Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung ist bei zahlreichen Behörden bereits heute Realität und schreitet weiter fort. Bürger, Prozessvertreter und auch die öffentlich-rechtlichen Fachgerichte müssen sich auf die damit verbundenen Veränderungen einstellen. Elektronische Verwaltungsakten werden vermehrt Gegenstand von Prozessen – zumeist als beigezogene Behördenakten gem. § 99 VwGO, § 104 S. 5, 6 SGG oder – wie hier in einem Beschluss des OVG NRW vom 17. Dezember 2018 – 1 A 203/17 – als eigentlicher Streitgegenstand. Fast immer im Fokus des Streits ist die Skepsis bezüglich der Vollständigkeit der elektronischen Akten.
Die Rügen des Klägers
Im Streit um die Überführung von bis in Papier geführten Personalakten in elektronische Akten, brachte der Kläger u.a. folgende Rügen gegen eine elektronische Akte vor:
- Eine ordnungsgemäße Umwandlung in eine elektronische Akte und deren ordnungsgemäße Führung seien nicht gewährleistet. Die technischen Voraussetzungen für die alleinige elektronische Aktenführung seien nicht gegeben. Es sei ungeklärt, ob die elektronische Akte „vollständig elektronisch gesichert“ sei und wie die gesonderte Aufbewahrung ärztlicher Unterlagen sichergestellt werde. Es sei nicht dargelegt, wer im Falle des Klägers wann und wie genau die Identität der nachträglich erstellten elektronischen Akte mit der Papierpersonalakte überprüft habe („Validierungsprozess“).
- Es sei zu befürchten, dass einzelne Schriftstücke aus der Papierakte nicht (ordnungsgemäß) eingescannt worden seien. Diese Befürchtung sei nicht rein spekulativ, weil der Kläger selbst keine Prüfung der Vollständigkeit vornehmen könne. Hieran werde er durch die „fehlende Transparenz“ der wegen der Vergabe gleicher Namen für pdf-Dokumente (z. B. zweimal „Unterlagen zur Versetzung/Umsetzung“) nicht gut „durchzublätternden“ elektronischen Akte sowie dadurch gehindert, dass diese Akte nicht paginiert sei.
eAkten-Einführung gehört zur Organisationshoheit der Behörde
Das OVG NRW teilt die Bedenken des Klägers im Wesentlichen nicht. Insbesondere betont das Gericht, dass insbesondere die technische Ausgestaltung der eAkte im Organisationsermessen der Behörde stehe. Dieses Ermessen werde lediglich durch materiell-rechtliche Vorgaben – hier der §§ 106 ff. BBG – eingeschränkt. Dabei leitet das Gericht u.a. aus § 106 Abs. 1, 2 BBG her, dass ein Verbot zur parallelen Aktenführung in elektronischer und Papierform bestehe.
Der Grundsatz der Aktenklarheit
Die Aktenführungspflicht ergibt sich aus dem Rechtsstaatsprinzip, konkret aus dem Recht auf Akteneinsicht. Hieraus folgt, dass Akten aus sich heraus verständlich zu sein haben – das Prinzip der Aktenklarheit. Insofern ist das Argument des Klägers, auch die elektronische Akte müsse ein Mindestmaß an „Transparenz“ bieten, nicht vollständig von der Hand zu weisen. Dass der Kläger diesbezüglich aber gerade mit der aus seiner Sicht fehlenden Paginierung argumentiert, ist verfehlt. Zu Recht erteilt das OVG diesem Gedanken eine deutliche Absage:
Vielmehr gewährleistet die hier etablierte thematische und hierarchische Ordnung der elektronischen Personalakte […] ersichtlich eine hinreichende Transparenz, zumal dort eine Doppelung von Gliederungspunkten nicht erkennbar ist. Es ist auch nicht ersichtlich, dass eine – wie auch immer zu bewerkstelligende – „Paginierung“ bei dem gewählten Modell einer elektronischen Akte hilfreich geschweige denn zwingend erforderlich sein könnte.
Grundsatz der Aktenvollständigkeit
Dass eine behördliche Akte vollständig zu sein hat, liegt auf der Hand. Dieses Erfordernis ergibt sich schon daraus, dass ein Akteneinsichtsrecht nur in eine vollständige Akte sinnhaft ist. Umso überraschender ist, dass selbst „der notwendige Akteninhalt“ gesetzlich oder gewohnheitsrechtlich nicht definiert ist. Nicht einmal in der Rechtsprechung und Literatur hat sich in der Vergangenheit anhand der Papierakte eine auch nur ansatzweise unstreitige Meinung herausgebildet. Dennoch entspinnt sich erst jetzt bei der Einführung elektronisch geführten Akten in der Praxis schnell ein ebenso leidenschaftlicher, wie (oft) uninformierter Streit über den Begriff der Vollständigkeit der Akte, der schnell den eigentlich Streitgegenstand aus dem Fokus geraten lässt.
Die elektronische Vorgangsbearbeitung führt bereits heute zu Besonderheiten hinsichtlich des Akteninhalts. Dies gilt völlig unabhängig vom gewählten Medium für die rechtsverbindliche Akte. Das eingesetzte Vorgangsbearbeitungsprogramm wird, insbesondere bei Einsatz einer Papierakte oder einer hybriden Akte, parallel zur eigentlich Aktenpflege mit zahlreichen Daten bestückt, die oft, aber nicht zwingend, unterstützende Bedeutung haben (insbesondere sog. Meta-Daten zu Dokumenten, die zum Vorgang gereicht oder genommen werden) oder aber über den individuellen Vorgang hinaus benötigt werden (Geschäftsverteilungspläne, Adressdaten, Statistikdaten etc.). Hinzu kommt die oft sehr informelle inner- oder intrabehördliche Kommunikation per E-Mail, die sich nicht selten in einer Grauzone zwischen vorbereitender Tätigkeit und aktenrelevanter Vorgangsbearbeitung bewegt.
Jedenfalls ist eine Verwaltungsakte mit elektronischen Bestandteilen mehr als eine chronologische Ablage eingegangener oder selbsterstellter Dokumente. Dies hat auch der Gesetzgeber erkannt und sich zwar nicht zu einer gesetzlichen Definition durchgerungen, aber jedenfalls in der Gesetzesbegründung zum EGovG Stellung bezogen, in dem die elektronische Akte als „eine logische Zusammenfassung sachlich zusammengehöriger oder verfahrensgleicher Vorgänge und/oder Dokumente, die alle bearbeitungs- und aktenrelevanten E-Mails, sonstigen elektronisch erstellten Unterlagen sowie gescannten Papierdokumente umfasst und so eine vollständige Information über die Geschäftsvorfälle eines Sachverhalts ermöglicht“ beschrieben wird (BT-Dr 17/11473, S. 37).
Im Verfahren des OVG NRW hat die Beklagte ein offenkundig bei der Deutschen Telekom AG „eingekauftes“ Verfahren eingesetzt und schriftsätzlich näher erläutert:
„Die Erstellung habe zentral im Scancenter P.
in einer sicheren Umgebung stattgefunden. Alle Papierpersonalakten der Beamten seien zunächst für die Digitalisierung aufbereitet worden. Die Akten seien entheftet und entklammert worden, und Dokumente mit einem anderen Format als DIN-A 4 seien vor der Digitalisierung auf dieses Format vergrößert bzw. verkleinert worden. Aufgrund ihres Zustands nicht für das Scannen geeignete Dokumente seien z. B. durch Kontrastverstärkung angepasst worden. Vor der Digitalisierung sei ferner die Vollständigkeit und Lesbarkeit überprüft worden. Die Dokumente einer Papierpersonalakte seien sodann gescannt und mit der „Qualifizierten elektronischen Signatur“ versehen worden. Das Scannen sei auf einem einzigen Scanner erfolgt, und zwar in Duplexscannung, bei der leere Rückseiten von einer Software automatisch entfernt worden seien. In einem (näher erläuterten) aufwendigen manuellen Validierungsprozess seien Lesbarkeit und Vollständigkeit aller eingescannten Dokumente geprüft worden. Das Verfahren der Deutschen Telekom AG zur Erstellung der elektronischen Personalakten sei von dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz sowie dem Landesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit für das Land Nordrhein-Westfalen geprüft und als ausreichend angesehen worden.„
Dies lässt das OVG NRW gut nachvollziehbar genügen. Ein Fingerzeig für so manche Behörde dürfte sein, dass das OVG NRW an keiner Stelle auf die oft als einzig justizfest dargestellte Methode nach der „TR RESISCAN“ Bezug nimmt. Es bleibt vielmehr unklar, ob das gewählte Verfahren extern zertifiziert war und diese Unklarheit spielte für das OVG NRW offenbar auch keine Rolle.
Substantiierungspflicht des Klägers
Wie bereits das SG Konstanz in seiner (Eil-)Entscheidung zu elektronischen Akten eines Jobcenters, sieht es auch das OVG NRW als notwendig an, dass der Kläger gegen eine eAkte seine Bedenken substantiiert darlegt. Bloße Befürchtungen reichen hierfür nicht aus; der Kläger muss sich vielmehr mit dem konkret eingesetzt System und den sich hieraus ergebenden negativen Folgen so detailliert wie möglich auseinandersetzen – für die Behörde bestehen zunächst lediglich Mitwirkungspflichten bei der Beweisführung, soweit ihre Sphäre betroffen ist:
Diesem substantiierten Vortrag, der noch durch Angaben zum Umfang der Papierpersonalakte bei ihrem Abschluss und zur Zahl der daraus erstellten Dokumente angereichert worden ist, hat der Kläger auch mit seinem Zulassungsvorbringen nichts von Substanz entgegengestellt. Namentlich führt er keine konkreten Umstände dafür an, dass es bei der Umwandlung zu entsprechenden Datenverlusten gekommen ist. Ein entsprechender Vortrag wäre ihm, anders als er meint, aber möglich gewesen. Er hätte ohne weiteres über seinen Prozessbevollmächtigten Einsicht in die noch vorhandene Papierpersonalakte nehmen können und sodann anhand der ihm zugänglichen (angeblich nicht „transparenten“) elektronischen Personalakte oder des hier vorliegenden – transparenten – Ausdrucks derselben abgleichen können, ob sämtliche Dokumente aus der Papierpersonalakte Eingang in die elektronische Personalakte gefunden haben.