Das voluntative Element des (e)EB in der Rechtsprechung

Gem. § 14 BORA gilt die berufsrechtliche Verpflichtung an Zustellungen mitzuwirken und Empfangsbekenntnisse zurückzusenden. Zutreffend ist, dass für die gerichtliche Korrespondenz gem. § 31a Abs. 6 BRAO bis längstens 1. Januar 2022 nur eine sog. passive Nutzungspflicht besteht und die aktive Nutzungspflicht erst mit Inkrafttreten des § 130d ZPO eintritt. Eine Abweichung hiervon besteht jedoch im elektronischen Zustellungsrecht. Gem. § 174 Abs. 4 Sätze 3, 4 ZPO kann die elektronische Zustellung nur noch durch das elektronische Empfangsbekenntnis (eEB) nachgewiesen werden. Eine hiervon abweichende Form ist vom Gesetz für die elektronische Zustellung nicht mehr vorgesehen, weshalb insoweit letztlich auch eine aktive Nutzungspflicht besteht. Dennoch macht das eEB in der gerichtlichen Zustellungspraxis immer noch Probleme: Einige Zustellungsempfänger haben technische oder „tatsächliche“ Schwierigkeiten bei der Abgabe; andere sind „vorsätzliche beA/eEB-Verweigerer“. Zunehmend befasst sich die Rechtsprechung mit dieser Problematik – und setzt auch die (gefürchtete) Heilungsvorschrift des § 189 ZPO ein.

OVG Lüneburg, Beschluss vom 28. Mai 2019, 13 ME 136/19

Gegen einen Beschluss des VG Stadt vom 11. April hatte ein Rechtsanwalt am 26. April „fristwahrend“ Beschwerde eingelegt. Die Zustellung des Beschlusses vom 11. April hatte er aber nie mit einem Empfangsbekenntnis bestätigt. Ebenso legte er keine Beschwerdebegründung vor. Erst auf den 3. Mai datierte ein später abgegebenes Empfangsbekenntnis.

Das OVG hat die Beschwerde mit Beschluss vom 28.05.2019 – 13 ME 136/19 – verworfen. Die Begründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO sei nicht eingehalten worden:

Die Beschwerdeschrift enthält auch keinen Hinweis auf eine tatsächlich noch nicht erfolgte Bekanntgabe des Beschlusses vom 11. April 2019 und die Einlegung der Beschwerde lediglich im Vorgriff auf eine noch ausstehende Bekanntgabe (vgl. zu dieser Möglichkeit: BVerwG, Beschl. v. 29.4.2011 – 8 B 86.10 -, juris Rn. 7; Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 147 Rn. 3 m.w.N.). Gilt danach der erstinstanzliche Beschluss nach § 56 Abs. 2 VwGO i. V. m. § 189 ZPO kraft Gesetzes als zugestellt, ist die Frist zur Begründung der Beschwerde am Montag, dem 27. Mai 2019 um 24.00 Uhr abgelaufen. Innerhalb dieser Frist ist eine Begründung nicht eingereicht worden. 

Dem Fristablauf steht auch das auf den 3. Mai 2019 datierte vom Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin nachgereichte elektronische Empfangsbekenntnis nicht entgegen. Ein derartiges Empfangsbekenntnis kann die kraft Gesetzes eingetretene Heilungswirkung des § 189 ZPO nicht mehr rückgängig machen (vgl. BFH, Beschl. v. 26.4.2017 – X B 22/17 -, juris Rn. 4). Ein ordnungsgemäß nach § 14 BORA entgegengenommenes und erteiltes Empfangsbekenntnis kann allenfalls einen früheren Zeitpunkt der Bekanntgabe als den der Rechtsmitteleinlegung belegen.

VG Leipzig, Urteil vom 13. Mai 2019, 7 K 2184/16.A

Dem Urteil des VG Leipzig, Urteil vom 13. Mai 2019 – 7 K 2184/16.A – (siehe auch kritisch BRAK-Newsletter 25/2019 v. 11.7.2019) liegt ein versäumter Termin zugrunde: Das Gericht hat die Ladung zu der auf den 7. Mai 2019 anberaumten mündlichen Verhandlung samt Empfangsbekenntnis der Bevollmächtigten des Klägers über deren beA zugestellt. Die diesbezügliche Eingangsbestätigung („Acknowledgment„-Datei) belegt einen Eingang am 26. März 2019, 14.33 Uhr. Ein Rücklauf eines Empfangsbekenntnisses war nicht zu verzeichnen. In der mündlichen Verhandlung erschien für den Kläger niemand.

Das VG Leipzig meint nun, mangels zurückgesandtem eEB die sog. 3-Tages-Fiktion anwenden zu können:

Nach § 56 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 174 Abs. 1, 3 und 4 ZPO kann ein Schriftstück an Angehörige bestimmter Berufsgruppen, namentlich – wie hier – einer Rechtsanwältin, gegen Empfangsbekenntnis zugestellt werden. Eine Zustellung ist auch ohne Rücksendung des vollständig ausgefüllten Empfangsbekenntnisses wirksam, wenn der Empfänger das zuzustellende Schriftstück in Kenntnis der Zustellungsabsicht tatsächlich entgegen genommen hat (vgl. z.B. Entscheidungen des BFH vom 23. August 2005, VII B 153/05, BFH/NV 2006, 309, und vom 6. März 1990, II R 131/87, BFHE 159, 425, BStBl. II 1990, 477, jeweils m.w.N.). Im Streitfall besteht daran, dass die Prozessbevollmächtigte die Ladung in Kenntnis der Zustellungsabsicht erhalten hat, kein Zweifel. § 31a Abs. 6 BRAO verpflichtet die Prozessbevollmächtigten, Zustellungen und den Zugang von Mitteilungen über das besondere elektronische Anwaltspostfach zur Kenntnis zu nehmen. Die entsprechende Eingangsbestätigung belegt einen Eingang im besonderen elektronischen Anwaltspostfach am 26.März 2019, 14.33 Uhr. Da die Prozessbevollmächtigte das Empfangsbekenntnis nicht zurückgesandt hat, ist derjenige Tag als Zustellungstag anzusehen, an dem die Ladung nach dem normalen Verlauf der Dinge erstmals in ihre Hände gelangt sein könnte (vgl. BFH-Entscheidungen, BFH vom 23. August 2005, VII B 153/05, BFH/NV 2006, 309; vom 27. September 2001, X B 145/00, BFH/NV 2002, 212, und in BFHE 159, 425, BStBl. II 1990, 477, jeweils m.w.N.). Dieser Tag ist der dritte Tag nach Absendung des Dokuments. Dies entspricht der in § 41 Abs. 2 Satz 2 VwVfG, § 5 Abs. 7 Satz 2 VwZG oder § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO enthaltenen Vermutung. Dementsprechend ist die Ladung an die Prozessbevollmächtigten am Dienstag, den 26. März 2019 abgesandt worden und gilt ihr am Freitag, den 29. März 2019 als zugestellt.

LSG Bayern, Beschluss vom 17. Februar 2017, L 16 AS 859/16 B ER

In einem schon älteren Beschluss vom 17. Februar 2017 – L 16 AS 859/16 B ER – hatte sich das Bayerische Landessozialgericht mit dem Zeitpunkt der Zustellung eines Beschluss per Telefax an ein (wohl) bei der Rücksendung des Empfangsbekenntnisses nachlässiges Jobcenter zu beschäftigen. In dieser Eilsache zog das Jobcenter den Kürzeren – ob zu Recht ist allerdings fraglich. Das Sozialgericht hatte seinen Beschluss vom 4. November 2016 ausweislich des Telefax-Sendeberichts am 7. November 2016 um 10.43 Uhr an den Antragstellervertreter und um 10.44 Uhr an das Jobcenter übersandt. Die Telefaxübermittlung beinhaltete auch einen Vordruck eines Empfangsbekenntnisses. Am 8. November 2016 stellte das Sozialgericht den Beschluss zusätzlich noch per Post zu – erneut gegen Empfangsbekenntnis.

Während der Antragstellervertreter das Empfangsbekenntnis mit dem Vermerk „empfangen am 7.11.2016“ zurücksandte, musste das Sozialgericht das Jobcenter an die Rücksendung des Empfangsbekenntnisses erinnern. Schließlich übermittelte das Jobcenter dann ein Empfangsbekenntnis, das als Empfangszeitpunkt den 17. November 2016 auswies – also, verglichen mit dem Sendeprotokoll, einen „Empfangsverzug“ von 10 Tagen.

Die Beschwerde des Jobcenters gegen den Beschluss des Sozialgerichts erreichte das LSG sodann am 8. Dezember 2016. Das LSG verwarf die Beschwerde als unzulässig. Die Beschwerdefrist habe bereits am 7. Dezember 2016 geendet.

Zur Begründung verweist das LSG auf das Sendeprotokoll. Zwar erbringe ein Sendeprotokoll nicht bereits den vollen Beweis für den Zugang, es indiziere ihn aber. Grundsätzlich könne bei vollständiger Sendung auch von einem vollständigen Empfang ausgegangen werden, zumal hier von dem Jobcenter nichts Gegenteiliges vorgetragen worden sei.

Diese Entscheidung überzeugt nicht. Das LSG verkennt das Wesen der Zustellung gegen Empfangsbekenntnis. Das Emfpangsbekenntnis ist nach allgemeiner Auffassung nicht nur ein bloßer Informationsträger für den Zeitpunkt der tatsächlichen Zustellung, sondern es ist vielmehr ein konstitutives Element der Zustellung gem. § 174 ZPO. Die Rücksendung des Empfangsbekenntnisses ist also keine reine Formalität, die letztlich auch automatisierbar wäre, sondern es handelt sich um einen Willensakt. Dieser Willensakt beinhaltet die Dokumentation der Empfangsbereitschaft.

Nach richtiger Auffassung muss der Adressat vom Zugang des Schriftstücks deshalb (nicht nur) Kenntnis erhalten, sondern zudem entscheiden, ob er es als zugestellt ansieht. Die Äußerung des Willens, das Schriftstück anzunehmen (Empfangsbereitschaft) ist – anders als etwa bei einer Zustellung durch den Gerichtsvollzieher – zwingende Voraussetzung einer wirksamen Zustellung.

Der Zeitpunkt des faktischen Zugangs, den das LSG hier durch das Sendeprotokoll als bewiesen ansieht, ist deshalb bei der Zustellung gegen EB nicht (alleine) maßgeblich. Will man eine solche (rein objektive) Zustellung bewirken, muss eine andere Zustellungsform gewählt werden – bspw. gegen Zustellungsurkunde.

Hieran ändert auch § 189 ZPO nichts. Danach gilt zwar ein Dokument als zu dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es faktisch zugegangen ist. Dies gilt aber nur, wenn die formgerechte Zustellung eines Dokuments nicht nachweisen ist oder das Dokument unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist. Ohne Weiteres heilt § 189 ZPO daher nur bspw. die (gänzlich) fehlende Rücksendung des Empfangsbekenntnisses. Was aber auch § 189 ZPO nicht fingieren kann, ist den Annahmewillen. Wenn sich dieser nun in einem gegebenen zeitlichen Zusammenhang – und davon aus bei einem „Verzug“ von 10 Tagen noch auszugehen – aber explizit in einem rückgesandten EB manifestiert, dürfte die Argumentation schwer fallen, den Zeitpunkt dieses explizit geäußerten Annahmewillens vorzudatieren; erst Recht kaum vertretbar ist es, den Annahmewillen exakt für den Zeitpunkt des tatsächlichen Zugangs (aus dem Sendeprotokoll) zu verlegen. Dann wäre das Sendeprotokoll des Faxes (fast) mit einer Zustellungsurkunde gleichgestellt und das Empfangsbekenntnis um sein voluntatives Element vollständig beraubt.

