelung die Behörden auf rechtlich derart unsicheres Terrain führt. Richtigerweise wäre die Justiz entsprechend zu ertüchtigen, in dem sie sachgerecht mit Hard- und Software ausgestattet wird.
Dass § 3 Abs. 2 S. 2 BehAktÜbV die Übersendung der Dateien auf Anforderung des Gerichts auch im Original vorsieht, hilft insoweit alleine nicht. Denn in Ermangelung übermittelter elektronischer Zertifikate und Prüfprotokolle hätten Gericht und Verfahrensgegner keinen Anhaltspunkt dafür, bei welchen Dokumente diese Anforderung angezeigt sein könnte. Aufgrund des Fehlens wird es zumeist bereits an der tatsächlichen Grundlage für entsprechende Zweifel und damit für die Anforderung des Originals fehlen. Hierdurch wird das Recht auf ein faires Verfahren beeinträchtigt (vgl. bereits Müller, NJW 2015, 822).
- § 3 Abs. 1 und 2 BehAktÜbV
3 Abs. 1 BehAktÜbV entspricht wie § 2 Abs. 3 BehAktÜbV nicht dem beweisrechtlichen Grundsatz der Formattreue. Dieser sollte nicht zugunsten einer (geringen) Verwaltungsvereinfachung aufgegeben werden. Jede Formatwandlung verringert den Beweiswert des vorgelegten elektronischen Dokuments als Augenscheinsobjekt i.S.d. § 371 ZPO, erst Recht bei Verwendung elektronischer Zertifikate und im Anwendungsbereich der §§ 371a, 371b ZPO (vgl. Müller in jurisPK-ERV, § 371 ZPO Rn. 60; Trossen, jM 2024, 78; Achatz, BayVBl 2024, 37, 42).
Um diese Folgen aufzufangen ist § 3 Abs. 2 S. 2 BehAktÜbV mit seiner Möglichkeit, dass das Gericht die Akte „im ursprünglichen Format“ anfordern kann, unzureichend. Das Gericht kann regelmäßig bereits nicht wissen und prüfen, ob durch das Repräsentat inhaltstragende Informationen unterdrückt werden. Die Prüfung, ob dies „zu befürchten ist“, zunächst in die Hände der übersendenden Behörde zu legen, erscheint auch mit Blick auf den Anspruch des Prozessgegners auf ein faires Verfahren problematisch und allein durch Gründe der technischen Vereinfachung nicht gerechtfertigt. Schließlich kann § 3 Abs. 2 S. 2 BehAktÜbV im Einzelfall zu Verfahrensverzögerungen und unnötiger (doppelter) Speicherplatzbelegung führen, wenn zunächst das Repräsentat und (erst) auf Anforderung das Original vorgelegt werden.
- § 4 Abs. 3 S. 1 BehAktÜbV
Im Einzelfall ist mit Zustimmung des Gerichts auch die Bereitstellung des Inhalts der Akte zum Abruf zulässig, § 4 Abs. 3 S. 1 BehAktÜbV. Diese Norm geht an der gerichtlichen Realität weitgehend vorbei, nicht nur, aber auch aus Gründen der IT-Sicherheit, die sich auf dem Posteingang in das EGVP der Gericht fokussiert.
Die Entscheidung hierüber im Übrigen dem Spruchkörper zu überlassen, der ggf. die Folgen für die Gerichtsverwaltung und auch den Verfahrensgegner nicht überschauen kann, ist ein weiteres Problem dieser Vorschrift. Für die Gerichtsorganisation würde es jedenfalls schwierig, wenn sich im selben Gericht verschiedene Praktiken herausbilden.
Gesetzgebungshistorie
Nach dem Diskussionsentwurf einer Behördenaktenübermittlungsverordnung hat der BMJ nun auch einen Referentenentwurf zu der geplanten Verordnung vorgelegt. Leider sind darin nur wenige der bisher geäußerten Kritikpunkte berücksichtigt worden. Siehe hierzu auch bereits →ervjustiz.de