Der BGH (v. 17.1.2024 – VII ZB 22/23) musste sich einmal mehr mit der Zustellung gegen Empfangsbekenntnis im elektronischen Rechtsverkehr beschäftigen. Es war klarzustellen, dass maßgeblich nicht die Rücksendung des EB ist, sondern das Datum, das in ihm eingetragen ist. Für diese Selbstverständlichkeit des Zustellungsrechts, braucht der BGH richtigerweise nicht viele Worte. Für Zustellungsempfänger ist die Entscheidung aber ein (erneuter) Hinweis darauf, sorgfältig die Postausgangs- und Fristkontrolle zu organisieren.
Sachverhalt
Der BGH hat sich in seinem Beschluss mit einer Fristfrage zu beschäftigen. Fraglich war, an welchem Tag Fristbeginn war. Am 13. Juni 2023 hatte der Zustellungsempfänger ein (elektronisches) Empfangsbekenntnis zurückgesandt. Als Datum war in das Empfangsbekenntnis aber der 12. Juni 2023 eingetragen. Ausgehend vom Rücksendedatum (13. Juni) wäre die Frist gewahrt. Ausgehend vom eingetragenen Datum (12. Juni) war die Frist dagegen abgelaufen.
Entscheidungsgründe
Klare Sache für den BGH. Es kommt nicht auf den Zeitpunkt der Rücksendung des EB an, sondern auf das Datum, das in das EB eingetragen ist.
„Die Zustellung der angefochtenen Entscheidung des Berufungsgerichts am 12. Juni 2023 steht aufgrund des elektronischen Empfangsbekenntnisses des zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Klägers fest.
[…] Es kommt für den Nachweis des Zeitpunkts der Zustellung eines elektronischen Dokuments durch elektronisches Empfangsbekenntnis nicht auf den Zeitpunkt der Rückübermittlung des elektronischen Empfangsbekenntnisses an das Gericht, sondern auf das im Empfangsbekenntnis vom Empfänger eingetragene Zustellungsdatum an. Dieses ist hier der 12. Juni 2023.
Die Zustellung eines elektronischen Dokuments an einen Rechtsanwalt nach § 173 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO wird gemäß § 173 Abs. 3 Satz 1 ZPO durch ein elektronisches Empfangsbekenntnis nachgewiesen, das an das Gericht zu übermitteln ist. Für die Übermittlung ist der vom Gericht mit der Zustellung zur Verfügung gestellte strukturierte Datensatz zu verwenden (§ 173 Abs. 3 Satz 2 ZPO). Für die Rücksendung des elektronischen Empfangsbekenntnisses in Form eines strukturierten Datensatzes per beA ist es erforderlich, dass aufseiten des die Zustellung empfangenden Rechtsanwalts die Nachricht geöffnet sowie mit einer entsprechenden Eingabe ein Empfangsbekenntnis erstellt, das Datum des Erhalts des Dokuments eingegeben und das so generierte Empfangsbekenntnis versendet wird (Thomas/Putzo/Hüßstege, ZPO, 44. Aufl., § 173 Rn. 12; vgl. auch BRAK, beA-Newsletter 20/2018 vom 4. Oktober 2018; Biallaß, NJW 2019, 3495).
Die Abgabe des elektronischen Empfangsbekenntnisses setzt mithin die Willensentscheidung des Empfängers voraus, das elektronische Dokument an dem einzutragenden Zustellungsdatum als zugestellt entgegenzunehmen; darin liegt die erforderliche Mitwirkung des Rechtsanwalts, ohne dessen aktives Zutun ein elektronisches Empfangsbekenntnis nicht ausgelöst wird (BVerwG, Beschluss vom 19. September 2022 – 9 B 2/22, NJW 2023, 703, juris Rn. 22; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20. Mai 2021 – 11 A 481/21.A, juris Rn. 7; OLG Koblenz, Beschluss vom 13. Januar 2021 – 13 UF 578/20, FamRZ 2021, 1554, juris Rn. 12; vgl. auch Zöller/Schultzky, ZPO, 35. Aufl., § 173 Rn. 15).
Auf der Grundlage des geschilderten Willensakts wird das elektronische Empfangsbekenntnis automatisiert aus der verwendeten Software heraus erzeugt und dem Gericht übermittelt; mit dieser Übersendung wird die empfangsbereite Entgegennahme der Nachricht dokumentiert (BVerwG, Beschluss vom 19. September 2022 – 9 B 2/22, NJW 2023, 703, juris Rn. 22). Das von einem Rechtsanwalt elektronisch abgegebene Empfangsbekenntnis erbringt – wie das herkömmliche papiergebundene (analoge) Empfangsbekenntnis – gegenüber dem Gericht den vollen Beweis nicht nur für die Entgegennahme des Dokuments als zugestellt, sondern auch für den angegebenen Zeitpunkt der Entgegennahme und damit der Zustellung (BVerwG, Beschluss vom 19. September 2022 – 9 B 2/22, NJW 2023, 703, juris Rn. 12; OVG für das Saarland, Beschluss vom 27. September 2019 – 1 D 155/19, NJW 2019, 3664, juris Rn. 8 ff.; Anders/Gehle/Vogt-Beheim, ZPO, 82. Aufl., § 173 Rn. 7).
Dass der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte des Klägers seinen Empfangswillen hinsichtlich des Beschlusses […] durch die Rückübermittlung des elektronischen Empfangsbekenntnisses in Form eines strukturierten Datensatzes an das Berufungsgericht (erst) am 13. Juni 2023 nach außen dokumentiert hat, vermag nichts daran zu ändern, dass für den Zustellungszeitpunkt der im Empfangsbekenntnis selbst erklärte Zeitpunkt des Erhalts des Beschlusses, hier also der 12. Juni 2023, maßgeblich ist.
Der Kläger hat das im elektronischen Empfangsbekenntnis angegebene Zustellungsdatum auch nicht entkräftet. Es kann dahinstehen, welche Anforderungen an den Nachweis der Unrichtigkeit der in einem elektronischen Empfangsbekenntnis enthaltenen Angaben zu stellen sind (siehe dazu BSG, Urteil vom 14. Juli 2022 – B 3 KR 2/21 R, BSGE 134, 265, juris Rn. 10 m.w.N.; vgl. auch Zöller/Schultzky, ZPO, 35. Aufl., § 173 Rn. 18). Denn eine Unrichtigkeit wird von der Rechtsbeschwerde nicht konkret behauptet. Insbesondere trägt sie nicht vor, der zweitinstanzliche Rechtsanwalt des Klägers habe den angefochtenen Beschluss des Berufungsgerichts tatsächlich erst am 13. Juni 2023 – und nicht schon am 12. Juni 2023 – empfangsbereit entgegengenommen, wohingegen das frühere Datum etwa aus Versehen oder aufgrund einer technischen Fehlfunktion in das Empfangsbekenntnis gelangt sei. Die Rechtsbeschwerde vertritt lediglich eine abweichende – allerdings unzutreffende – Rechtsauffassung zur Bestimmung des Zustellungszeitpunktes.“
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung des BGH ist in jeder Hinsicht richtig. Die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis wirkt im elektronischen Rechtsverkehr zwar aus der Zeit gefallen; das sog. voluntative Element der Zustellung gem. § 173 ZPO war aber im Zuge der Verhandlungen über das eJustice-Gesetz von den sog. „EB-Privilegierten“ erbittert verteidigt worden. Hieraus folgen aber gerade die vom BGH gezogenen Konsequenzen.
Das elektronische Empfangsbekenntnis (eEB) gem. § 173 ZPO stellt beweisrechtlich ein Augenscheinobjekt gem. § 371 Abs. 1 Satz 2 ZPO dar. Die Beweiswirkung des eEB kann nur dann entkräftet werden, wenn die Möglichkeit, die in ihm enthaltenen Angaben könnten richtig sein, ausgeschlossen ist.
Durch den elektronischen Rechtsverkehr an sich hat sich an dem Erklärungsinhalt des Empfangsbekenntnisses nichts geändert: Wie das herkömmliche papiergebundene Empfangsbekenntnis erbringt auch das von einem Rechtsanwalt elektronisch abgegebene Empfangsbekenntnis gegenüber dem Gericht den vollen Beweis für die Entgegennahme des Dokuments als zugestellt und für den Zeitpunkt dieser Entgegennahme. Dies ergibt sich aus der gesetzlichen Beweisregelung in § 173 Abs. 3 Satz 1 ZPO (BVerwG v. 19.09.2022 – 9 B 2/22).
Der Vortrag, dass „jedenfalls wissentlich“ kein eEB durch den Zustellungsempfänger abgegeben worden sei21, genügt nicht, die Beweiswirkung eines eEB gem. §§ 371a, 416 ZPO zu erschüttern, denn ein eEB kann aus dem beA nicht „automatisiert“ und auch „nicht ohne Anforderung durch das Gericht“ abgegeben werden.