Schließlich ist auch nicht überzeugend, dass das LSG hier dem Sendeprotokoll eine erhebliche Indizwirkung zubilligt. Es genügt bereits das alltägliche Versehen, die zu faxenden Seite falschherum in das Faxgerät zu legen und schon wird trotz technisch einwandfreiem Sendeverlauf keine Information übertragen, sondern lediglich zahlreiche leere Seiten.

Als Fazit lässt sich daher festhalten: Nachlässigkeiten bei der Rücksendung des Empfangsbekenntnisses lassen sich daher nicht dadurch sanktionieren, dass ein anderer Zeitpunkt angenommen wird, als der im EB angegebene, sondern nur dadurch, dass dem Zustellungsadressat künftig nicht mehr gem. § 174 ZPO zugestellt wird, sondern – willensunabhängig – bspw. gegen Zustellungsurkunde. Die Problematik dürfte in der Zukunft weiter an Relevanz gewinnen, denn im elektronischen Rechtsverkehr mittels EGVP oder beA erfolgen Zustellungen stets gegen Empfangsbekenntnis.

Fazit

Die hier geäußerte Kritik gegenüber der Entscheidung des LSG Bayern gilt entsprechend auch für die Entscheidung des VG Leipzig. Dennoch wäre es falsch, die in der Rechtsprechung erkennbare Tendenz unbeachtet zu lassen. Folgende Schlüsse sollten aus den zitierten Entscheidungen gezogen werden.

Der formwidrig (bspw. mit ausformulierten Schreiben oder selbstgestalteten EB-Formular) erklärte Zustellungsempfang ist zumindest gem. § 189 ZPO wirksam, weil geheilt. Er ist hinsichtlich der Bewirkung der Zustellung an sich unproblematisch: Die Form des § 174 Abs. 4 ZPO ist letztlich sanktionslos ausgestaltet. Gestritten werden kann in diesen Fällen nur darüber, ob die Zustellung dann zu dem auf dem formwidrigen EB abgedruckten Datum bewirkt war oder zum Zeitpunkt des tatsächlichen Eingangs, der sich ja bei elektronischen Zustellungen sekundengenau aus dem sog. „Acknowledgement“ ermitteln lässt. Die formwidrige Rücksendung des Empfangsbekenntnisses ist aus Sicht der Gerichte daher ärgerlich (siehe zum teilautomatisierten Verfahren bei den Fachgerichten in EUREKA-Fach bspw. hier) und sie ist gefährlich, weil der Zustellungsempfänger sich der Möglichkeit begibt, selbst und rechtsverbindlich den Zustellungszeitpunkt zu bestimmen – er setzt sich vielmehr der noch nicht klaren Rechtsprechung zu § 189 ZPO aus.

Das eEB sollte deshalb unbedingt auch genutzt werden.

Noch Problematischer ist aber die Verweigerung der Abgabe eines eEB, insbesondere durch „beA-Verweigerer“. Hier lassen die kürzlich ergangenen Entscheidung eine Haltung in der Rechtsprechung erkennen, die aus der Rechtsfigur der Zustellungsvereitelung bekannt ist: Die Nichtbeachtung der passiven Nutzungspflicht gem. § 31a Abs. 6 BRAO könnte – letztlich wie im Fall des VG Leipzig – zum Anlass genommen werden, die Zustellung als bewirkt anzusehen. Aufgrund der Herleitung der Zustellungsvereitelung aus Treu und Glauben ist sie ebenso schwer fassbar, wie die zukünftige Rechtsprechung hierzu einschätzbar ist. Die anwaltliche Vorsicht gebietet daher, das eigene beA-Postfach mit der selben Sorgfalt zu beobachten, wie den Briefkasten für postalische Zustellung – mehr andererseits kann die Rechtsprechung legitimer Weise auch nicht fordern. Die Sorge, dass Rechtsanwälte nun stets über ihr beA erreichbar sein müssen, ist deshalb sicher unbegründet.

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts