Dass das elektronische Empfangsbekenntnis (eEB) im elektronischen Rechtsverkehr letztlich eine „Krücke“ ist, hat sich bereits in anderen Entscheidungen gezeigt. Nun hatte sich das Kammergericht Berlin (v. 24.1.2025 – 7 U 17/24) mit der Wirksamkeit der Zustellung eines Urteils beschäftigen müssen, nachdem der Empfänger kein eEB zurückgesandt hatte. Im Ergebnis geht das Gericht davon aus, dass ein vorliegender Zustellungsmangel gem. § 189 ZPO geheilt ist.
Sachverhalt
Das angefochtene Urteil vom 16. Januar 2024 war vom Landgericht als Ausgangsgericht an den Prozessbevollmächtigten des Rechtsmittelführers mit eEB-Anforderung am 17. Januar 2024, 13:28 Uhr versandt worden. Unmittelbar darauf, um 13:28:17 Uhr, gingen die automatisierten Eingangsbestätigungen von den Systemen der beiden Parteivertreter ein. Nachdem das Empfangsbekenntnis des Klägervertreters vom Landgericht mit Schreiben vom 7. Februar 2024 erfolglos moniert worden war, hat das Landgericht das Urteil dem Klägervertreter erneut gegen Postzustellungsurkunde am 6. März 2024 zugestellt.
Am 15. März 2024 ging die Berufung des Klägervertreters gegen das Urteil beim Kammergericht als elektronisches Dokument ein.
Der Senat des Kammergerichts hat darauf hingewiesen, dass Bedenken hinsichtlich der Wahrung der Berufungsfrist bestehen, und sich ausdrücklich eine Verwerfung der Berufung als unzulässig vorbehalten. Ferner hat der Senat den Klägern in dem genannten Schreiben aufgegeben, zu erklären, wie es dazu kam, dass er trotz zweimaliger Aufforderung durch das Landgericht Berlin kein Empfangsbekenntnis über die Zustellung des ihm am 17. Januar 2024 elektronisch übersandten erstinstanzlichen Urteils zurückgesandt hat. Insbesondere wurde er dazu aufgefordert mitzuteilen, ob er keinen Empfangswillen hatte und, wenn ja, warum nicht. Auf dieses Schreiben hat der Klägervertreter nicht geantwortet.
Mit Beschluss vom 17. September 2024 hat der Senat gemäß § 142 Abs. 1 ZPO angeordnet, dass die Kläger bis zum 2. Oktober 2024 das beA-Nachrichtenjournal des Klägervertreters zu der elektronischen Übersendung des Landgerichtsurteils am 16. Januar 2024 in ausgedruckter Form vorzulegen haben. Da auf die elektronische Zustellung dieses Beschlusses kein elektronisches Empfangsbekenntnis seitens des Klägervertreters zurückgesandt worden ist, hat der Senat mit Beschluss erneut gemäß § 142 Abs. 1 ZPO angeordnet, dass die Kläger binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses das beA-Nachrichtenjournal des Klägervertreters zu der elektronischen Übersendung des Landgerichtsurteils am 16. Januar 2024 in ausgedruckter Form vorzulegen haben. Dieser Beschluss ist dem Klägervertreter sowohl elektronisch – wobei wiederum kein elektronisches Empfangsbekenntnis vom Klägervertreter zurückgesandt worden ist – als auch gegen Postzustellungsurkunde zugestellt worden.
Der Klägervertreter hat darauf zunächst beantragt, die Frist zur Vorlage des Nachrichtenjournals zu verlängern. Der Senat hat daraufhin die Frist verlängert. Es erfolgte dann aber keine weitere Reaktion seitens der Kläger.
Wesentliche Entscheidungsgründe
Das Kammergericht geht davon aus, dass die Rechtsmittelfrist abgelaufen war. Zur Begründung führt der Senat das folgende aus:
„Ob die Zustellung an den Klägervertreter auf § 173 ZPO gestützt werden kann, hängt davon ab, ob die – hier nicht erfolgte – Ausstellung eines elektronischen Empfangsbekenntnisses Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Zustellung nach § 173 ZPO ist.“ Diese umstrittene Frage ließ der Senat aber offen.
„Denn es ist von einer Zustellung des erstinstanzlichen Urteils vor dem 15. Februar 2024 jedenfalls gemäß § 189 ZPO auszugehen. Nach § 189 ZPO gilt ein Schriftstück, dessen formgerechte Zustellung sich nicht nachweisen lässt, in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist. Höchstrichterlich ist geklärt, dass allein der Umstand, dass der Rechtsanwalt – wie hier – eine Rücksendung des ihm zu Zwecken der Beurkundung des Zustellungsempfangs übermittelten Empfangsbekenntnisses unterlässt, eine Heilung des Zustellungsmangels gemäß § 189 ZPO nicht hindert, wenn neben dem tatsächlichen Zugang des zuzustellenden Schriftstücks […] anderweit festgestellt werden kann […].“
Vorliegend sei bereits nicht erkennbar und von dem Klägervertreter nicht erläutert, wieso zwischen dem Empfang, also der Sichtbarkeit der Nachricht in seinem Postfach ab 17. Januar 2024 um 13:28:17 Uhr und der für eine Rechtzeitigkeit der hiesigen Berufung zugrunde zu legenden tatsächlichen Kenntnisnahme frühestens am 15. Februar 2024 mehr als vier Wochen liegen sollten. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass ein Rechtsanwalt gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 BRAO schon im Falle einer Verhinderung von mehr als einer Woche für seine Vertretung sorgen müsse, die gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 BRAO auch zur Abgabe elektronischer Empfangsbekenntnisse befugt sein müsse und also – gleich einem Zustellungsbevollmächtigten – für eine zeitnahe Entgegennahme und Bestätigung von Zustellungen Sorge zu tragen habe (OLG München, Beschluss vom 19. Juni 2024 – 23 U 8369/21 -, Rn. 28).
Insgesamt würdigt der Senat diesen Sachverhalt gemäß §§ 286, 427 ZPO dahingehend, dass der Klägervertreter das Urteil weit vor dem 15. Februar 2024 mittels seines beA tatsächlich zur Kenntnis genommen hat. Anders vermag sich der Senat das beharrliche Unterlassen des Klägervertreters, die angeforderte Unterlage zu übersenden, nicht zu erklären.
Im Übrigen führt der Senat wie folgt aus:
„Wie bei einer Zustellung nach § 173 ZPO muss neben den tatsächlichen Zugang noch die zumindest konkludente Äußerung des Willens hinzukommen, das zur Empfangnahme angebotene Schriftstück dem Angebot entsprechend als zugestellt entgegen zu nehmen. Die erforderliche Empfangsbereitschaft kann nicht allein durch den bloßen Nachweis des tatsächlichen Zugangs im Sinne von § 189 ZPO ersetzt werden (BGH, Beschluss vom 13. Januar 2015 – VIII ZB 55/14 -, juris Rn. 12 m.w.N.). Auf der anderen Seite lässt die fehlende Zurücksendung des Empfangsbekenntnisses für sich genommen keinen entscheidend gegen eine fehlende Empfangsbereitschaft sprechenden Willen des Adressaten erkennen. Denn von einer Weigerung, das zuzustellende Schriftstück in Empfang zu nehmen, kann auch bei fehlender Rücksendung eines unterschriebenen Empfangsbekenntnisses nicht ausgegangen werden, wenn die Gesamtumstände gleichwohl in die gegenteilige Richtung weisen und hinreichend zuverlässig auf die Empfangsbereitschaft des Adressaten schließen lassen (BVerwG, Beschluss vom 17. Mai 2006 – 2 B 10/06 -, juris Rn. 5). Ein hierbei vom Adressaten abweichend oder gegenteilig gebildeter Wille, das ihm übersandte Schriftstück (noch) nicht als zugestellt betrachten zu wollen, ist unbeachtlich, wenn er nach außen keinen Ausdruck gefunden hat (BGH, Beschluss vom 13. Januar 2015 – VIII ZB 55/14 -, juris Rn. 12; in diese Richtung auch Müller, Heilung von Mängeln der Zustellung gegen Empfangsbekenntnis, RDi 2024, 139 <144>: „Jedes Indiz, das einen Schluss auf den Empfangswillen zulässt, dürfte bei technisch fehlerfreier Zustellung dagegen ausreichen. Die Hürden hierfür sind nicht sehr hoch zu hängen …“).“
Gemessen hieran sei vorliegend von einer Empfangsbereitschaft des Prozessbevollmächtigten der Kläger in Bezug auf das ihm bereits am 17. Januar 2024 per beA übersandte erstinstanzliche Urteil weit vor dem 15. Februar 2024 auszugehen. Insoweit sei wiederum zu berücksichtigen, dass ein Rechtsanwalt gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 BRAO schon im Falle einer Verhinderung von mehr als einer Woche für seine Vertretung sorgen müsse, die gemäß § 54 Abs. 2 Satz 2 BRAO auch zur Abgabe elektronischer Empfangsbekenntnisse befugt sein müsse und also – gleich einem Zustellungsbevollmächtigten – für eine zeitnahe Entgegennahme und Bestätigung von Zustellungen Sorge zu tragen habe. Es sei also nicht davon auszugehen, dass der Klägervertreter unter bewusstem Verstoß gegen für ihn geltende berufsrechtliche Regelungen für die Dauer von vier Wochen ohne weiteres nicht empfangsbereit für Zustellungen im hiesigen Verfahren gewesen sei. Ferner habe der Klägervertreter in der Folge – wenn auch erst nach erneuter Zustellung gegen Postzustellungsurkunde – im Namen der Kläger Berufung eingelegt. Es sei weder vom Klägervertreter dargetan noch sonst ersichtlich, dass und warum er trotz tatsächlicher Kenntnisnahme des am 17. Januar 2024 per beA übermittelten erstinstanzlichen Urteils vier Wochen lang keinen Empfangswillen gehabt haben soll; auf die ausdrücklichen Nachfragen des Senats habe der Klägervertreter nicht reagiert.
Abschließend merkt der Senat noch an, dass die unterlassene Rücksendung des Empfangsbekenntnisses auch deshalb keinerlei Rückschlüsse auf eine fehlende Empfangsbereitschaft beim hiesigen Klägervertreter zulasse, weil dieser auch den Senatsbeschluss empfangsbereit entgegengenommen hat, obwohl er kein Empfangsbekenntnis zurückgesandt habe; denn sein Fristverlängerungsantrag habe ausdrücklich Bezug auf diesen Beschluss genommen. Soweit der Klägervertreter grundsätzlich bei gegen Empfangsbekenntnis zuzustellenden Dokumenten nie Empfangswillen haben sollte, wäre dies mit seiner Funktion als Rechtsanwalt nicht vereinbar und wegen Rechtsmissbrauchs unbeachtlich.
Kontext der Entscheidung
Die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis wirkt im elektronischen Rechtsverkehr zwar aus der Zeit gefallen; das sog. voluntative Element der Zustellung gem. § 173 ZPO war aber im Zuge der Verhandlungen über das eJustice-Gesetz von den sog. „EB-Privilegierten“ erbittert verteidigt worden. Hieraus folgen aber gerade die vom BGH gezogenen Konsequenzen.
Das elektronische Empfangsbekenntnis (eEB) gem. § 173 ZPO stellt beweisrechtlich ein Augenscheinobjekt gem. § 371 Abs. 1 Satz 2 ZPO dar. Die Beweiswirkung des eEB kann nur dann entkräftet werden, wenn die Möglichkeit, die in ihm enthaltenen Angaben könnten richtig sein, ausgeschlossen ist.
Durch den elektronischen Rechtsverkehr an sich hat sich an dem Erklärungsinhalt des Empfangsbekenntnisses nichts geändert: Wie das herkömmliche papiergebundene Empfangsbekenntnis erbringt auch das von einem Rechtsanwalt elektronisch abgegebene Empfangsbekenntnis gegenüber dem Gericht den vollen Beweis für die Entgegennahme des Dokuments als zugestellt und für den Zeitpunkt dieser Entgegennahme. Dies ergibt sich aus der gesetzlichen Beweisregelung in § 173 Abs. 3 Satz 1 ZPO (BVerwG v. 19.09.2022 – 9 B 2/22).
Der Vortrag, dass „jedenfalls wissentlich“ kein eEB durch den Zustellungsempfänger abgegeben worden sei21, genügt nicht, die Beweiswirkung eines eEB gem. §§ 371a, 416 ZPO zu erschüttern, denn ein eEB kann aus dem beA nicht „automatisiert“ und auch „nicht ohne Anforderung durch das Gericht“ abgegeben werden.
Im Interesse des Rechtsverkehrs an der strikten Verlässlichkeit der mit einem elektronischen Empfangsbekenntnis abgegebenen Erklärung muss sich ein Postfachinhaber eine von Dritten abgegebene Erklärung so zurechnen zu lassen, als habe er sie selbst abgegeben, wenn er Dritten die Abgabe der Erklärung unter Verstoß gegen die Sicherheitsanforderungen des elektronischen Rechtsverkehrs selbst ermöglicht hat. Unerheblich ist es dabei, ob der Postfachinhaber dem Dritten die Verwendung seiner Signaturkarte und seiner PIN im Innenverhältnis nur unter bestimmten Bedingungen gestattet, da es sich hierbei lediglich um Einschränkungen im Innenverhältnis handelt, die nach außen nicht bekannt geworden sind und bereits deswegen keine Wirkung im Rechtsverkehr entfalten können (OLG Bremen v. 20.09.2022 – 3 U 21/22).
Der Ausdruck, der Screenshot oder die mittels eines Stylesheets aus der XML-Datei des eEB erzeugte PDF-Datei eignet sich zum Beweis eines Zustellungsmangels kaum. Der Gegenbeweis, dass der in einem elektronisch zurückgesandten Empfangsbekenntnis ausgewiesene Zustellungsinhalt unrichtig ist, ist – ebenso wie bei einem auf dem Postweg zurückgesandten Empfangsbekenntnis – möglich, setzt aber voraus, dass die Beweiswirkung des Empfangsbekenntnisses zur Überzeugung des Gerichts vollständig entkräftet wird. Hierzu können die Nachrichten-IDs in der XML-Datei des anfordernden Gerichts und des rückgesandten eEBs miteinander verglichen werden. Diese müssen sich aufeinander beziehen.
Der vom Anwalt an das Gericht übersandte strukturierte Datensatz und nicht seine Visualisierung im jeweils verwendeten Fachverfahren stellt das eigentliche Empfangsbekenntnis dar, an das die gesetzlich bestimmte Nachweiswirkung anknüpft (BVerwG v. 19.09.2022 – 9 B 2/22; H. Müller in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 2, 2. Aufl., § 371 ZPO Rn. 25_1 – kostenpflichtig).
Zugang ohne förmliche Zustellung
Etwas anderes gilt bei dem einfachen Zugang des elektronischen Dokuments abseits der förmlichen Zustellung (gegen Empfangsbekenntnis). Dann ist (nur) auf den Eingang des elektronischen Dokuments auf dem Intermediär abzustellen. Dieses Datum wird durch die automatisierte Eingangsbestätigung gem. § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO dokumentiert:
Der Zugang elektronischer Nachrichten richtet sich zunächst nach den allgemeinen Zugangsvoraussetzungen „unter Abwesenden“, geregelt in § 130 Abs. 1 BGB. Entscheidend ist also, dass sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Der BGH hat diesen Zeitpunkt nun für eine geschäftliche E-Mail näher eingekreist (BGH v. 6.10.2022 – VII ZR 895/21).
Das OLG Hamm (v. 22.2.2024 – 22 U 29/23) hat sich auch für das beA dieser Auffassung angeschlossen. Insbesondere kommt es beim beA nicht auf die Benachrichtigungs – E-Mail an, sondern auf den Eingang auf dem Intermediär (und damit auf die automatisierte Eingangsbestätigung gem. § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO).
Fehlt es an den Voraussetzungen einer wirksamen Zustellung nach § 173 ZPO gilt ein Schriftstück nach § 189 ZPO als zugestellt, wenn (1.) das Schriftstück so in den Machtbereich des Adressaten gelangt, dass er es behalten kann und Gelegenheit zur Kenntnisnahme von dessen Inhalt hat; (2.) Zustellungswille gegeben ist, das heißt eine formgerechte Zustellung vom Gericht wenigstens angestrebt worden ist; sowie (3.) zumindest konkludent ein Empfangswille dokumentiert ist. Das Schriftstück gilt dann nach § 189 ZPO an dem Tag als zugestellt, an dem die vorbenannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hiervon sei im Falle der elektronischen Zustellung, sofern keine technischen Probleme bestehen, zuverlässig innerhalb weniger Minuten auszugehen – meint jedenfalls das LG Gießen (v. 1.12.2023 – 9 O 67/22) und schießt damit über das Ziel hinaus. Richtigerweise ist auch hier zu fragen, wann der Zustellungswillen konktret gegeben war.