OLG Schleswig-Holstein: Mal wieder Postausgangskontrolle

Welche Pflichten treffen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in der Postausgangskontrolle im Hinblick auf den elektronischen Rechtsverkehr. Die Leitplanken hat bereits der BGH vorgegeben. Ein paar neue Details gibt es nun vom OLG Schleswig-Holstein (Beschluss v. 13.10.2022 – 7 U 160/22).

Sachverhalt

Ein Rechtsanwalt beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Berufungsschrift war – offenbar versehentlich – an das Ausgangsgericht übermittelt worden, nicht an das Berufungsgericht.

Wesentliche Entscheidungsgründe

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nur gewährt, wenn eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert war, eine Notfrist einzuhalten. Dabei muss sich die Partei nach § 85 Abs. 2 ZPO das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen. Es gilt der berufsbedingt strenge Sorgfaltsmaßstab, sodass insoweit regelmäßig eine Fristversäumnis verschuldet ist, wenn sie für einen pflichtbewussten Rechtsanwalt abwendbar gewesen wäre.

Hier war klar: Die Berufungsschrift darf nicht beim Ausgangsgericht, sondern muss beim zuständigen Berufungsgericht (in diesem Fall beim OLG Schleswig) eingelegt werden. Ein Rechtsanwalt hat durch entsprechende organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht.

Das OLG Schleswig-Holstein nutzt nun die vorliegende Entscheidung, um diese organisatorischen Vorkehrungen näher zu beleuchten:

Das Fristenwesen einer Anwaltskanzlei muss sicherstellen, dass dem Rechtsanwalt die Akten von Verfahren, in denen Rechtsmittelfristen laufen, rechtzeitig vorgelegt werden und zusätzlich eine Ausgangskontrolle schaffen, durch die zuverlässig gewährleistet wird, dass fristwahrende Schriftsätze auch tatsächlich an das zuständige Gericht rechtzeitig hinausgehen. Dabei ist die für die Kontrolle zuständige Bürokraft anzuweisen, dass Fristen im Kalender erst dann als erledigt zu kennzeichnen sind, nachdem sie sich anhand der Akte selbst vergewissert hat, dass zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen ist. Schließlich gehört zu einer wirksamen Fristenkontrolle auch eine Weisung, dass die Erledigung der fristgebundenen Sachen am Abend eines jeden Arbeitstages anhand des Fristenkalenders nochmals und abschließend selbstständig überprüft wird. Das Erfordernis der allabendlichen Fristenkontrolle hat gerade den Sinn, durch eine doppelte Prüfung möglichst alle Fehlerquellen bei der Einhaltung von Fristen auszuschließen.

Eine wirksame Fristen- und Ausgangskontrolle darf nicht nur mit der bloßen Anwaltssoftware (hier „RA-Micro“) erfolgen, sondern erfordert auch einen Vergleich anhand des Fristenkalenders und der Handakte. Das Büropersonal ist bereits vor Anfertigung und Verarbeitung der Berufungsschrift anzuweisen, in der entsprechenden Anwaltssoftware (hier „RA-Micro“) das zuständige Berufungsgericht einzupflegen.

Es genügt also nicht, im Einzelfall die Übermittlung zu prüfen, sondern die technischen Mittel einer zweckmäßigen Datenhaltung – letztlich eine Adressdatenbank – sind auch sachgerecht einzusetzen. Das Büropersonal soll bereits vor Anfertigung und Verarbeitung der Berufungsschrift angewiesen werden, in der entsprechenden Anwaltssoftware das zuständige Berufungsgericht einzupflegen. Die allabendliche Fristenkontrolle habe nämlich gerade den Sinn, durch eine doppelte Prüfung möglichst alle Fehlerquellen bei der Einhaltung von Fristen auszuschließen.

Anmerkung

Letztlich zeigt die Entscheidung – wie auch die Entscheidungen zum Fristenkalender – die Verhaftung der Rechtsprechung zur Kanzleiorganisation in einer „manuellen“ Kontrollmethode. Wichtig ist, dass hier zukünftig mehr Raum für die – letztlich wohl sogar sicherere – computergestützte bzw. teilautomatisierte Plausibilitätskontrolle gelassen wird.


Zum Nachweis der rechtzeitigen Übersendung: Siehe -> hier.

Der BGH (v. 20.9.2022 – XI ZB 14/22) hat jüngst ferner nochmals betont, dass bei der Kontrolle der Eingangsbestätigung auch zu überprüfen ist, dass die richtige Datei angehängt war. Er verlangt insoweit – durchaus kritisierbar – vor allem „sprechende“ Dateinamen.

 

Autor: Prof. Dr. Henning Müller

Direktor des Sozialgerichts