Im Interesse des Rechtsverkehrs an der strikten Verlässlichkeit der mit einem elektronischen Empfangsbekenntnis abgegebenen Erklärung muss sich ein Postfachinhaber eine von Dritten abgegebene Erklärung so zurechnen zu lassen, als habe er sie selbst abgegeben, wenn er Dritten die Abgabe der Erklärung unter Verstoß gegen die Sicherheitsanforderungen des elektronischen Rechtsverkehrs selbst ermöglicht hat. Unerheblich ist es dabei, ob der Postfachinhaber dem Dritten die Verwendung seiner Signaturkarte und seiner PIN im Innenverhältnis nur unter bestimmten Bedingungen gestattet, da es sich hierbei lediglich um Einschränkungen im Innenverhältnis handelt, die nach außen nicht bekannt geworden sind und bereits deswegen keine Wirkung im Rechtsverkehr entfalten können (OLG Bremen v. 20.09.2022 – 3 U 21/22).
Der Ausdruck, der Screenshot oder die mittels eines Stylesheets aus der XML-Datei des eEB erzeugte PDF-Datei eignet sich zum Beweis eines Zustellungsmangels kaum. Der Gegenbeweis, dass der in einem elektronisch zurückgesandten Empfangsbekenntnis ausgewiesene Zustellungsinhalt unrichtig ist, ist – ebenso wie bei einem auf dem Postweg zurückgesandten Empfangsbekenntnis – möglich, setzt aber voraus, dass die Beweiswirkung des Empfangsbekenntnisses zur Überzeugung des Gerichts vollständig entkräftet wird. Hierzu können die Nachrichten-IDs in der XML-Datei des anfordernden Gerichts und des rückgesandten eEBs miteinander verglichen werden. Diese müssen sich aufeinander beziehen.
Der vom Anwalt an das Gericht übersandte strukturierte Datensatz und nicht seine Visualisierung im jeweils verwendeten Fachverfahren stellt das eigentliche Empfangsbekenntnis dar, an das die gesetzlich bestimmte Nachweiswirkung anknüpft (BVerwG v. 19.09.2022 – 9 B 2/22; H. Müller in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 2, 2. Aufl., § 371 ZPO Rn. 25_1 – kostenpflichtig).
Zugang ohne förmliche Zustellung
Etwas anderes gilt bei dem einfachen Zugang des elektronischen Dokuments abseits der förmlichen Zustellung (gegen Empfangsbekenntnis). Dann ist (nur) auf den Eingang des elektronischen Dokuments auf dem Intermediär abzustellen. Dieses Datum wird durch die automatisierte Eingangsbestätigung gem. § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO dokumentiert:
Der Zugang elektronischer Nachrichten richtet sich zunächst nach den allgemeinen Zugangsvoraussetzungen „unter Abwesenden“, geregelt in § 130 Abs. 1 BGB. Entscheidend ist also, dass sie so in den Bereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Verhältnissen die Möglichkeit hat, vom Inhalt der Erklärung Kenntnis zu nehmen. Der BGH hat diesen Zeitpunkt nun für eine geschäftliche E-Mail näher eingekreist (BGH v. 6.10.2022 – VII ZR 895/21).
Das OLG Hamm (v. 22.2.2024 – 22 U 29/23) hat sich auch für das beA dieser Auffassung angeschlossen. Insbesondere kommt es beim beA nicht auf die Benachrichtigungs – E-Mail an, sondern auf den Eingang auf dem Intermediär (und damit auf die automatisierte Eingangsbestätigung gem. § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO).
Fehlt es an den Voraussetzungen einer wirksamen Zustellung nach § 173 ZPO gilt ein Schriftstück nach § 189 ZPO als zugestellt, wenn (1.) das Schriftstück so in den Machtbereich des Adressaten gelangt, dass er es behalten kann und Gelegenheit zur Kenntnisnahme von dessen Inhalt hat; (2.) Zustellungswille gegeben ist, das heißt eine formgerechte Zustellung vom Gericht wenigstens angestrebt worden ist; sowie (3.) zumindest konkludent ein Empfangswille dokumentiert ist. Das Schriftstück gilt dann nach § 189 ZPO an dem Tag als zugestellt, an dem die vorbenannten Voraussetzungen erfüllt sind. Hiervon sei im Falle der elektronischen Zustellung, sofern keine technischen Probleme bestehen, zuverlässig innerhalb weniger Minuten auszugehen – meint jedenfalls das LG Gießen (v. 1.12.2023 – 9 O 67/22) und schießt damit über das Ziel hinaus. Richtigerweise ist auch hier zu fragen, wann der Zustellungswillen konktret gegeben war.