Im Rahmen eines gerichtlichen Eilverfahrens hatte sich das Sozialgericht Konstanz in einem Beschluss vom 27. Februar 2018 – S 11 AS 409/18 ER damit auseinanderzusetzen, ob der Bürger einen Anspruch darauf hat, dass die ihn betreffende Akte nicht als elektronische Akte geführt wird. Das SG Konstanz gab der Behörde recht. Die Einführung des eAkte verletze den Bürger nicht in seinen Rechten.
Ausweislich der Beschlussbegründung wendet sich der antragstellende Bürger vor allem mit drei Argumenten gegen die Einführung der eAkte:
- Er selbst habe durch die Einführung der eAkte keine Vorteile.
- Er sieht die Sicherheit seinen Sozialdaten durch die Einführung der eAkte bedroht.
- Befürchtung von Datenübermittlungen an Dritte, insbesondere an Gerichte.
Diesen Argumenten tritt das SG Konstanz in seinem Beschluss entgegen.
Mit bemerkenswerter Klarheit betont es die Autonomie und weitreichende Gestaltungsmöglichkeit der Behörde bei der Einführung einer eAkte.
Einführend verweist es aber darauf, dass nach dem Willen des Gesetzgebers der eAkte ohnehin die Zukunft gehört:
Zukünftig, d.h. für die Behörden des Bundes ab 1. Januar 2020 (§ 6 Satz 1 E-Government-Gesetz des Bundes [E-GovG]) und für diejenigen des Landes ab 1. Januar 2022 (§ 6 Abs. 1 Satz 1 E-Government-Gesetz Baden-Württemberg [E-GovG BW]), werden grundsätzlich sämtliche Verwaltungsakten elektronisch geführt. Die Behörde kann ihre Aktenführung jedoch bereits vor diesen Daten auf die eAkte umstellen. Die Führung elektronischer Akten liegt im Organisationsermessen der Behörde und bedarf keiner gesetzlichen Ermächtigung. Für den Antragsgegner als gemeinsame Einrichtung (§ 44b, 6d SGB II) sieht § 50 Abs. 3 Satz 1 SGB II vor, dass zur Aufgabenerfüllung durch die Bundesagentur zentral verwaltete Verfahren der Informationstechnik genutzt werden. Auf dieser Grundlage hat die Bundesagentur für Arbeit die sukzessive Einführung der eAkte angewiesen, wie sie auch beim Antragsgegner durchgeführt wird (Weisung Nr. 201604031 vom 18. April 2016).
Diese Weisung zur Einführung der eAkte stelle sich auch nicht in Widerspruch zum Sozialverwaltungsverfahrensrecht. Dieses verlange an keiner Stelle, dass Akten in Papier geführt werden. § 25 Abs. 5 Satz 2 SGB X, der die Akteneinsicht in die eAkte regelt, setze sogar die Möglichkeit einer eAkte voraus.
- Bürger hat keine Vorteile von der eAkte?
Ob der Bürger Vorteile durch die Einführung der eAkte hat oder nicht, ist nach der Rechtsauffassung des SG Konstanz bereits ohne Belang. Gleichzeitig verweist das Gericht aber zutreffend darauf, dass möglicherweise doch auch Vorteile selbst für den Bürger bestehen könnten:
Soweit der Antragsteller anführt, er selbst habe durch die eAkte keine Vorteile, diese lägen lediglich beim Antragsgegner, lässt dies keine Rechtsverletzung erkennen. Neuerungen im Ablauf des Verwaltungsverfahrens müssen nicht zwingend mit Vorteilen für den Bürger einhergehen. Hier stehen den möglichen Vorteilen durch eine schnellere Bearbeitung der Anträge und Anliegen des Antragstellers zusätzliche Belastungen des Antragstellers gegenüber, weil er nunmehr sämtliche eingereichten Unterlagen mit Name, Adresse sowie Bedarfsgemeinschafts- oder Kundennummer versehen muss. Jedenfalls ein zusätzlicher Aufwand für den Leistungsberechtigten, der – wie hier – die Zumutbarkeitsschwelle noch nicht überschreitet, führt zu keiner Rechtsverletzung.
2. Datensicherheit und eAkte
Sicherlich richtig ist es, bei der Einführung der eAkte das Thema Datensicherheit kritisch zu beleuchten. Die Probleme rund die Einführung des beA, aber auch die Datenschutzgrundverordnung haben hier für zusätzliche Sensibilität besorgt. Entsprechend beschäftigt sich auch das SG Konstanz mit dieser Einwendung des Antragstellers und verweist zunächst auf die (hohen) gesetzlichen Anforderungen, sieht aber den Antragsteller – jedenfalls für das Eilverfahren – in der Pflicht, seine Bedenken durch qualifizierte Rügen zu untermauern:
An inhaltlichen Vorgaben für die eAkte ist gesetzlich vorgegeben, durch geeignete technisch-organisatorische Maßnahmen nach dem Stand der Technik sicherzustellen, dass die Grundsätze ordnungsgemäßer Aktenführung eingehalten werden (§ 6 Satz 3 E-GovG bzw. § 6 Abs. 3 Satz 1 E-GovG BW). § 7 E-GovG und § 6 Abs. 3, § 7 EGovG BW enthalten nähere Regelungen zum Übertragen und Vernichten des Papieroriginals und der Sicherstellung der Lesbarkeit. Das Gericht kann offen lassen, ob es sich hierbei um Regelungen handelt, die auch dem Schutz des Antragstellers dienen. Jedenfalls ist weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht, dass diese Vorgaben vom Antragsgegner nicht beachtet werden. So sieht die zitierte Weisung vom 18. April 2016 vor, dass keine Originalunterlagen zu den Akten genommen werden, lediglich Kopien gescannt und damit digitalisiert werden.
Das Gericht legt damit die Messlatte für den Vortrag – zumindest für das Eilverfahren – hoch. Es dürfte für den Bürger kaum möglich sein, qualifiziert vorzutragen, geschweige denn glaubhaft zu machen, an welcher Stelle die Behörde den geforderten Stand der Technik nicht einhält. Selbst wenn der Bürger den unbestimmten Rechtsbegriff „Stand der Technik“ in Teilbereich näher bestimmen kann – bspw. im Bereich des Scannings unter Bezugnahme der TR Resiscan oder anderer Scanprozessbeschreibungen -, so wird ihm Regelmäßig faktisch der ausreichende Einblick in die Organisation und die praktische Umsetzung innerhalb der Behörde fehlen und auf Nachfrage auch sicher verwehrt werden.
Gleiches gilt hinsichtlich des konkreten Schutzes sensibler Daten. Hierzu führt das Gericht Folgendes aus:
Soweit der Antragsteller auf den mangelnden Schutz seiner sensiblen Daten abstellt, führt er damit eigene Rechte an, macht deren drohende Verletzung aber nicht glaubhaft. Die Einführung der eAkte setzt die geltenden Regelungen zum Schutz der Daten des Antragstellers vor dem unberechtigten Zugriff Dritter – die etwa in § 35 Abs. 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch und zukünftig in Art. 25 Abs. 2 der Datenschutz-Grundverordnung (Verordnung (EU) 2016/679) geregelt sind – nicht außer Kraft. In § 6 Abs. 3 Satz 2 EGovG BW ist sogar ausdrücklich bestimmt, dass diese unberührt bleiben. Die Weisung vom 18. April 2016 verpflichtet die Geschäftsführungen der gemeinsamen Einrichtungen sicherzustellen, dass die einschlägigen datenschutzrechtlichen Vorschriften beachtet werden. Die Annahme des Antragstellers, die eAkte sei vor Hacker-Angriffen nicht wirksam geschützt, ist rein spekulativ und bedarf innerhalb des gerichtlichen Eilverfahrens keiner näheren Überprüfung.
Dieser hohe Maßstab an den Vortrag des Antragstellers ist für das Eilverfahren sicher gut vertretbar. Es ist aber fraglich, ob in einer möglichen Hauptsache hier nicht der Amtsermittlungsgrundsatz früher greifen muss und von der Behörde auch ohne weiteren Vortrag zu fordern sein wird, jedenfalls die Grundsätze der eingesetzten Sicherheitsmaßnahmen darzulegen. Dies dürfte regelmäßig nicht schwerfallen, weil eine eingehende Sicherheitsbetrachtung selbstverständlicher Bestandteil eines eAkten-Einführungsprojekts ist.
3. Datenübermittlung der eAkte an das Gericht
Bemerkenswert sind schließlich die Ausführungen des Sozialgerichts zur Datenübermittlung der eAkte an das Gericht:
Die vom Antragsteller angesprochene Datenübermittlung an das Sozialgericht berührt die Aktenführung selbst nicht. Auf sie kann der Antragsteller die begehrte Unterlassung der Erstellung einer eAkte und der Aufnahme seiner Daten darin also nicht stützen. Aus der bloßen Führung der eAkte folgt noch nicht, dass der Antragsgegner diese auch als elektronisches Dokument übermittelt. Er kann sie ebenso ausdrucken und den Ausdruck an das Sozialgericht übermitteln (vgl. § 104 Satz 6 SGG). Nur ergänzend weist das Gericht daher darauf hin, dass § 65a SGG die Übermittlung elektronischer Dokumente auf sicheren Übermittlungswegen vorsieht, zu denen eine gewöhnliche E-Mail gerade nicht gehört.
Für den Verwaltungsgerichtsprozess lässt sich dieses Argument noch fortführen, denn § 99 Abs. 1 VwGO sieht (eigentlich) sogar ausschließlich die elektronische Vorlage vor, weil dort – anders als gem. § 104 SGG – eine Vorlage nur der Abschrift nicht als ausreichend angesehen wird, sondern „das Original“ vorzulegen ist; bei elektronischer Aktenführung also auch die elektronische Akte.
Somit stellt das Gericht klar, dass die gesetzlich vorgesehenen Übermittlungswege des elektronischen Rechtsverkehrs als vom Gesetzgeber ausreichend sicher für die Übermittlung von Sozialdaten angesehen werden und darüber hinausgehende Sicherheitsmaßnahmen für die Datenübermittlung nicht zu treffen sind. Eine einfache E-Mail sieht das Sozialgericht dagegen zu Recht als stets zu unsicher an.
Die oben angesprochene Sicherheitsbetrachtung hinsichtlich sensibler Daten muss deshalb neben der eAkte und ihrer Datenablage selbst auch ihre vollständige oder teilweise Übermittlung an berechtigte Dritte oder auch den Bürger zur Akteneinsicht mit in Betracht ziehen. Die vom Gesetzgeber vorgesehenen Übermittlungswege geben hier den entscheidenden Anhalt für die behördliche Planung.
Siehe auch: Müller, Die E-Akte vor Gericht: Wie kommt die E-Akte ins Gericht, zentralblick.