BGH zum Zeitpunkt des Zugangs elektronischer Nachrichten – Update 17.3.2024

Der Zugang elektronischer Nachrichten richtet sich zunächst nach den allgemeinen Zugangsvoraussetzungen „unter Abwesenden“, geregelt in § 130 Abs. 1 BGB. Entscheidend ist also, dass sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Der BGH hat diesen Zeitpunkt nun für eine geschäftliche E-Mail näher eingekreist (BGH v. 6.10.2022 – VII ZR 895/21).

Update (17.3.2024): Das OLG Hamm (v. 22.2.2024 – 22 U 29/23) hat sich auch für das beA dieser Auffassung angeschlossen. Insbesondere kommt es beim beA nicht auf die Benachrichtigungs – E-Mail an, sondern auf dem Intermediär (und damit auf die automatisierte Eingangsbestätigung gem. § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO).

Ausgangspunkt

Eine Willenserklärung, die einem anderen gegenüber abzugeben ist, wird, wenn sie in dessen Abwesenheit abgegeben wird, gemäß § 130 Abs. 1 BGB in dem Zeitpunkt wirksam, in welchem sie ihm zugeht. Sie wird nicht wirksam, wenn dem anderen vorher oder gleichzeitig ein Widerruf zugeht. Der Zugang einer Willenserklärung unter Abwesenden setzt voraus, dass sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Wann genau dieser Zeitpunkt ist, ist für elektronische Nachrichten im Allgemeinen, für die E-Mail im Speziellen bislang von der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt.

Meinungsstand

Zum Teil wird angenommen, dass eine E-Mail dem Empfänger unmittelbar in dem Zeitpunkt zugeht, in dem sie abrufbereit in seinem elektronischen Postfach eingegangen ist. Eine Ausnahme soll für den Fall gelten, dass die E-Mail zur Unzeit oder außerhalb der üblichen Geschäftszeiten eingeht; in diesem Fall liege der Zugang der Erklärung am Folgetag.

Nach anderer Ansicht geht eine E-Mail dem Empfänger, wenn ein Abruf im geschäftlichen Verkehr erwartet werden kann, an dem Tag zu, an dem sie abrufbereit im Postfach liegt. Maßgeblich ist danach, wann der Absender mit einer Kenntnisnahme der E-Mail nach dem üblichen Geschäftsablauf rechnen kann. Insoweit wird angenommen, dass ein Abruf der E-Mails spätestens bis zum Ende der Geschäftszeit zu erwarten ist.

Wesentliche Gründe der Entscheidung des BGH

Jedenfalls für den Fall, dass die E-Mail im unternehmerischen Geschäftsverkehr innerhalb der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit zur Verfügung gestellt wird, ist sie nach Ansicht des BGH dem Empfänger grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zugegangen. Denn damit sei die E-Mail so in den Machtbereich des Empfängers gelangt, dass er sie unter gewöhnlichen Umständen zur Kenntnis nehmen kann. Dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, sei für den Zugang nicht erforderlich.

Der von einem Empfänger für den Empfang von E-Mail-Nachrichten genutzte Mailserver sei jedenfalls dann, wenn der Empfänger durch Veröffentlichung der E-Mail-Adresse oder sonstige Erklärungen im Geschäftsverkehr zum Ausdruck bringe, Rechtsgeschäfte mittels elektronischer Erklärungen in Form von E-Mails abzuschließen, als sein Machtbereich anzusehen, in dem ihm Willenserklärungen in elektronischer Form zugehen können. Elektronische Willenserklärungen in Form von E-Mails würden als Datei gespeichert von dem Mailserver des Absenders an den Mailserver des Empfängers weitergeleitet. Dieser werde über den Eingang der E-Mail unterrichtet. In diesem Zeitpunkt sei der Empfänger in der Lage, die E-Mail-Nachricht abzurufen und auf seinem Endgerät anzeigen zu lassen.

Verallgemeinerung möglich

Der BGH bezieht sich mit seiner Entscheidung nur auf geschäftliche E-Mails. Die tragenden Gründe der Entscheidung sind aber ohne Weiteres verallgemeinerungsfähig.

Dies gilt insbesondere für den elektronischen Rechtsverkehr im Verwaltungsverfahren gem. § 3a VwVfG / § 36a SGB I. Auch hier ist es aufgrund der erforderlichen Widmung eines elektronischen Zugangskanals so, dass der Empfänger (die Behörde) zum Ausdruck bringt, elektronisch erreichbar zu sein. Er muss entsprechend Nachrichten bereits zum Zeitpunkt des Zugangs in den üblichen Geschäftszeiten gegen sich geltend lassen. Der elektronische Rechtsverkehr mit Behörden findet zudem nicht selten mittels E-Mail – nicht zwingend EGVP-basiert über das beBPo – statt.

Zugangszeitpunkt bei EGVP-basierten Übermittlungswegen

Bei den EGVP-basierten elektronischen Übermittlungswegen, namentlich dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA), dem besonderen elektronischen Notarpostfach (beN), dem besonderen elektronischen Behördenpostfach (beBPo), dem besonderen elektronischen Steuerberaterpostfach (beSt), dem elektronischen Bürger- und Organisationenpostfach (eBO) und dem EGVP selbst, ist der tatsächlich Zugang mit dem vollständigen Upload auf dem Intermediär bewirkt. Zugangszeitpunkt aufgrund der Rechtsprechung des BGH dürfte also der Eingang auf dem Intermediär zu den üblichen Geschäftszeiten sein.

Da der Intermediär nicht nur Glied des Transportsystems der EGVP-Infrastruktur ist, sondern selbst das „Postfach“ darstellt und dort hinterlegte Nachrichten durch den Empfänger nur noch „abgeholt“ werden, ist der Intermediär die Empfangseinrichtung.

Die automatisierte Empfangsbestätigung wird in der EGVP-Infrastruktur stets als Eingangsbestätigung des Intermediärs (sog. Acknowledgement-Datei; beim beA: „x_export.html“) generiert. Diese Eingangsbestätigung weist den exakten Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs aus. Sie wird sowohl maschinenlesbar im Formal XML als auch anzeigbar im Format HTML zur Verfügung gestellt.

Das maßgebliche Datum „Eingang auf dem Server“, das auch dem Eingangsdatum auf dem Transfervermerk/Prüfvermerk des Gerichts entspricht – weist den Eingang auf dem Intermediär aus. 

Richtig – und wichtig im Hinblick auf die anwaltliche Sorgfaltspflicht – ist weiter, die automatisierte Eingangsbestätigung („export.html“) – aufzubewahren. Dies kann auch weiterhin jedenfalls unter einer gewissen Verbesserung des Beweiswerts dadurch geschehen, dass sie exportiert und ihre Integrität zeitnah mit einer elektronischen Signatur gesichert wird oder sie revisionssicher abgelegt wird. Eine zeitnahe integritätssichernde Ablage wird den indiziellen Wert der Datei jedenfalls nochmals erhöhen.

Diese Einschätzung  hat das OLG Hamm (v. 22. 2.2024 – 22 U 29/23) bestätigt:

Gem. § 130 BGB ist eine Willenserklärung dann zugegangen, wenn sie derart in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass er unter normalen Umständen von ihrem Inhalt Kenntnis nehmen kann (vgl. ständige Rspr. z.B. BGH, Urteil vom 26. November 1998 – VIII ZR 22/97, – NJW 1998, 976, 977; beckOGKBGB-Gomille, § 130 Rn. 48 m.w.N.). Eine während der üblichen Geschäftszeiten auf dem Mailserver des Empfängers abrufbereit eingegangene E-Mail geht – zumindest im unternehmerischen Geschäftsverkehr – grundsätzlich in diesem Zeitpunkt zu; dass die E-Mail tatsächlich abgerufen und zur Kenntnis genommen wird, ist für den Zugang somit nicht erforderlich, vgl. BGH, Urteil vom 6. Oktober 2022 – VII ZR 895/21 Rn. 19.

Dies gilt vorliegend auch für die Zusendung des Schreibens per beA (vgl. Schwenker, jurisPR-PrivBauR 1/2023 Anm. 1 zur Entscheidung BGH, Urteil vom 6. Oktober 2022 – VII ZR 895/21). Das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) ist dafür bestimmt, dass darüber auch rechtsverbindliche Erklärungen abgegeben werden können. Innerhalb der Geschäftszeiten durfte von einer Kenntnisnahme ausgegangen werden. Die Klägervertreterin vermochte – bei einem Zugang während der Geschäftszeiten am 05.03.2021 – von dem Schreiben Kenntnis zu nehmen, was für einen Zugang ausreicht. Auch während der Coronapandemie und dem in dieser Zeit verbreiteten Homeoffice durfte der Geschäftsverkehr in Anbetracht der weit verbreiteten Fernzugriffsmöglichkeiten von einem Zugang während der Geschäftszeiten ausgehen. Dass die Klägervertreterin tatsächlich das Schreiben erst am 09.03.2021 zur Kenntnis genommen hat, ist irrelevant.

Nicht entscheidend ist die Benachrichtigungsmail über den Eingang einer beA-Nachricht, sondern der Eingang der beA-Nachricht an sich. Denn dieser Kommunikationsweg war zur Abgabe und zur Entgegennahme von rechtserheblichen Erklärungen eröffnet. Während der Geschäftszeiten konnte der Rechtsverkehr erwarten, dass zumindest zum Ende der Geschäftszeiten das beA-Postfach – auch ohne E-Mail-Nachricht, die lediglich der komfortablen Nutzung des beA dient und nicht zwingend eingestellt sein muss – kontrolliert wird.

Etwas anderes gilt freilich bei förmlichen Zustellungen gegen Empfangsbekenntnis gem. § 173 ZPO. Hier kommt es (nur) auf das Datum an, das in das (elektronische) Empfangsbekenntnis eingetragen wird. Für die Rücksendung des elektronischen Empfangsbekenntnisses in Form eines strukturierten Datensatzes per beA ist es erforderlich, dass aufseiten des die Zustellung empfangenden Rechtsanwalts die Nachricht geöffnet sowie mit einer entsprechenden Eingabe ein Empfangsbekenntnis erstellt, das Datum des Erhalts des Dokuments eingegeben und das so generierte Empfangsbekenntnis versendet wird. Die Abgabe des elektronischen Empfangsbekenntnisses setzt mithin die Willensentscheidung des Empfängers voraus, das elektronische Dokument an dem einzutragenden Zustellungsdatum als zugestellt entgegenzunehmen; darin liegt die erforderliche Mitwirkung des Rechtsanwalts, ohne dessen aktives Zutun ein elektronisches Empfangsbekenntnis nicht ausgelöst wird.
(BGH, Beschluss vom 17. Januar 2024 – VII ZB 22/23).

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts