BGH: Nur auf Senden klicken genügt nicht

Zur anwaltlichen Sorgfaltspflicht in der Postausgangskontrolle gibt es eigentlich schon genügend Rechtsprechung. Trotzdem braucht es den BGH (v. 4.7.2023 – 5 StR 145/23), um klarzustellen, dass es gerade nicht genügt, nur auf Senden zu klicken. Der Absendende muss schon auch sicher gehen, dass der Sendevorgang auch erfolgreich war.

Der Prozessbevollmächtigte hat zu einem von ihm unerkannt misslungenen Versuch der elektronischen Übermittlung seines Begründungsschriftsatzes angegeben, dass er die Versendung über das elektronische Anwaltspostfach durch Klicken des Buttons „Senden“ initiiert habe und hierauf automatisch ein Sendeprotokoll erstellt und in seiner elektronischen Handakte verzeichnet worden sei. Dem Sendeprotokoll sei jedoch „erst durch manuelles Aufrufen zu entnehmen“ gewesen, dass die Nachricht tatsächlich nicht versandt worden sei. Im beigefügten „Prüfprotokoll“ werde als Empfänger der Nachricht das Landgericht Kiel genannt. Unter den Rubriken „Übermittlungscode Meldetext“, „Zugegangen“ und „Übermittlungsstatus“ weise es jedoch jeweils keinen Eintrag auf.

Der Bevollmächtigte hat es also unterlassen, nach Auslösung des elektronischen Versendungsvorgangs den Inhalt des Prüfprotokolls einzusehen. Dies hätte jedoch zu seinen anwaltlichen Sorgfaltspflichten gehört, so dass ein schuldhaftes Versäumnis vorliegt. Denn dem Protokoll wäre angesichts der fehlenden Einträge zu entnehmen gewesen, dass der Schriftsatz nicht beim Empfänger angekommen ist. Die vom Gericht zu erteilende Eingangsbestätigung nach § 32 Abs. 5 Satz 2 StPO (= § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO) soll dem Absender unmittelbar und ohne weiteres Eingreifen eines Justizbediensteten Gewissheit darüber verschaffen, ob die Übermittlung an das Gericht erfolgreich war oder ob weitere Bemühungen zur erfolgreichen Übermittlung des elektronischen Dokuments erforderlich sind. Daher darf von einer erfolgreichen Übermittlung eines Schriftsatzes an das Gericht nicht ausgegangen werden, wenn in der Eingangsbestätigung in der Nachrichtenansicht der beA-Webanwendung oder in der Exportdatei in dem Abschnitt „Zusammenfassung Prüfprotokoll“ nicht als Meldetext „request executed“ und als Übermittlungsstatus „erfolgreich“ angezeigt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2022 – XI ZB 14/22, NJW 2022, 3715 mwN zur parallelen Norm nach § 130a Abs. 5 Satz 2 ZPO).

Für das Verschulden ihres anwaltlichen Vertreters hat der Mandant im vorliegenden Fall (in einem strafrechtlichen Verfahren ausnahmsweis) einzustehen. Eine solche Zurechnung findet im Strafverfahren zwar nicht durchgehend statt. Eine Ausnahme sei nach dem BGH jedoch nur zugunsten des Beschuldigten anerkannt und dies auch nur, soweit er sich gegen den Schuld- oder Rechtsfolgenausspruch zur Wehr setzt.
So ist es den Strafgerichten regelmäßig verwehrt, dem Beschuldigten Versäumnisse des Verteidigers zuzurechnen, wenn zu prüfen ist, ob ihn an einer Fristversäumung gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 StPO ein Verschulden trifft (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 13. April 1994 – 2 BvR 2107/93, NJW 1994, 1856, Rn. 10). Denn der in allen übrigen Verfahrensordnungen geltende (vgl. BayObLG, Beschluss vom 16. Januar 1970 – GSSt 1/70, BayObLGSt 1970, 9, 17 für § 232 Abs. 2 ZPO a.F.), allgemeine Verfahrensgrundsatz des § 85 Abs. 2 ZPO, wonach das Verschulden des Bevollmächtigten dem Verschulden der Partei gleichsteht, ist mit Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG zwar grundsätzlich vereinbar, da er sich aus Gründen der Rechtssicherheit als einem wesentlichen Element der Rechtsstaatlichkeit und damit einem Konstitutionsprinzip des Grundgesetzes rechtfertigt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. April 1982 – 2 BvL 26/81, BVerfGE 60, 253, Rn. 52 ff.). Anderes gilt jedoch dort, wo dies zu schlechterdings unerträglichen Ergebnissen führen würde, was das Bundesverfassungsgericht für das Strafverfahren bejaht hat, soweit dort strafgerichtliche Verurteilungen mit dem ihnen eigentümlichen rechtlichen Unwerturteil inmitten stehen. Denn der Staat tritt dem Beschuldigten dort mit einem Strafanspruch gegenüber; dies beinhaltet die bewusste Verhängung der schärfsten Sanktion der Rechtsordnung zur Wiederherstellung verletzten Rechts und zur Behauptung ihrer Unverbrüchlichkeit (vgl. BVerfG aaO Rn. 149, 152).

Dieses Privileg kommt dem Beschuldigten jedoch nur zugute, soweit er sich mit einem Rechtsbehelf gegen den Schuldspruch oder den Rechtsfolgenausspruch wendet, welche sich besonders einschneidend auf Ehre, Freiheit, Familie, Beruf und damit sein gesamtes Leben auswirken können (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Dezember 1981 – 2 StR 221/81, BGHSt 30, 309). Bei anderweitigen Rechtsbehelfen – wie hier – muss dagegen auch er für das Verschulden seines Vertreters einstehen. Das betrifft etwa die sofortige Beschwerde gegen die Kosten- und Auslagenentscheidung nach § 464 Abs. 3 StPO, da diese in ihrem Wesen und ihren Auswirkungen Schuldtiteln über Geldforderungen vergleichbar ist, so dass § 85 Abs. 2 ZPO jedenfalls seinem allgemeinen Rechtsgedanken nach angewendet wird (BGH, Beschluss vom 6. Mai 1975 – 5 StR 139/75, BGHSt 26, 126; zu weiteren Fällen einer Zurechnung gegenüber dem Beschuldigten vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 66. Aufl., § 44 Rn. 19).

Erst recht zulasten des Vertretenen geht ein Verschulden des Vertreters bei anderen Verfahrensbeteiligten im Strafprozess, auch dies gestützt auf § 85 Abs. 2 ZPO. Das gilt jedenfalls für Nebenkläger (grundlegend BayObLG, Beschluss vom 16. Januar 1970 – GSSt 1/70, BayObLGSt 1970, 9; BGH, Beschlüsse vom 28. April 2016 – 4 StR 474/15, NStZ-RR 2016, 214; vom 16. Januar 2023 – 5 StR 509/22), für Privatkläger (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8. Februar 1993 – 1 Ws 99 – 100/92, NJW 1993, 1344) und für Antragsteller im Klageerzwingungsverfahren (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 26. August 1988 – 1 Ws 711/88, wistra 1989, 79; OLG Nürnberg, Beschluss vom 11. November 1997 – Ws 1078/97, NStZ-RR 1998, 143).

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Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts